Noah Baumbachs Netflix-Film „Marriage Story“ gilt als einer der großen Oscar-Favoriten. Die wunderbare Tragikomödie erzählt vom schwierigen Versuch, eine Ehe gütlich zu beenden.

Stuttgart - Nach zehn Jahren Ehe läuft es nicht mehr zwischen Nicole und Charlie. Die beiden wollen sich scheiden lassen, aber gütlich. Schon dem Sohn Henry zuliebe will man einander verbunden bleiben, man muss schließlich eine komplizierter werdende Elternschaft managen. Der Theaterregisseur Charlie (Adam Driver) will in New York bleiben, er steht nach Jahren des Ruhms als Großtalent der Alternativszene vor dem Sprung an den Broadway. Nicole (Scarlett Johansson) geht zurück nach Los Angeles, wo sie aufgewachsen ist, und nimmt ihre Film- und Fernsehkarriere wieder auf. Über all das können die beiden gut miteinander reden, sie haben einen Grundsatz: keine Anwälte.

 

Plötzlich doch mit Anwalt

Kaum aber ist Nicole in Los Angeles angekommen, folgt sie dem Rat, sich doch die Anwältin Nora (Laura Dern) zu nehmen. Charlie begreift das erst gar nicht und will weiter einfach so mit Nicole verhandeln. Bis ihm Nora androht, wenn er nicht umgehend eine anwaltliche Vertretung benenne, werde er wegen Verfahrensverschleppung summarisch geschieden. Alle seine Habe und das Sorgerecht fielen dann an Nicole. Das folgende absurde Durcheinander von giftigem Rechtsstreit und menschlichen Kommunikationsversuchen bildet den Stoff von Noah Baumbachs Spielfilm „Marriage Story“.

Der hat in der aktuellen Filmpreissaison bereits viele Nominierungen eingeheimst und gilt als einer der Oscar-Favoriten. Baumbach bringt das Kunststück fertig, eine jener Seelenmühlen zu zeigen, durch die einst die Figuren in den Filmen von John Cassavetes gedreht wurden, und zugleich den absurden Humor der jeweiligen Situation offenzulegen.

Alles wird verdreht

Die juristische Ebene wirkt kafkaesk: Nach kurzer Zeit kosten die Anwälte mehr, als zum Aufteilen zwischen Nicole und Charlie überhaupt da war. Schlichte Alltäglichkeiten werden zu umstrittenen Komplexitäten, alles wird in ein neues Licht gestellt, verdreht und umgewertet. Gegen die nun herbeikonstruierten Konflikte war die Entfremdung der Eheleute zum Zeitpunkt der Scheidungsentscheidung fast schon glühende Liebe.

Daraus könnte Baumbach, der Lebenspartner der Schauspielerin Greta Gerwig, die in einigen seiner Filme wie „Frances Ha“ Hauptrollen hatte und mittlerweile wie bei „Lady Bird“ selbst Regie führt, eine wilde Groteske machen. Aber er wahrt nicht nur einen fairen Blick auf die Anwälte, denen er zugesteht, auch nur ihre Rollen zu spielen und als Mensch vielleicht ein wenig neben dem eigenen professionellen Handeln zu stehen. Er erkundet auch eine tiefere Gespaltenheit von Nicole und Charlie, die im Scheidungskrieg nur klarer hervortritt.

Die große Ratlosigkeit

Die beiden möchten miteinander können, und das eben nicht nur, um dem anderen Vorteile abzuschnurren. Sie möchten einander vielleicht sogar noch lieben, aber sie wissen nicht mehr, wie. Die Worte, Gesten, Grimassen laufen ihnen davon, man sieht ihre Ratlosigkeit nicht nur angesichts dessen, was sie zu hören bekommen, sondern auch angesichts dessen, was sie eben selbst gesagt haben.

Das ist schmerzhaft lebensnah, und doch darf man hier darüber lachen: „Marriage Story“ ist wie Martin Scorseses „The Irishman“ einer der großen Filme des Jahres. Dass beide für Netflix entstanden sind, nicht für eines der großen Hollywoodstudios, sagt viel über den Zustand der Traumfabrik.