In einem gelben VW-Bus aus den 70er Jahren dürfen Bürger aller Stadtteile ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen. Daraus wird eine Ausstellung konzipiert.

Herrenberg - Unvorstellbar für heutige Generationen: noch vor 50 Jahren waren in vielen ländlich geprägten Gebieten Ehen zwischen Katholiken und Protestanten ein Tabu. Paare, die sich dem widersetzten, hatten es schwer, wurden manches Mal von der Kanzel herab vom Pfarrer vor allen bloßgestellt. „Man brauchte Mut, um für seine Liebe einzustehen“, sagt Manuela Epting. Die Referentin des Programms „Demokratie leben!“ im Herrenberger Rathaus sammelt mit ihrer Kollegin Vanessa Watkins seit einigen Wochen genau solche „Mutgeschichten“ – und zwar von Herrenberger Bürgerinnen und Bürgern.

 

Dafür gibt es das so genannte Mut-Mobil: ein gelber VW-Bus aus den 70er Jahren. Dieser steuert gezielt Feste und Veranstaltungen in allen acht Herrenberger Stadtteilen an. Jeder Einwohner, der etwas beisteuern möchte, darf seine persönliche Mutgeschichte erzählen. „Was wir bei unseren ersten Terminen gelernt haben: Dass die Schwaben ungeheuer bescheiden sind“, sagt Vanessa Watkins. Keiner würde von sich aus kommen und etwas erzählen. „Da braucht es andere, die ermuntern und sagen: Du hast doch eine tolle Geschichte beizutragen.“ Deshalb setzen Watkins und Epting auch auf die Kooperation mit Vereinen und Kirchen: „Die kennen ihre Leute und schaffen Vertrauen.“

Das Private verändert die Gesellschaft

Finanziert wird das Projekt mit Mitteln aus dem Bundesprogramm „Demokratie wagen“. Dafür haben Watkins und Epting sich das Thema „Couragiert leben“ ausgewählt. „Wir wollen zeigen, wie der Mut einzelner Menschen im Privaten die Gesellschaft verändert hat“, sagt Epting. Also ganz im Sinne des 1968-er-Slogans: „Das Private ist politisch.“ „Heute sind Ehen zwischen Katholiken und Protestanten zum Beispiel etwas ganz Normales“, sagt Epting.

Interviewt werden die Bürger von Tübinger Studenten des Studiengangs Kulturwissenschaften. Diese sollen die Ergebnisse dann am Ende des Projekts zu einer Ausstellung zusammenfassen. Im Frühjahr des kommenden Jahres wird sie gezeigt. Erzählfreudige Herrenberger sind aber nicht auf die Veranstaltungen mit dem Mut-Mobil angewiesen. Sie können ihre ganz persönliche Geschichte auch anders beisteuern. „Auf Wunsch kommen die Studenten auch zu den Leuten nach Hause“, sagt Manuela Epting. Die Erzähler dürfen so oder so bestimmen, ob sie ihren Namen nennen oder lieber anonym bleiben möchten. Einreichen kann man seine Mut-Geschichte auch online.

Das Backhaus wird interkulturell

Zu den neun Terminen mit dem Mut-Mobil, bei dem sich die Macher an örtliche Feste anheften, kommen noch sechs ganz spezielle Events namens „Couragierte Stadtteilaktionen“. „Dabei haben Vereine im Ort ganz gezielt Gruppen eingebunden, die sonst nicht zu einer Veranstaltung kommen“, erklärt Epting. In Mönchberg beispielsweise gibt es am 17. Juni ein multikulturelles Fest. „Dafür haben Mitglieder der Kirchengemeinde alle Flüchtlingsfamilien und Familien mit Migrationshintergrund angesprochen und gefragt, ob diese etwas Kulinarisches beisteuern. Fast alle machen mit.“ Die Haslacher wiederum organisieren am 8. September in ihrem Backhaus einen interkulturellen Back-Workshop: Schwäbischer Hefezopf trifft auf orientalische Baklava. Und die Kuppinger starten am 26. Juni zu einem Demokratie-Staffellauf nach Berlin.

Termine und Kontakte


Das Mut-Mobil gastiert am Sonntag, 24. Juni, beim Ökumenischen Gemeindefest im Otto’schen garten in der Erhardtstraße. Am Samstag, 7. Juli, ist es in Affstätt beim Zwiebelkuchenfest, am 8. Juli bei der Hocketse des TSV Haslach. Am 13. Juli macht es Halt in Oberjesingen. Couragierte Stadtteilaktionen gibt es am 10. Juni in Affstätt. Eine Woche später feiern die Mönchberger ein interkulturelles Fest. Am 8. Juni ist der interkulturelle Backtag in Haslach, am 29. September ein Tag der offenen Tür bei der Feuerwehr in Oberjesingen.

Man kann seine Story unter www.mutmachgeschichten-herrenberg einreichen. Das Mut-Mobil-Team kommt auch nach Hause. Anmeldung: m.epting@herrenberg.de