In Herrenberg gibt es jetzt einen Lieferdienst, der auf Muskelkraft statt PS setzt.

Herrenberg - Die Herrenberger Rikscha ist im Sommer der Renner gewesen. Engagierte Bürger hatten den Fahrservice gemeinsam mit dem Stadtmarketing ins Leben gerufen. Überwiegend ehrenamtlich chauffierten die zehn Radler das weiße Gefährt durch die Altstadt: Sie brachten Senioren mit schweren Einkaufstaschen vom Markt nach Hause oder fuhren Familien mit Kindern durch die engen Gassen. Einmal wurde die Rikscha sogar zum Rettungswagen, als ein älterer Mann auf der Straße zusammenbrach und per Rikscha ins Krankenhaus gebracht wurde.

 

Ende November endete die Aktion – im Winter ist der kostenlose Fahrservice nicht so gefragt – hinzu kam der Lockdown. Aber die Radler wollen trotz winterlicher Temperaturen weiterstrampeln. Und so haben sie einen neuen Service ins Leben gerufen: einen Lieferdienst, der Waren mit Muskelkraft innerhalb der Stadt transportiert.

Die Radkuriere aus Karlsruhe übernehmen den Telefondienst

Einer der ersten, der den Radkurierdienst in Anspruch nimmt, ist Kevin Bandel von der Kaffeerösterei Maycoffee im Stadtteil Gültstein. Er beliefert mehrere Geschäfte und Gastronomen, aber auch die Herrenberger Stadtverwaltung mit Kaffee. Statt mit dem Auto werden die Pakete nun per Rad transportiert. Zwei- bis dreimal in der Woche fährt Claudius Banani, einer der Organisatoren der Radkuriere, zur Rösterei und belädt seinen Anhänger mit den Kaffeetüten.

Unterstützung holten sich Banani und seine Kollegen vom Radkurierdienst in Karlsruhe, wo dieser Service bereits etabliert ist. Aktuell läuft die telefonische Auftragsannahme über die Kollegen in Karlsruhe – die Anrufe an die Herrenberger Nummer werden dorthin weitergeleitet.

Fast täglich ist Banani, der sonst beruflich als Außendienstler unterwegs ist, zurzeit aber vor allem im Homeoffice tätig ist, als Radkurier auf Tour. „Zwei bis drei Stunden am Tag und täglich etwa 20 Kilometer“, beschreibt er sein ehrenamtliches Engagement. Wind und Wetter können den 51-Jährigen dabei nicht schrecken. „Das viele Radeln an der frischen Luft stärkt mein Immunsystem.“ 5,80 Euro erhält Banani pro Lieferung – unabhängig von der Strecke, die er zurücklegt. Doch das Geld ist ihm nicht wichtig. „Das spende ich, wie meine Kollegen auch.“ Er ist Radfahrer aus Überzeugung. Einem nachhaltigen Leben hat er sich verschrieben, fährt neben dem E-Bike nur Elektroautos und erzählt stolz von seinem Passiv-Plus-Eigenheim, das mehr Energie produziere als er mit seiner Familie verbraucht. Das Ziel der Stadt Herrenberg, bis 2050 klimaneutral zu sein, ist Claudius Banani viel zu langsam. „Wir wollen zeigen, dass Handeln für den Klimaschutz schnell gehen kann“, sagt er.

Die Radkuriere wünschen sich mehr Kunden

Auch seine fünf Kollegen beim Radkurier-Service sind von einem ähnlichen Geist beseelt. So auch Barbara Will, die einzige Frau im Team, die täglich mit ihrem Rad von Herrenberg zu ihrem Arbeitsplatz nach Reutlingen fährt – ausschließlich mit Muskelkraft. Und in ihrer Freizeit liefert sie dann Waren in Herrenberg aus. Nicht nur Läden und Gaststätten fahren die Kuriere an, sondern auch die Post, über die Kevin Bandel von der Kaffeerösterei häufig Pakete verschickt.

Noch steckt der Lieferdienst in den Anfängen. Aktuell fünf Auftraggeber gibt es, darunter auch der Herrenberger Cap-Markt und die Stadtverwaltung. „Wir brauchen weitere Kunden“, sagt Banani. Er denkt beispielsweise an eine Medikamentenauslieferung für Apotheken.

Doch Bananis Pläne gehen noch weiter Er möchte gerne zentrale Paketstationen installieren, an denen Kurierfahrer mit Autos ihre Pakete ablegen. „Wir bringen sie dann mit dem Rad zu den Leuten. Da müssen doch nicht in den engen Gassen fünf Transporter unterwegs sein“, sagt er.