Die Grünen wollen Windkrafträder bauen lassen. Solche Pläne entfachen von der Nordsee bis zur Zugspitze stets wütende Proteste.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Bei Oberjettingen kreiseln zwei einsame Rotoren. Sie erzeugen seit 1996 Strom. Damit zählen die Windräder zu den ältesten in Baden-Württemberg. Die Gemeinde Jettingen erwähnt sie sogar als Sehenswürdigkeit an ihrem Panorama-Radweg. Bisher sind die Jettinger im gesamten Landkreis Böblingen die einzigen, die im Schatten einer Windkraftanlage leben. Zumindest nach dem Willen der Herrenberger Grünen soll sich dies aber ändern. „Wir werden uns noch in diesem Jahr mit dem Thema Windkraftanlagen auf Herrenberger Gemarkung beschäftigen“, sagt Jörn Gutbier, der Fraktionschef der Grünen im Gemeinderat.

 

In der Vergangenheit schien es dazu keinen Anlass zu geben. Die Gründe dafür haben klimabewegte Schüler des örtlichen Andreae-Gymnasiums zusammengetragen. Denn die Jettinger Räder beginnen erst bei einer Windgeschwindigkeit von 2,8 Metern pro Sekunde sich zu bewegen. Bei 25 Metern pro Sekunde schalten sie sich ab, was allerdings nur selten der Fall ist. Die mittlere Windgeschwindigkeit liegt knapp über vier. Diesen Wert bestätigt ein Messgerät auf dem Dach des Gymnasiums. Er gilt als Mindestmaß, ab dem sich der Aufbau von Windrädern lohnt. Allerdings merken die Schüler zurecht an, dass in größerer Höhe kräftigere Winde wehen.

Bisher schien die ganze Region für Windkraft weitgehend uninteressant

Bisher schien der Landkreis wie die Region Stuttgart insgesamt mit Ausnahme einzelner Standorte für die Windkraft weitgehend uninteressant. In ihrem jüngsten Windatlas hat die grün-schwarze Landesregierung allerdings neue Erkenntnisse gewonnen. Sie hat die Verhältnisse in 100 bis 200 Metern Abstand zum Boden untersuchen lassen und die Berechnungsbasis geändert.

Nunmehr gelten laut den Grünen allein auf Herrenberger Gemarkung 13 Standorte als vielversprechend, weitere 14 als womöglich geeignet. Die Jettinger Rotoren drehen sich auf etwas mehr als 30 Metern Höhe. Bei neueren Anlagen im Land sind laut der Agentur für Erneuerbare Energien – einer Branchenorganisation – gut 140 Meter der Standard.

Neuartige Anlagen sind viermal so hoch wie der Schönbuchturm

Ob die Herrenberger künftig auf Anlagen blicken werden, die viermal so hoch sind wie ihr neues Wahrzeichen, der Schönbuchturm, ist trotzdem keineswegs ausgemacht. Von der Nordseeküste bis zur Zugspitze entfacht wenig wütendere Proteste als der Plan, Windräder in die Landschaft zu stellen. Auch der Landkreis Böblingen hat einen solchen Zwist schon erlebt. Der Gemeinderat von Weil der Stadt hatte sich im Frühjahr 2019 gleichsam in letzter Minute gegen den Aufbau einer Windkraftanlage entschieden. Vorangegangen waren harsche Protestnoten aus der Nachbargemeinde Heimsheim. Ein Stuttgarter Unternehmen wollte damals gleich drei, mehr als 200 Meter hohe Windräder aufstellen.

Der Artenschutz steht oftmals der Verbreitung entgegen

Das Nein zu dem Vorhaben begründete die Weil der Städter aber weder mit der guten Nachbarschaft noch mit dem Landschaftsbild. Den Kommunalpolitikern war der Artenschutz wichtiger als der Klimaschutz, den im betreffenden Gebiet leben die geschützten Rotmilane. Eben dies ist zuallermeist der Grund für Proteste. Kritiker befürchten außerdem, dass die Windräder massenhaft Insekten schreddern. Weil eben der Rotmilan keineswegs zum ersten Mal eine Windkraftanlage im Land verhinderte, reagiert der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) auf seine Art: Er schickte Mitarbeiter der Landesanstalt für Umwelt zum Vögelzählen und zweifelte die Schutzbedürftigkeit der Rotmilane an. Womöglich gebe es weit mehr dieser Greifvögel als bisher vermutet.

Selbst der Naturschutzbund meldet Bedenken gegen neue Rotoren an. Bemerkenswerterweise unterstellen zumindest Teile des BUND den Windkraftgegnern alles andere als hehre Motive: Sie seien von Atomkraft- und Kohlekraftlobbyisten oder gar von den Leugnern des Klimawandels aus dem Lager der Rechten gesteuert.