Die Justiz steht vor einer neuen Herausforderung. Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen rechnet bei Hasskriminalität mit einem Anstieg von 400 auf bis zu 25 000 Fälle. Die Anonymität im Netz ist allerdings ein Problem.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Hasskriminalität ist in Deutschland kein ernst zu nehmendes Problem. Auf diesen Gedanken könnte man zumindest bei einem Blick auf die Statistik kommen. Etwas mehr als 8100 Fälle sind 2018 staatlich erfasst worden, und das bundesweit. Nur zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum hat die Polizei nahezu 340 000 Ladendiebstähle aufgenommen. Doch die Lebenswirklichkeit ist eine andere. „Hass, Ausgrenzung und Einschüchterung haben teilweise eine demokratiegefährdende Dimension angenommen“, sagt der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen. Und er rechnet mit einer Flut neuer Verfahren, wenn denn das Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität verabschiedet wird.

 

Plattformbetreiber sollen dem BKA Verdachtsfälle melden

Im Bezirk der Stuttgarter Generalstaatsanwaltschaft, die im Wesentlichen in Württemberg zuständig ist, hatte es 2018 insgesamt 408 Verfahren in diesem Bereich gegeben. Im vergangenen Jahr waren es 470. „Für Baden-Württemberg rechne ich künftig mit 10 000 bis 25 000 Fällen“, sagt Brauneisen. Je nachdem, wie sich das Gesetz, das im Augenblick als Referentenentwurf vorliegt gestaltet, könnten es auch mehr werden.

Grund für den Anstieg sei die geplante Einführung einer Meldepflicht von Plattformbetreibern. Facebook und Co. sollen Inhalte mit einer möglichen Strafbarkeit künftig verpflichtend an das Bundeskriminalamt melden. Von dort werden die Fälle dann den zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet. Das würde alleine in seinem Bereich einen personellen Mehrbedarf von acht bis zwölf Anklägern erfordern, rechnet Brauneisen.

Bisher war nur das Löschen nötig

Auf die explosionsartige Vermehrung der Ermittlungsverfahren kommt Brauneisen mit Blick auf das aktuelle Vorgehen. Gemäß dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz hätten die Plattformbetreiber vom ersten Halbjahr 2018 an bis zum ersten Halbjahr 2019 rund 500 000 strafbare Inhalte von in Deutschland registrierten Nutzern gelöscht. „Ein Großteil dieser Löschungen käme künftig zur Anzeige“, sagt Brauneisen, der die neuen Pflichten für Plattformbetreiber gleichwohl für einen „richtigen Weg“ hält. Den Ermittlungsbehörden müsste allerdings dann auch das dafür notwendige Personal zur Verfügung gestellt werden, damit „das Gesetz nicht ins Leere läuft“.

Ebenso wichtig wie genügend Ermittler ist nach Ansicht von Achim Brauneisen ein konsequentes Vorgehen der Justiz. Im Bezirk der Stuttgarter Generalstaatsanwaltschaft seien im vergangenen Jahr 114 Personen wegen Straftaten verurteilt worden, die dem Bereich der Hasskriminalität zuzuordnen seien. Die wichtigsten Tatbestände dabei seien Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Mit 49 Prozent ist die Hälfte der Fälle mittels Internet begangen worden.

Die Anonymität im Netz ist nach Ansicht des Generalstaatsanwaltes eine große Gefahr. „In nahezu der Hälfte der auf den sozialen Medien geposteten Fälle konnten wir die Anonymität nicht durchbrechen.“ Zahlreiche Auskunftsersuchen der Behörden gingen ins Leere. Hier sei noch deutlich Nachbesserungsbedarf vorhanden.