Der Kabarett-Altmeister Henning Venske hat im Renitenztheater in Stuttgart Lektionen in anarchistischer Staatsbürgerkunde erteilt. Im nächsten Jahr geht der 78-Jährige auf Abschiedstournee.

Stuttgart - Stellen Sie sich vor, Sie wären ein zur Miete lebender Satiriker und überwiesen Ihrem Stuttgarter Unterstandsgeber fortan monatlich nur noch einen Euro. Verwendungszweck: „Satire darf alles“. Vermutung: Sie säßen recht bald auf der Straße. Auch Kurt Tucholsky kann dann kaum noch helfen. Doch nicht nur in puncto Wohnungslosigkeitsvermeidung ist die Frage nach der Befugnis der Satire relevant. Bestens also, dass das Renitenztheater dem Altmeister Henning Venske am Mittwoch Obdach bot und ihn sein Programm „Satire – Gemein, aber nicht unhöflich“ zum Vortrag bringen ließ.

 

„Anarchistische Staatsbürgerkunde“ habe das Publikum zu erwarten, erklärt der 78-Jährige, nachdem er selbiges „im Ohrfeigenseminar“ willkommen geheißen hat. Nichts anderes sei Satire. Die dürfe sowohl feinsinnig als auch grob geartet sein: „Niveau ist eine plumpe Ausrede für miese Pointen.“

Wie man sich in Szene setzt, weiß Venske, arbeitet er doch nicht nur als Autor, sondern auch als Schauspieler und Regisseur. In weißem Hemd und grauem Anzug auf einem Hocker sitzend und mit einem Notenständer zwischen den Beinen, um aufs Textblatt spicken zu können, passiert er die Kampfplätze der Satire. Begriffe wie „dürfen“ und „alles“ schlössen sich gegenseitig aus, denn „dürfen“ impliziere ja, dass es eine Grenze gebe. An die glaubt Venske nicht.

Ist Demokratie überhaupt möglich?

Satire, so lassen sich seine Ausführungen interpretieren, habe eher Möglichkeiten denn Grenzen. Zum Beispiel jene, Systemschwächen anzuprangern. Die gegenwärtige Demokratieform etwa überzeugt Venske nur schlecht: „Eine Regierung ist für mich der überflüssigste Teil der Bevölkerung.“ Einfluss nehmen könne das Volk, von dem alle Staatsgewalt ja angeblich ausgeht, sowieso kaum, man denke an Mehrwertsteuer- oder Fahrpreiserhöhungen. Venske stellt auch generell in Frage, ob Demokratie in einem kapitalistischen System überhaupt möglich sei.

Um Relativierungen bemüht er sich nie. Er ist ein Radikaler, der im Laufe seiner Karriere schon von etlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geschasst wurde, weil er Sätze wie „Manchmal denke ich, es wäre nicht das Schlechteste, wenn das deutsche Volk aussterben würde“ trocken von sich gibt. In den Reihen des Renitenztheaters vernimmt man dabei einige Japser. Vor der Satire ist eben niemand sicher, nicht einmal ihre Fans. Wer sich in die bekanntermaßen allerletzte Zuflucht retten, also religiös werden will, wird ebenfalls abgewatscht: „Wer glaubt, weiß zu wenig“, so Venske.

„Politiker sagen jedes Mal die Wahrheit, wenn sie sich gegenseitig Inkompetenz vorwerfen“, ist auch so ein typischer Venske-Satz. Er sorgt für Lacher, aber spiegelt Trauriges wider: An den Missständen, gegen die der Kabarettist seit mehr als einem halben Jahrhundert schreibt, ändern Machthaber tatsächlich wenig, solange kein übermäßiger gesellschaftlicher Druck auf sie ausgeübt wird. Aufgehört zu kritisieren hat Henning Venske der Demokratieverdrossenheit zum Trotz bis heute glücklicherweise noch nicht. Erst im nächsten Jahr wird er auf Abschiedstournee gehen.