Henry Kissinger war als US-Außenminister in der ganzen Welt zuhause. Seine Heimat aber war und blieb immer das deutsche Fürth, von wo seine Familie vor den Nazis fliehen musste. Am Montag wird Kissinger 90 Jahre alt.

Stuttgart - Es gibt eine Art von Heimattreue, die über Sentimentalität weit hinausgeht. Im September vorigen Jahres kam Henry Kissinger, der frühere Außenminister der USA, extra nach Fürth, um dem Aufstiegsspiel der Spielvereinigung Fürth beizuwohnen. Da saß der berühmte Mann auf der Tribüne, einen weiß-grünen Fan-Schal um den Hals. Kissinger, 1923 in Fürth geboren, hatte früh schon ein enges Verhältnis zu dem Fußballklub, der in den zwanziger Jahren mehrfacher deutscher Meister geworden war. Als die jüdische Familie 1937 vor den Nazis fliehen musste, bewahrte Heinz Alfred, wie er früher hieß, die Treue zum Verein. Längst Regierungsberater und Außenminister der Vereinigten Staaten, ließ Kissinger sich stets von der Deutschen Botschaft über die Spielergebnisse seines Fürther Vereins informieren.

 

So viel Heimattreue mag erstaunen bei einem Mann, von dem ein US-Journalist schrieb, er sei der herausragendste Außenpolitiker und Verhandlungsführer des 20. Jahrhunderts gewesen. Henry Kissinger hatte nicht nur einen deutschen Akzent, den er zum Markenzeichen machte, auch als Wissenschaftler und Politiker konnte er seine deutschen Wurzeln nicht verleugnen. Als er nach dem Krieg, an dem er als amerikanischer Soldat teilgenommen hatte, in Harvard Politische Wissenschaften studierte, promovierte der Hochbegabte über Fürst Metternich und den Wiener Kongress von 1815. Seine Arbeit, „Das Gleichgewicht der Mächte“ wurde zu einem Klassiker der Geschichtsschreibung. Kissinger schlug damit ein Thema an, das für die Amerikaner ungewohnt war, aber ihre Politik zumindest zeitweilig prägen sollte.

Der Erfinder der Pendeldiplomatie

Als Richard Nixon 1969 Präsident der USA wurde, berief er Kissinger zu seinem außen- und sicherheitspolitischen Berater. Die beiden konnten sich nicht ausstehen, stimmten in ihren „realpolitischen“ Einschätzungen aber überein. Der Intellektuelle empfahl dem Präsidenten eine neue Linie: Die USA müssten auf ihre Rolle als Weltgendarm verzichten und sich zu einer verhandlungsbereiten Großmacht wandeln.

In geheimer Mission verhandelte Kissinger mit China, dessen wachsende Bedeutung er früh erkannte. Mit Moskau kam es zu Abrüstungsvereinbarungen, und schließlich führte er Geheimgespräche mit dem nordvietnamesischen Unterhändler Le Duc Tho, die 1973 zu einem Friedensabkommen führten. Dafür erhielten die beiden den Friedensnobelpreis, den Kissinger verbittert zurückgab, als Nordvietnam den Süden vertragswidrig besetzte. Mehr Erfolg hatte er als Vermittler zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Er gilt als der Erfinder der „Pendeldiplomatie“. Unter Druck geriet Kissinger, als ihm vorgeworfen wurde, er habe den Putsch von General Pinochet in Chile gegen Präsident Allende unterstützt. Aber bewiesen wurde das nicht. 0bwohl hoch angesehen, musste Kissinger immer auch mit Vorbehalten der etablierten amerikanischen Klasse leben. Außenminister Lawrence Eagleburger, sein Amtsnachfolger, hielt ihm vor, als Deutscher in den Kategorien des Gleichgewichts der Kräfte zu denken: „Das steht im völligen Gegensatz zur amerikanischen Erfahrung. Kissinger verfügt nicht über ein angeborenes Gefühl für das politische System Amerikas.“ So dachten nicht wenige seiner Kritiker. Heute wird Kissinger 90 Jahre alt.