Nach einem Dreifachmord an Kindern 1993 in Arkansas waren Schuldige schnell gefunden. Dieser Dokumentarfilm erzählt, wie schlampig dabei gearbeitet wurde, und wie die Verurteilten doch noch freikamen.

Stuttgart - In Krimis wird das Bauchgefühl der Ermittler oft gepriesen: wenn Cops und Schnüffler nicht Regeln und Gesetzen, sondern Instinkten, Sympathien und Antipathien folgen, finden sie zur Wahrheit hinter den Lügen. In der Realität führt der Weg dann eher anderswohin, wie Amy J. Bergs Dokumentarfilm „West of Memphis“ zeigt. Er erzählt von den sogenannten West Memphis 3, drei jungen Männern, deren Fall einige Jahren nach ihrer Verurteilung weltweit Aufsehen erregte.

 

Am 5. Mai 1993 verschwanden in der Kleinstadt West Memphis in Arkansas drei Buben im Alter zwischen 7 und 8 Jahren. Am nächsten Tag wurden ihre Leichen gefunden, und die Provinzpolizei brauchte nicht lange, um drei Tatverdächtige zu präsentieren: Jason Baldwin, (16), Jessie Misskelley (17) und Damien Echols (18). Das Tatmotiv – die Kids seien Teufelsanbeter, die Ritualmorde praktizieren wollten – mochte selbst in der Hinterwäldlerprovinz manchem weit hergeholt erscheinen, aber die Aussagen des Gerichtsmediziners über klare Belege für ausführliche Folterungen mit einem Messer halfen wohl, Zweifel zu zerstreuen.

Typen, die man gerne hasst

Vor allem aber waren die Verdächtigen unsympathisch. Sie waren als Täter, allesamt aus der weißen Unterschicht, perfekt gecastet. Misskelley: ein kaum formulierungsfähiger Einfaltspinsel, der gerade so als überhaupt noch zurechnungsfähig durchgehen mochte. Baldwin: ein pubertätsverwirrter bleicher Blässling, sozial so linkisch, dass sein käsiges Schweigen wie Hochmut wirkte: Echols: ein verrutscht angeberischer Provinzrebell, der mit feixenden Scheusalgrimassen auf die Aufmerksamkeit der Medien reagierte, ein Johnny-Depp-Imitator, der sich an einer Depp-Variante von Charles Manson versuchte.

Das Publikum hatte Leute vor sich, die es gerne hasste. Der Staatsanwalt und der Richter, die beide politische Karrieren im Sinn und Interesse an einer zügigen, knackigen Verurteilung hatten, ergriffen ihre Chance. Misskelley und Baldwin wurden zu lebenslänglicher Haft, Echols zum Tode verurteilt.

„West of Memphis“ zeigt mit Newsclips von damals, welchen Schwung die Sache hatte: auf der Bauchgefühlebene stimmte eben alles, und die weinenden Eltern hatten ja wenigstens das verdient: harte, klare Urteile.

Zeit für Zweifel

Nach Abbau der Nachrichtenscheinwerfer war aber gar nichts mehr klar. Die Unterstützergruppe, die sich formte, konnte schnell Hinweise auf spektakulär miserable Polizeiarbeit und eine mehr als zweifelhafte Anklagekonstruktion präsentieren. Der Fall wurde Teil der Popkultur, als HBO den Dokumentarfilm „Paradise Lost“ präsentierte, dem zwei Fortsetzungen folgen sollten.

„Paradise Lost“ war mit seiner Freisprechung der West Memphis 3 und der Präsentation eines anderen Schuldigen auf seine Art so schlampig und voreingenommen wie die Arbeit der Justiz. Aber nun war der populäre Spin da: die reaktionäre Provinz verteufelt Jugendliche und bestraft sie für ihr von der Norm abweichendes Auftreten. Dass die Band Metallica ihre Musik für den Film freigab, sorgte für viel Aufmerksamkeit, und die Memphis 3 bekamen nun immer mehr Aufmerksamkeit von Promis aus dem Showbiz: z.B. Henry Rollins, den Dixie Chicks, Johnny Depp und Peter Jackson.

Schule des Misstrauens

Jackson hat diesen Film auch produziert und taucht als Interviewpartner auf, was aber gar nicht stört. Es wird klar, dass Jackson und dessen kreative Partnerin in Kinosachen, Fran Walsh, stark engagiert waren. Aber „West of Memphis“, der den Fall bis zum kuriosen Ende verfolgt – Haftentlassung unter der Bedingung, dass sich die Verurteilten schuldig bekennen – bereitet den Fall halbwegs ausgewogen auf. Hochrangige Experten haben eben nachträglich die Arbeit der Anklage als Debakel entlarvt. Besonders gruslig wirkt die Aufarbeitung der ursprünglichen Spurenlagendeutung durch den offensichtlich inkompetenten Gerichtsmediziner.

Es trifft gewiss nicht nur auf diese Dokumentation zu, aber auf diese eben ganz besonders: sie hilft einem, instinktsichere Krimihelden sehr viel kritischer zu betrachten.

„West of Memphis.“ Sony Pictures Home Entertainment. In Deutschland als Burn-on-Demand-DVD, die Importfassung ist eine reguläre Industriepressung. 141 Minuten. Audiokommentar mit Amy Berg, Damien Echols und Lorri Davis. Format 1,78:1. Dolby 5.1.