Bei den OB-Wahlen in Heilbronn und Baden-Baden am Sonntag war die Wahlbeteiligung niedrig wie nie. Der Politologe Hans-Georg Wehling zeigt sich davon nicht überrascht: Wer an seinem Wohnort nur auf der Durchreise ist, gehe auch nicht zur Wahl.

Stuttgart - Der in Reutlingen lebende Politologe Hans-Georg Wehling kennt sich in der Kommunalpolitik im Südwesten aus wie kaum ein anderer. Im Interview erklärt er, warum die Wahlbeteiligung bei den OB-Wahlen in Heilbronn und Baden-Baden so niedrig war wie noch nie.

 
Herr Wehling, In Heilbronn haben 39 Prozent der Wahlberechtigten den OB gewählt, in Baden-Baden 41 Prozent . . .
Bei den Kommunalwahlen in Bayern sind selbst prominente Oberbürgermeister mit noch geringerer Wahlbeteiligung gewählt worden.
Aber im Land ist das eine neue Erfahrung?
So niedrig war es wohl noch nie, das ist richtig. Es gibt bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Bei Bundestagswahlen ist die Beteiligung immer am höchsten. Am unteren Ende liegen Europa- und Kommunalwahlen. Die Bürger messen den Wahlen unterschiedlich hohe Bedeutung für ihr Leben bei. Bei einer Bundestagswahl glauben sie eben, dass dadurch ihre wirtschaftliche Existenz am meisten beeinflusst wird – und gehen wählen.
Aber die Wahl in eine Kommune ist doch auch direkt vor der eigenen Haustüre.
Im Zuge des Wertewandels verlieren Pflicht- und Akzeptanzwerte generell an Bedeutung. Das Gefühl aus staatsbürgerlicher Verpflichtung zur Wahl gehen zu müssen, erodiert. Das gilt für alle Wahlen. Auf der Gemeindeebene kommt noch etwas hinzu. Eine Wahl ist immer auch Ausdruck von Integration. Wenn ich mich integriert sehe, wo ich zu Hause bin, dann fühle ich mich auch eher verpflichtet, zur Wahl zu gehen. Mit wachsender Mobilität einer Gesellschaft lässt aber die Beziehung zu dem Ort, in dem man wohnt nach. Oft entscheidet ja vor allem der Grundstückspreis oder die Miete über den Wohnort.
Wie ist es mit jungen Leuten? Bei Kommunalwahlen dürfen 16- und 17-Jährige wählen.
Bei denen ist das ähnlich, die suchen noch ihren dauerhaften Platz in der Gesellschaft. Man hat die Zahl der Wahlberechtigten um einen Teil der Bevölkerung ausgedehnt, der sich in die Kommunalpolitik nicht so integriert fühlt. Dass die Wahlbeteiligung daher niedriger sein würde, war vorherzusehen. Auch bei der Ausdehnung des Wahlrechts auf EU-Bürger musste man seinerzeit mit sinkender Wahlbeteiligung rechnen, aus demselben Grund.
Hat das Wahlverhalten mit der tatsächlichen Politik so wenig zu tun?
So lange die Kommunalverwaltung klappt – und sie klappt fast überall – sieht man keinen zwingenden Grund wählen zu gehen.
Wie geht das zusammen mit dem immer höheren Anspruch an Bürgerbeteiligung?
Wahlen sind für die Leute nicht mehr allein maßgeblich. Wenn sie unzufrieden sind, dann gründen sie eine Bürgerinitiative. Die vielen Möglichkeiten sich einzumischen werden stärker genutzt – über die Beteiligung an Wahlen hinaus.
Also wäre eine hohe Wahlbeteiligung ein Alarmsignal?
Es gibt ein demokratietheoretisches Dilemma: Je besser – zum Beispiel – die Kommunalpolitik läuft, umso geringer ist die Wahlbeteiligung. Je schlechter es läuft, umso höher ist die Beteiligung. Einerseits wünscht man sich, dass die Beteiligung hoch ist, andererseits kann das ein schlechtes Zeichen sein.
Ist die Wahl eines SPD-Mannes in Heilbronn eine Schlappe für den von dort stammenden CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl?
Das würde ich nicht so deuten. Es gab dort zwei Kandidaten, die sich inhaltlich kaum unterschieden haben, den SPD-Sozialbürgermeister und den CDU-Finanzbürgermeister. In so einem Fall stechen die Persönlichkeitswerte. Es war wohl in erster Linie ein persönlicher Sieg für Herrn Mergel. Ich würde das nicht so stark parteipolitisch interpretieren, auch wenn man das Ergebnis gegen Strobl nutzen wird.