Der geistig behinderte Tischtennis-Spieler Hartmut Freund blickt zurück auf ein sehr erfolgreiches Sportjahr. Dabei sah es im Sommer noch so aus, als müsste er seine Karriere beenden.

Bietigheim-Bissingen - Sein Bruder Norbert Freund kann es kaum fassen: „Es ist ein Phänomen, dass Hartmut sich in seinem Alter noch sportlich steigert“, sagt der 49-Jährige. Sein Bruder Hartmut ist 48 Jahre, geistig schwer behindert und spielt im Tischtennis in der Kategorie geistig Behinderter auf Weltklasse-Niveau mit. Derzeit ist er in der Weltrangliste auf Platz 22, einen Platz höher als im Jahr zuvor und damit der beste Deutsche in der Kategorie. „Besser war er noch nie“ sagt Norbert Freund, der nicht nur sein Bruder, sondern auch sein Trainer, Manager und gesetzlicher Betreuer ist.

 

Dabei stand die Karriere als Profi-Tischtennisspieler kurz auf der Kippe: Ein Sehnenriss an der rechten Schulter im Sommer ließ Freund wochenlang ausfallen. „Das hätte böse enden können“, sagt sein Bruder. So eine Verletzung ziehe häufig eine Operation nach sich, und dann wäre sein Bruder wesentlich länger ausgefallen, hätte seine Karriere gar beenden müssen. Um fit zu bleiben, trainierte er indessen auf einem Hometrainer im Keller. Das „Rädle“, wie Hartmut Freund den Hometrainer nennt, habe ihm anfangs nicht gefallen, „aber jetzt ist’s gut“.

Italien, Schweden, Russland, Thailand – die Freunds sind gut rumgekommen

So konnte Hartmut Freund nicht bei den deutschen Meisterschaften des Deutschen Behindertensportverbands teilnehmen, bei denen er als fünffacher Sieger zu den Top-Favoriten zählt. Trotzdem sind die Freunds in diesem Jahr gut rumgekommen: Italien, Schweden, Russland, Thailand sind nur die Höhepunkte des Sportjahres 2016. Wann immer es geht, fahren die Freunds – Vater, Bruder und Hartmut – gemeinsam im Auto, um Kosten zu sparen. Denn der Deutsche Behindertensportverband zahlt Hartmut Freund keine Zuschüsse für die Teilnahme an Turnieren.

Den ersten Erfolg 2016 fuhr Freund bei der Malmö-Open ein, als er das Turnier ohne Satzverlust gewann. Im Februar beim Weltranglistenturnier im italienischen Ligagno holte er mit dem Russen Kemal Gayfullin Silber im Doppel. Im Einzel schied Freund gegen den Weltranglisten-Ersten, Florian van Acker aus Belgien, aus. In einem Video auf Youtube kann man einen Ballwechsel bestaunen, der 95 Sekunden lang ist und beim Publikum anhaltenden Applaus auslöst. Freund schmettert die hohen Bälle van Ackers mit Schmackes zurück, während der sie, weit hinter der Platte stehend, wieder vom Boden kratzt.

Lebensmittelvergiftung in Thailand

Im Juni gewann Freund dann bei den Deutschen Special Olympics im Einzel. Eine Premiere folgte im Oktober: das erste Weltranglistenturnier in Asien. „Ein bisschen aufgeregt war ich schon“, sagt Freund. Doch bei der Thailand-Open lief es nicht gut für ihn: sein erstes Turnier nach der Schulterverletzung, dazu hatte Freund losbedingt sehr schwere Gegner. Hinzu kam, dass ein großer Teil der Spieler eine Lebensmittelvergiftung vom Catering bekam. „Da ist mir das Essen nicht bekommen“, sagt Hartmut Freund. Außerdem habe es in die Halle geregnet.

Die weiteren Erfolge: Bronze im Herren-Doppel bei der Europameisterschaft im russischen Selenogradsk bei Königsberg, ebenso Bronze im Herren-Doppel bei den Bezirksmeisterschaften in Löchgau. Letztere Platzierung ist umso erstaunlicher, als Freund hier mit nicht behinderten Spielern konkurrierte. Und bei einem Show-Match zockte er den baden-württembergischen Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) ab. „Der Minister spielt gut Tischtennis“, sagt Hartmut Freund diplomatisch im Rückblick.

„Durch die vielen Turniere hat mein Bruder Fortschritte in persönlicher und intellektueller Reife gemacht“, sagt sein Bruder Norbert. Mit mehr Spielerfahrung und neuen Techniken könne er sein Alter „überkompensieren“. Für die vielen Medaillen und Urkunden musste seine Familie nun eine neue Vitrine kaufen. Die alte ist schon voll.