Warum sind Abgeordnete offiziell fast nie befangen? Am Heidelberger CDU-Mann Stefan Harbarth hat sich eine Diskussion darüber entzündet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Berlin - Für einen Hinterbänkler hat es Stephan Harbarth (44) bundesweit zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Es ist indes weniger seine parlamentarische Arbeit (Motto: „Ihre starke Stimme in Berlin“) als sein Beruf, mit dem der Heidelberger CDU-Bundestagsabgeordnete national Schlagzeilen machte. Das war 2014 so, als die Einkünfte der Parlamentarier neben den Diäten offengelegt wurden: Mit mehr als 250 000 Euro im Jahr – der höchsten Stufe der Skala – gehörte der Wirtschaftsanwalt zu den zehn Topverdienern im Bundestag. Prompt hob eine Diskussion an, ob ein derlei vergütetes Engagement mit dem Mandat zu vereinbaren sei. Durchaus, versicherte Harbarth stets: Es tue Abgeordneten nur gut, wirtschaftlich unabhängig zu sein und „mit beiden Beinen im Leben“ zu stehen.

 

Nun hat sich an dem Heidelberger wieder eine grundsätzliche Debatte entzündet. Innerhalb und außerhalb des Parlaments wird gefragt, ob für eine Befangenheit von Abgeordneten nicht (schärfere) Regeln notwendig seien. Anlass ist die Abgasaffäre um Volkswagen, die den promovierten Juristen gleich zweifach tangiert: einerseits als Vorstandsmitglied der Mannheimer Anwaltssozietät SZA Schilling Zutt & Anschütz, die VW in der Sache nebst anderen Kanzleien berät, andererseits als Obmann der CDU im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.

Als solcher hatte Harbarth im vorigen Herbst mit dafür gestimmt, einen vor allem von den Grünen gewünschten Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen der VW-Affäre von der Tagesordnung zu nehmen – ohne die Rolle seiner Kanzlei zu erwähnen.

Kritik von Kollegen aus der Region

Als diese von der „Süddeutschen Zeitung“ publik gemacht wurde, setzte es allenthalben Kritik, auch von regionalen Kollegen. Der Grüne Gerhard Schick hätte zumindest eine „Offenlegung des Interessenkonfliktes“ erwartet, der SPD-Mann Lothar Binding wäre der Abstimmung ganz ferngeblieben – so wie er selbst es einst im Gemeinderat bei Angelegenheiten mit „Geschmäckle“ gehalten habe. Harbarth sah weder einen Interessenkonflikt – er persönlich sei gar nicht mit dem VW-Mandat befasst – noch einen Grund zur Enthaltung. Die Regierungsfraktionen hätten geschlossen für die Absetzung votiert, weil „eine sachgerechte Befassung des Ausschusses nicht möglich war“. Beistand bekam er von seinem Bruchsaler Fraktionskollegen Olav Gutting: die Grünen wollten doch „nur ein bisschen Theater veranstalten“.

Das Thema verschwand dann schnell wieder aus den Medien, inzwischen möchte sich Harbarth nicht mehr dazu äußern. Doch den Bundestag beschäftigt der Vorgang noch immer. Zwei Abgeordnete der Linkspartei, Caren Lay und Harald Petzold, insistierten hartnäckig beim Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU). Ihr Anliegen: „Bitte um Prüfung der Befangenheit von Abgeordneten.“ Es gelte sicherzustellen, dass Parlamentarier künftig nicht mehr in eigener Sache abstimmen dürften.

Präsident verneint Rüge für Harbarth

Lammerts Auskunft war für die Rechtspolitiker wenig befriedigend. Mehrfach habe sich der zuständige Ausschuss in den vergangenen Jahren mit diesem Thema befasst. Das Ergebnis laut dem Präsidenten: Nach geltendem Recht gebe es „keine zwingenden Gründe für einen Ausschluss von Stimmrechten eines Abgeordneten bei Entscheidungen des Bundestages, die diesen selbst begünstigen können“. Gegen eine solche Befangenheitsregelung spreche besonders, dass bei allgemeinen Gesetzen oft fast alle Abgeordneten betroffen seien. Beim Rechtsanwaltsgebührengesetz, zum Beispiel, wären dann alle Advokaten im Bundestag – es sind an die 100 – befangen. Die Folge: „Eine Beschlussfassung wäre dann kaum noch möglich.“ Anders verhalte es sich bei Gemeinderäten, die auch exekutive Funktionen ausübten.

Allerdings, so Lammert, seien Abgeordnete gegebenenfalls verpflichtet, mögliche Interessenverknüpfungen vor der Beratung offen zu legen. Ob das als Rüge für Harbarth zu verstehen sei?, fassten die Linken nach. Nein, entgegnete der Präsident unlängst, er habe nur allgemein die Rechtslage erläutert. Ein Verstoß liege nicht vor. Der Heidelberger Kollege habe ihm dargelegt, dass er weder als Anwalt noch als Vorstand mit dem VW-Mandat persönlich befasst gewesen sei; nur eine solche „entgeltliche Beschäftigung“ wäre aber von den Verhaltensregeln umfasst. Dass Harbarth mittelbar von den Mandaten profitiere, dass er als Partner mitrede und die „Personalhoheit“ über die angestellten Anwälte habe – auf solche Argumente von Lay und Petzold ging Lammert nicht ein.

Plädoyer für mehr politische Hygiene

Auch außerhalb des Parlaments wird der Vorgang kritisch gesehen. Von einer „fragwürdigen Doppelrolle“ spricht die Organisation Lobby Control, von einer „bedenklichen Verquickung der Interessen“ Transparency International. Kein Gemeinderat und kein Richter dürfe in Angelegenheiten mitentscheiden, die ihn selbst berührten, moniert der Politikbeauftragte der Korruptionsbekämpfer, Wolfgang Jäckle. Nur bei Volksvertretern fehle es an entsprechenden Normen, müsse „als einziger Schutz vor Missbräuchen die persönliche Integrität dienen“ – das sei höchst unbefriedigend.

Eine allgemeine Befangenheit hielte auch Jäckle weder für praktikabel noch für sachlich geboten; dann könnten Abgeordnete etwa nicht mehr über ihre Diäten beschließen. Für Abstimmungen in den Ausschüssen aber verlange die politische Hygiene klare, mit Sanktionen bewehrte Regeln. Im Konfliktfall wie bei Harbarth, so Jäckle, müssten diese „verbindlich Stimmenthaltung vorschreiben“.