Die Renninger Klage gefährdet die Hermann-Hesse-Bahn nicht, sagt der Calwer Landrat Helmut Riegger im Gespräch.

Calw - Seit Jahren liegt der Calwer Landrat Helmut Riegger (CDU) mit den Partnern seiner Hermann-Hesse-Bahn im Clinch. Geplant wird die Reaktivierung der Bahn von Calw in Richtung Stuttgart schon lange. Nachdem die Einigung mit dem Nabu und der Stadt Weil der Stadt gelungen ist, hat jetzt Renningen Widerstand angekündigt. Noch im Herbst will der Gemeinderat entscheiden, ob er die im Juli eingereichte Klage aufrechterhält. Was heißt das für das Projekt? Ein Gespräch mit Riegger und seinem Verkehrsdezernten Andreas Knörle in der Cafeteria der Calwer Landratsamts.

 

Herr Riegger, Ministerialdirektor Lahl hat angekündigt, im Streit um die Hesse-Bahn vermitteln zu wollen. Sehen Sie das als Einmischung in Ihr Projekt oder als Chance?

Riegger: Herrn Lahl schätze ich sehr. Er treibt viel voran und hat uns bei der Diskussion mit dem Nabu um die Fledermäuse sehr geholfen. Wenn er jetzt vermitteln möchte, nehme ich das gerne an.

Was erwarten Sie sich von den Gesprächen?

Riegger: Ich weiß noch gar nicht, welche Themen auf dem Tisch liegen. Renningen muss jetzt erst einmal liefern und sagen, warum und gegen was sie klagen.

Was bedeutet die Klage der Stadt Renningen konkret für die Hesse-Bahn? In Renningen können Sie vorerst nicht bauen, oder?

Riegger: Wir sind schon mitten im Bau für die Hermann-Hesse-Bahn. In zweieinhalb Jahren, im Sommer 2022, wollen wir fertig sein. Der Bahnhof Renningen folgt ohnehin erst ganz am Schluss. Die Klage tangiert uns im Augenblick also nicht.

Knörle: Der reine Umbau des Renninger Bahnhofs kostet 230 000 Euro. Daraus können Sie schließen, dass die Maßnahme dort sehr klein ist. Der Rest der 2,5 Millionen Euro fließt vor allem in die Signaltechnik und in zusätzliche Weichen. Das sind zwar hohe Kosten, die sich dahinter verbergenden Maßnahmen sind aber sehr schnell umzusetzen. Mehr als drei Monate brauchen wir dafür ohnehin nicht. Deshalb sehen wir der Renninger Klage gelassen entgegen.

Riegger: Ich bin auch deshalb entspannt, weil wir auf uns schauen, nicht auf andere – im Gegensatz zu den Kollegen in Weil der Stadt oder Renningen. Wir versuchen, unser Projekt voranzutreiben, und nicht irgendetwas zu verhindern. Das ist ein großer Unterschied.

Welche Motive vermuten Sie hinter der Klage?

Riegger: Spekulieren ist in der Politik immer schlecht. Wenn Sie einmal mit etwas Abstand auf das Projekt schauen, dann müssen wir uns als kommunale Familie schon fragen, wie das eigentlich ankommt. Von Seiten der Bürger versteht doch niemand, dass wir uns als Politiker nur rumstreiten. Wir reden derzeit viel von Klimaschutz – da passt unsere Hermann-Hesse-Bahn als zukunftsweisendes Mobilitätskonzept voll in die Zeit.

Knörle: Wir waren mit Renningen zu dem Planfeststellungsverfahren in Kontakt. Renningen hatte Einwendungen eingereicht, die wir alle berücksichtigt haben – und klagt jetzt trotzdem, obwohl alle ihre Wünsche erfüllt wurden. Das hat schon ein gewisses Gschmäckle.

Gespräche bringen nur was, wenn man sich am Ende auf einen Kompromiss einigt. Sind Sie überhaupt bereit, von Ihren Plänen abzurücken?

Riegger: Jetzt warten wir erst einmal die Gespräche ab. Wir haben seit sechs Jahren ein Konzept, um das wir hart gekämpft haben. Warum soll ich davon jetzt abrücken? Für uns gilt das Stufenkonzept.

Sie sind seit neun Jahren Landrat in Calw. Wann kam Ihnen zum ersten Mal der Gedanke, dass die Reaktivierung der Bahnstrecke nach Weil der Stadt ein realistischer Plan sein könnte?

Riegger: Pläne dafür habe ich schon von meinem Vorgänger übernommen. Hier in Calw ist die Bevölkerung auf mich zugekommen und hat immer wieder darum gebeten: Sie müssen das probieren. Auch der Verein „Württembergische Schwarzwaldbahn Calw“ hat mich da auf das richtige Gleis gesetzt.

Eine erste Idee war es dann, die S-Bahn zu verlängern.

Riegger: Ja, wir wollten damals die S-Bahn. Die Kosten dafür wurden auf 80 bis 90 Millionen Euro geschätzt – das hätte also der Bund fördern müssen. Deshalb sind wir immer wieder nach Bonn gefahren, um uns dort beraten zu lassen. Es gab dazu aber auch viele Gespräche mit dem Verband Region Stuttgart. Damals hat die Region Stuttgart eine S-Bahn-Verlängerung definitiv abgelehnt.

Unter anderem, weil die Kapazität der S-Bahn damals nicht ausgereicht hätte, wie man heute in Stuttgart erklärt.

Riegger: Für uns war vor sieben Jahren der ausschlaggebende Punkt ein Spitzengespräch mit der damaligen Verkehrsministerin Tanja Gönner. Die Ministerin hat mir gesagt: Macht es doch selbst! Wenn Ihr nach Weil der Stadt oder Renningen fahrt, unterstützen wir Euch. Das war die Geburtsstunde der Hermann-Hesse-Bahn.

Jetzt hat sich die Diskussion um 180 Grad gedreht. Die Region Stuttgart will die S-Bahn nach Calw, aber Sie nicht. Warum?

Riegger: Ich freue mich, dass der Verband Region Stuttgart nach sieben Jahren erkannt hat, dass wir in einer gemeinsamen Metropolregion leben, zu der auch der Kreis Calw gehört. Das wissen viele nicht. Die S-Bahn können wir gerne verlängern. Ich sage den Kollegen in Stuttgart immer: Wenn Ihr mir ein Konzept zur S-Bahn-Verlängerung liefert, dann können wir über alles reden. Ich sehe momentan aber kein Konzept.

Knörle: In der Diskussion werden Äpfel mit Birnen verglichen, denn wir reden hier von völlig verschiedenen Zeithorizonten. Die Hermann-Hesse-Bahn ist durchgeplant und finanziert und fährt in zweieinhalb Jahren. Für alles, was danach zu einer Verbesserung führt – zum Beispiel die Express-S-Bahn – sind wir offen.

Selbst das Verkehrsministerium sagt aber: Wenn Ihr jetzt schon wisst, dass später die S-Bahn verlängert wird, dann könnt Ihr Euch den 2,5 Millionen Euro teuren Umbau des Renninger Bahnhofs sparen und zunächst nur bis Weil der Stadt fahren.

Riegger: Das Verkehrsministerium sagt aber auch: Den Renninger Bahnhof muss man auf jeden Fall umbauen, auch für die Express-S-Bahn. Die 2,5 Millionen Euro müssen wir also auf jeden Fall ausgeben, das ist also keine Verschwendung von Steuergeldern.

Aber Calw könnte sich das Geld sparen.

Riegger: Wir haben einen anderen Blick darauf. Wir wollen unseren Fahrgästen das beste Konzept anbieten. Mindestens 570 Menschen wollen nicht nach Stuttgart, sondern in Richtung Sindelfingen und Böblingen – und die müssten zweimal umsteigen. Das macht niemand. Deshalb fahren wir jetzt bis Renningen. Und wenn dann ein besseres Konzept vorliegt, dann setzen wir das um. Das haben wir schon 2015 mit all jenen so besprochen, die jetzt klagen oder geklagt haben. Daran hat sich nichts geändert.

Nach einer Schätzung kostet die S-Bahn-Verlängerung bis Calw mindestens 28 Millionen Euro mehr als die Hermann-Hesse-Bahn. Ist das überhaupt realistisch? Oder geht das nur, wenn das das Land bezahlt?

Riegger: Darüber müssen wir natürlich reden. Wir in Calw haben leider keine so hohe Steuerkraftsumme wie der Landkreis Böblingen. 30 Millionen Euro sind für uns unheimlich viel Geld. Stand heute weiß ich nicht, wie ich das bezahlen sollte.

„Wenn die Hesse-Bahn bis Renningen fährt, dann wird der Kreis Calw keinen Finger mehr krümmen“, hatte der SPD-Kreisrat Hans-Josef Straub im Februar in unserer Zeitung gesagt.

Riegger: Das sind Behauptungen. Ich rate, mich daran zu messen, was ich umsetze. Und wenn andere Konzepte, wie die Express-S-Bahn, eine Verbesserung sind, dann kann man mit uns darüber reden.

Der Verkehrsdirektor der Region Stuttgart, Jürgen Wurmthaler, hat im August darauf hingewiesen, dass Sie sich viele Millionen Euro an Betriebskosten sparen, wenn Sie nur bis Weil der Stadt fahren.

Knörle: Wenn wir auf der Schienen-Trasse der Deutschen Bahn bis Renningen fahren, haben wir Mehrkosten. Dem gegenüber stehen mehr Einnahmen, weil wir mehr Fahrgäste haben. Deshalb rechnet sich das.

Warum wird das Thema eigentlich so emotional diskutiert?

Riegger: Da kann ich nur spekulieren. Manche in Renningen oder Weil der Stadt haben vielleicht den Eindruck, dass wir ihnen etwas wegnehmen, wenn Calw angeschlossen wird – etwa Einwohner oder Gewerbe. Angesichts der Herausforderungen wie Klimaschutz oder Verkehrschaos müssen wir jetzt aber nach vorne schauen.

Knörle: Wir identifizieren uns mit diesem Projekt zu hundert Prozent und vertreten das nach außen. Dass wir dann manchmal emotional werden, ist doch klar.

Riegger: Was mir noch niemand erklären konnte: Warum sind die Renninger eigentlich dagegen, dass ein Zug bis Renningen fährt? Derzeit stehen die Menschen um Renningen herum im Stau.

Man befürchtet, dass das ganze Stuttgarter S-Bahn-Netz aus dem Takt kommt.

Riegger: Wir haben in zwei Stresstests nachgewiesen, dass das nicht so ist. Außerdem haben wir versprochen, der S-Bahn in jedem Fall Vorfahrt zu gewähren.

Verzögert hat sich das Projekt auch wegen der Diskussion mit dem Nabu um die Fledermäuse. Haben Sie das Thema Naturschutz unterschätzt?

Riegger: Nein, unterschätzt haben wir das nicht. Wir hatten den Naturschutz von Anfang an auf dem Schirm und haben schon immer sehr viel für den Fledermausschutz getan. Deshalb hatte ich in der Tat nicht damit gerechnet, dass der Nabu klagt.

Sie hatten sich dann geeinigt, in die alten Tunnel Trennkammern einzubauen. Gibt es schon jemanden, der das bezahlt?

Riegger: Nein, das werden wir demnächst angehen. Wir sind zuversichtlich, dass wir das mit dem Verkehrs- und dem Umweltministerium hinbekommen.

65 Millionen kostet das Gesamtprojekt Hermann-Hesse-Bahn. Alle Bauprojekte verteuern sich derzeit, nur die Hermann-Hesse-Bahn nicht. Was machen Sie besser als andere?

Knörle: Durch die jahrelange Verzögerung hatten wir Zeit, viel viel tiefer zu planen und eine bessere Kostensicherheit zu bekommen.

Der Böblinger Landrat hatte vorgeschlagen, dass sich der Kreis Böblingen mit 3,9 Millionen Euro beteiligt. Verhandeln Sie das noch?

Riegger: Böblingen hat das zugesagt und hält es nicht ein. Dreimal sind wir ausgeladen worden, in den Verkehrsausschuss des Böblinger Kreistags zu kommen. Das ist unter Kollegen nicht in Ordnung. Deshalb rede ich darüber nicht mehr.

Sie äußern sich gerne sehr pointiert. Sie nennen Ihre Partner im Kreis Böblingen zum Beispiel schon mal „Nörgler“. Führt diese Rhetorik wirklich zum Ziel?

Riegger: Ich will gestalten. Wenn andere meinen, sie müssten über den Kreis Calw reden oder versuchen, Projekte im Kreis Calw zu verhindern, dann muss man eine deutliche Sprache sprechen. So geht man in der Politik nicht miteinander um. Ich will als Politiker wahrgenommen werden, der etwas gestaltet, der verlässlich ist, nicht verhindert. Wenn es Verbesserungsvorschläge gibt, rede ich jederzeit darüber.

Sprechen Sie mit den Bürgermeistern oder Kreis- und Regionalräten aus dem Kreis Böblingen, die sich äußern, überhaupt noch?

Riegger: Wir haben seit Jahren ein fertiges Konzept und sind schon viele Kompromisse wie zum Beispiel den Stresstest eingegangen. Wenn das jemand nicht will, muss er doch zu mir kommen. Man hält gerne Klageschriften hoch, ruft mich aber nicht an. Das finde ich nicht in Ordnung. Auf der Fachebene arbeiten wir aber gut zusammen, auch mit Renningen.

Auch manche Bürger fühlen sich von Ihnen nicht genügend informiert.

Riegger: Ich würde gerne mehr Öffentlichkeitsarbeit machen. Nur ein Beispiel: Vor fast vier Jahren hatten wir eine Projekt-Zeitung verteilt. Das wollten wir halbjährlich machen – das war aber im Kreis Böblingen nicht gewünscht.