Scheitert die Hesse-Bahn ausgerechnet an einem Naturschutzbund? So hatte es ausgesehen. Aber dann hat der Nabu doch noch eine Lösung mit dem Kreis Calw gefunden.

Calw - Tausende Fledermäuse leben in den beiden Tunneln der alten Bahnstrecke nach Calw, wo in drei Jahren die Hermann-Hesse-Bahn fahren soll. Die Tiere seien in Gefahr, hatte der Nabu immer wieder betont und im Oktober 2016 schließlich Klage eingereicht. Vergangene Woche nun gab es die Einigung: In die Tunnel werden Wände eingezogen, die die Fledermäuse vor den Zügen schützen sollen. Wie die Verhandlungen abliefen, verrät der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle.

 

Herr Enssle, sind Sie mit dem Kompromiss rundum glücklich?

Wir sind zufrieden und erleichtert, dass wir eine Lösung gefunden haben.

Ein Kompromiss bedeutet ja, dass beide Seiten Zugeständnisse machen. Wo haben Sie nachgegeben?

Für die Fledermäuse wäre es natürlich am besten, wenn durch die Tunnel auch in Zukunft gar kein Zug mehr fahren würde. Insofern ist die Kammer-Lösung ein Kompromiss. Jetzt hoffen wir, dass dieses System technisch funktioniert und von den Tieren angenommen wird.

Ganz sicher sind Sie sich da nicht?

Deswegen gibt es auch weiterhin ein sehr ausgeklügeltes Monitoring. Ein Teil des Vertrages, den wir mit dem Zweckverband abgeschlossen haben, ist das Risikomanagement. Das heißt, dass die Alarmlampen angehen, wenn bei den Fledermäusen zu viele Verluste nachgewiesen werden sollten. Das hoffen wir zwar nicht, und wir gehen auch nicht davon aus, aber wenn es so sein sollte, müsste der Zweckverband weitere Maßnahmen zum Fledermaus-schutz umsetzen.

Das heißt, Sie zählen die Fledermäuse?

Nicht wir, das machen die Gutachter des Zweckverbandes. Aber wir sind im Experten-Beirat. Hier sitzen jeweils zwei Vertreter von Zweckverband und Nabu. Wir treffen uns mindestens einmal im Jahr, um die Ergebnisse des Monitorings zu besprechen und den Bau der Hesse-Bahn aus ökologischer Sicht zu begleiten. Das Monitoring ist aber übrigens nicht nur deshalb erforderlich, weil sich der Nabu eingeschaltet hat. Auch die Naturschutzbehörden hätten gefordert, dass man den Fledermausbestand begleitet.

Die Tunnel haben eine wichtige Funktion für die Tiere

Sie haben mit dem Zweckverband einen Vertrag abgeschlossen. Was stehen da eigentlich für Sanktionsmöglichkeiten drin, wenn sich der Zweckverband nicht an den Fledermausschutz hält?

In dem Vertrag sichert der Zweckverband den Fledermausschutz – wie die Kammerwände und Ersatzquartiere – und den Experten-Beirat zu. Im Gegenzug haben wir die Klage zurückgenommen. Wenn der Zweckverband sich daran nicht hält oder wenn zu viele Fledermäuse zu Schaden kommen, muss er ein Strafgeld zahlen. Übrigens nicht an uns, sondern zweckgebunden für den Fledermausschutz an die Stiftung Naturschutzfonds. Wir alle vermuten aber, dass es soweit nicht kommt, sonst hätten wir uns als Nabu auf den Vertrag nicht eingelassen.

Welche Bedeutung hat der Fledermausbestand in den Calwer Bahntunneln überhaupt?

In den Tunneln lebt nicht nur eine sehr große Zahl von Fledermäusen, sondern auch sehr viele, seltene Arten, wie die Mopsfledermaus oder die Große Hufeisennase. Für die Tiere sind die Tunnel gleich in zweifacher Hinsicht wichtig. Zum einen als Quartier für die Überwinterung. Bei uns in der Gegend sind die guten Luxushotels, die als Winterquartiere geeignet sind, rar. Bedeutsam sind die Tunnel aber auch als Schwärmquartier im Sommer. Scherzhaft könnte man sie als Fledermaus-Discos bezeichnen. Die Tiere treffen sich und gucken sich einen Partner aus.

Die ursprüngliche Idee des Landkreises Calw war es ja, Ersatzquartiere zu schaffen. Warum geht das nicht?

Ersatzquartiere werden ja trotzdem geschaffen. Fledermäuse sind zwar sehr intelligent, aber auch extrem konservativ. Das heißt, sie wechseln ihre angestammten Winterquartiere selten. Man kennt von anderen Projekten oder in der Literatur keine Beispiele, wo Ersatzquartiere auf Anhieb funktioniert hätten. Daher hoffen wir, dass die Trennwände in den Tunneln funktionieren und die Tiere nicht abrupt massiv gestört werden, sich dann aber mit der Zeit umorientieren können und die Ersatzquartiere verstärkt annehmen. Es wird aber sicherlich zehn Jahre dauern, bis die Ersatzquartiere eine ähnliche Bedeutung haben, wie heute die Tunnel.

Nabu zückt das Schwert der Klage

Kommen wir noch einmal zurück zu den Verhandlungen im Verkehrsministerium. Haben Sie sich da wirklich ernst genommen gefühlt?

Bei Umweltverbänden hört man ja öfter das Vorurteil, wir seien nur auf Klagen aus. Aber gerade im Fall der Hesse-Bahn haben wir von Anfang an unsere Bedenken geäußert. Aber erst, als wir das scharfe Schwert der Klage gezückt haben, hat man unsere Anliegen ernst genommen. Erst, als dem Landkreis Calw und dem Verkehrsminister klar wurde, dass das Projekt am Fledermausschutz scheiten könnte, hat man sich mit uns an einen Tisch gesetzt. Das finden wir schon traurig, aber wir erleben das leider häufiger.

Welche Rolle hat bei den Verhandlungen das Verkehrsministerium gespielt?

Das Ministerium hat die außergerichtliche Einigung mit Calw überhaupt erst einmal initiiert und zu dem Runden Tisch eingeladen. Dazu hat das Ministerium einen externen Mediator finanziert, der das Verfahren moderiert hat. Während des Vermittlungsverfahrens hatten wir dann ein sehr gutes und konstruktives Miteinander, dafür möchte ich den Vertragspartnern auch noch mal danken.

Ist da eine externe Moderation wirklich notwendig? Man sollte meinen, dass Vertreter der Behörden und Verbände auch so miteinander verhandeln können.

Die Moderation hat sich schon ausgezahlt, das war eine gute Idee von Minister Hermann. Am Anfang waren wir ja noch eine sehr große Runde mit Vertretern von einigen anderen Umweltverbänden, vom BUND, vom Landesnaturschutzverband, vom Regierungspräsidium und vom Umweltministerium – insgesamt also mehr als 30 Leute.

„Wir haben ein Schienenprojekt ermöglicht“

Der Verkehrsminister Winfried Hermann hatte sich ja auch als Vermittler bezeichnet.

Indirekt ja, denn er hat es möglich gemacht. Er selbst war als Verkehrsminister aber natürlich nie völlig neutral. Er wollte und will die Bahn, das steht fest. Das hat man auch während der Verhandlungen gespürt, als er immer wieder Druck aufgebaut hat. Es hieß dann: Ihr müsst Euch bis zu jenem Termin zu diesem Punkt einigen, wo uns jedes Mal klar war, dass das unrealistisch ist.

Zwischendrin ist der Eindruck entstanden, dass hier ein Naturschutzverband ein Schienenprojekt verhindert und verzögert. Was antworten Sie diesen Kritikern?

Das Gegenteil ist richtig: In diesem Fall haben wir als Naturschutzverband ein Schienenprojekt ermöglicht. Ich bin mir sicher, dass die strengen Artenschutzgesetze den Bahnbetrieb nicht zugelassen hätten. Nur durch die Verhandlungen haben wir eine Lösung gefunden, bei der Artenschutz und Schienenbetrieb miteinander vereinbart werden können. Bei anderen Projekten – etwa Stuttgart 21 – sieht man ja auch: Wenn es Konflikte mit dem Artenschutz gibt, liegt das in der Regel an der mangelnden Planung. Wenn dann Eidechsen oder Juchtenkäfer auftauchen, ist das Geschrei dann groß.

Man will die Kammer-Lösung jetzt auch auf andere Strecken übertragen. Haben Sie Erkenntnisse, wie viele Fledermäuse in Bahntunneln leben?

Nein, das wissen wir noch nicht, aber einen ähnlichen Fall gibt es zum Beispiel bei der Sauschwänzlebahn. Minister Winfried Hermann hat kürzlich angekündigt, viele weitere Bahnstrecken reaktivieren zu wollen. Wir haben ihn gebeten, alle Tunnel auf diesen Strecken durch Fledermausfachleute prüfen zu lassen, um für die Zukunft das Konfliktpotenzial abschätzen zu können.