Er war Anwalt der RAF-Terroristen, saß fünf Legislaturperioden im Bundestag und gehörte zur Gründergeneration der Grünen: Diese Woche feiert Hans-Christian Ströbele seinen 80. Geburtstag.

Berlin - . Erkerzimmer eines Gründerzeithauses am Spreeufer in Berlin-Moabit: Hans-Christian Ströbele sitzt an seinem dunklen Schreibtisch, hinter ihm sieht man die Ausflugsdampfer auf der Spree, die „mit ihrem Stinkerdiesel alles verpesten“, wie er ehrlich empört und freundlich lächelnd zugleich bemerkt. Im Dauereinsatz auf dem Fahrrad - blaues Hemd, roter Schal - und bei fast jeder Demo dabei, das war einmal. Am 7. Juni wird er 80 Jahre alt.

 

Anwalt der RAF und Mitbegründer der „taz“

Er war der Anwalt des RAF-Terroristen Andreas Baader, Mitgründer der linksalternativen „tageszeitung“ und Anfang der 90er Jahre Sprecher der Grünen. Er zog durch seinen Wahlbezirk Berlin-Kreuzberg, um in den Bundestag gewählt zu werden und stand in der internationalen Öffentlichkeit, als er den Whistleblower Edward Snowden im Exil in Moskau aufsuchte.

Noch mit 78 Jahren gehörte er dem Bundestag an. Allein seine nachlassenden Kräfte bewegten ihn 2017 zum Rückzug. Fünf Legislaturperioden hat er absolviert; sieben Jahre regierten SPD und Grüne in einer Koalition. Ein Regierungsamt hatte Ströbele nie.

Rechtspopulisten nicht ignorieren

Auf der anderen Uferseite der Spree sieht man von seinem Arbeitszimmer aus die Türme, in denen nach dem Regierungsumzug aus Bonn das Innenministerium untergebracht war. Otto Schily (SPD), Ressortchef unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) in der rot-grünen Koalition, konnte von dort oben in Ströbeles Fenster gucken.

Er selbst weist auf die Symbolik hin: Schily und er waren Aktivisten der „Außerparlamentarischen Opposition“ der 68er, Anwaltskollegen, Verteidiger von Mitgliedern der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) und zählten zur Gründergeneration der Grünen - bis ihre politischen Wege sich trennten. Schily wechselte in die SPD und ins Ministeramt, Ströbele blieb an der Basis. So will er gesehen werden - und so wird er gesehen: ein politischer Charakterkopf, ein Linker, der ein Linker geblieben ist.

Wäre er heute noch im Parlament, würde er die Auseinandersetzung mit der AfD suchen, sagt er: „Da kann man auch mal heftig werden und drastische Worte wählen.“ Dass man die Rechtspopulisten durch Ignorieren zurückdrängen kann, glaubt er nicht.

Auch gegen die AfD hat Ströbele schon demonstriert. Er habe aber zugleich „hinter den Polizeilinien“ das Gespräch mit den Anhängern der Partei gesucht, Ex-SPD-Wählern, erzählt er. Denn die wachsende Unzufriedenheit der Menschen beunruhigt ihn. „Der Frust ist berechtigt“, findet er, „angesichts der Unglaubwürdigkeit in der Politik“. Man müsse mit denen reden, die noch zugänglich seien: „Nicht weil man sie für die Grünen überzeugen kann - aber um zu zeigen, dass man Kritik äußern kann, ohne gleich in gefährliche, naziähnliche Parolen zu verfallen.“

„Ich bin wahrscheinlich der Abgeordnete mit den meisten Untersuchungsausschüssen“

Die für ihn typische Kombination von linker Überzeugung und pragmatischem Handeln ist oft beschrieben worden. Ströbele scheut keine Auseinandersetzung. Er nutzte den Grünen als Identifikationsfigur der Linken, ließ sich aber nicht disziplinieren. Und er hatte Erfolg bei den Wählern: Viermal gewann Ströbele in seinem Wahlkreis das Direktmandat, mit bis zu 46,8 Prozent der Stimmen.

Gegen die Mehrheit seiner Fraktion lehnte er die Hartz-IV-Gesetze ab und stimmte gegen Militäreinsätze im Kosovo und in Afghanistan. Er war stellvertretender Fraktionsvorsitzender und als Parlamentarier an Pflichtbewusstsein kaum zu übertreffen. Breite Anerkennung erwarb er sich durch seine Detailkenntnis und Hartnäckigkeit bei der Aufklärung politischer Skandale: „Ich bin wahrscheinlich der Abgeordnete mit den meisten Untersuchungsausschüssen“, bilanziert er fröhlich. NSU, NSA, Kohls Spenden-Affäre: „Unglaublich“ was an politischem und institutionellem Versagen ans Licht gekommen sei, sagt er.

Nervenerkrankung macht ihm zu schaffen

Ströbele blickt auf mehr als 50 Jahre eines aktiven politischen Lebens zurück. In seinem Büro mit Holzregalen bis unter die Decke stehen und hängen die stummen Zeugen: Aktenordner aus dem RAF-Prozess in Stuttgart-Stammheim, von dem Ströbele als Verteidiger ausgeschlossen wurde, eine Anwaltsrobe, eine Fahne der Grünen, abmontierte Schilder: „Sozialistisches Anwaltskollektiv“ und die Namen seiner damaligen Anwaltskollegen stehen darauf.

Sein Biograf Stefan Reinecke sagt über Ströbele: „Er ist treu. Man könnte auch sagen loyal oder konservativ. Das bezieht sich auf alles: auf seine RAF-Mandanten, auf Freunde, auf Parteien und Ideen, und ganz besonders auf die Ideen der 68er.“ Ströbele sei nie irgendwo ausgetreten, außer aus der katholischen Kirche, und er fahre seit 50 Jahren in das Ferienhaus seiner Familie im Odenwald.

Ströbele ist noch schmaler geworden, als er es schon seit seiner überstandenen Krebserkrankung war. Das Gehen fällt ihm schwer, eine Nervenerkrankung macht ihm zu schaffen. Seine Frau helfe ihm, den Alltag zu bestehen.

Wann immer es ihm möglich ist, mischt er sich indes weiterhin ein, diskutiert auf Podien, twittert und empfängt Besucher. Was er an seinem Geburtstag machen wird? Er lädt Gäste ein. Und dann „mache ich das, was ich an runden Geburtstagen immer gemacht habe“, erklärt Ströbele: „Ich fahre mit einem Solarboot über den Landwehrkanal und die Spree.“