Anderswo is’ auch scheiße, sagt man im Ruhrgebiet. Hamburg hat dagegen einen geilen Weihnachtsmarkt. Und unser Lokalchef Holger Gayer freut sich wieder auf Stuttgart.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Selbst eingeborenen Schwaben tut es bisweilen gut, die Nase über den Kesselrand zu heben, um andere Luft zu schnuppern. Jene von Hamburg zum Beispiel. Aktuell sind zwei wesentliche Erkenntnisse von dort zu verzeichnen. Erstens: Der laut hanseatischer Selbstwahrnehmung „geilste Weihnachtsmarkt der Welt“ befindet sich nicht in Stuttgart, sondern in St. Pauli. Statt Nussknackern gibt es dort Holzdildos, und es ist auch kein weißbärtiger Herr vorhanden, der eine rote Kappe trägt, sondern eine bemützte Gummipuppe mit vielen Öffnungen. Doch all die Freuden dürfen – inklusive der scharfen Currywurst von der Heißen Ecke – nur Erwachsene genießen: Eintritt erst ab 18.

 

Kontrolliert wird das aber ebenso wenig wie der Preis der Elbphilharmonie, womit die zweite (nicht ganz neue) Erkenntnis formuliert wäre: Auch in Hamburg steigen die Kosten gerne um das Zehnfache. „Im Gegensatz zum Flughafen in Berlin ist die Elbphilharmonie aber wenigstens offen“, tönt eine Barkassenkapitänin bei der Hafenrundfahrt, was bei den schwäbischen Mitreisenden zu zwei Reaktionen führt: Erleichterung, dass die Schiffsführerin nicht auch noch von einem Tiefbahnhof spricht, und volle Konzentration, damit das Inkognito aufrechterhalten bleibt und man ja nicht angesprochen wird.

Heiße Füße bei drei Piccolöchen

Manchmal reicht allerdings das Hören. So geschehen auf der Rückfahrt im ICE. Gestrandet in Hannover. Vollsperrung wegen Personenschadens auf der Strecke nach Göttingen. Im Großraumwagen drei ältliche Junggesellinnen, offenkundig fränkischer Herkunft, nach dem dritten Piccolöchen. Junggesellin 1 (JG1) hat heiße Füße. Sie hasst aber Hitze. Daheim im Wohnzimmer wäre sie jetzt barfuß. Junggesellin 2 (JG2) stellt fest, dass dies aber ein Zug sei, was Junggesellin 3 (JG3) dazu verleitet, JG1 eine Illustrierte zum Zeitvertreib anzubieten. JG1 sagt, dass sie keine Lust zum Lesen habe, meistens habe sie aber keine Zeit dazu, weil sie lieber die Beine baumeln lasse. Ob dabei auch die Füße abkühlen, wird nicht geklärt.

JG3 bekennt derweil, dass sie gerne Avocados esse. Aber die Ökobilanz sei schlecht. JG1 geht auf die Toilette. JG2 mag Mandarinen, was der Ökobilanz ebenfalls nicht zuträglich ist. Aber eine Kollegin habe mit einer Mandarinendiät vier Kilo abgenommen, mindestens eine Hosengröße. JG1 ist zurück, erleichtert, hat jetzt aber Knie. Die schlimmsten, sagt JG2, seien die alten Frauen. Laufen mit ihren 80 Jahren abends in die Kirche, stürzen, brechen sich den Oberschenkelhals und werden zum Pflegefall, den der Steuerzahler durchfüttern müsse. JG1 erwidert, sie habe Supertabletten zu Hause. Damit habe sie ihr Essen unter Kontrolle. Und die hülfen auch beim Stuhlgang. JG3 erklärt, dass sie einmal in der Woche ihre Mutter im Altenheim besucht. Die Alte kommandiere immer noch rum. Sie sei bald ein Fall für den Psychiater, sagt JG3. JG1 und JG2 schweigen.

Fulda. JG1, 2 und 3 steigen aus. Die zurückgebliebenen Reisenden im Großraum applaudieren erleichtert. Nur noch 48 Minuten Verspätung. Weitere Zugaben sind nicht vorgesehen. Heimat, wir kommen!