Der Gemeinderat der Stadt Wiesensteig hat eine Resolution verabschiedet, die an das Unrecht der Hexenprozesse im 16. und 17. Jahrhundert erinnert. 111 Frauen und ein Mann wurden in dieser Zeit auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Wiesensteig - Ausgerechnet im Jahr des Reformationsjubiläums rehabilitiert die Stadt Wiesensteig die „unschuldig gequälten und hingerichteten Opfer der Hexen- und Zaubererverfolgung während des 16. und 17. Jahrhunderts“, wie es in einer jüngst im Gemeinderat verabschiedeten Resolution heißt. Dies ist kein Zufall, ereignete sich doch dort unter der Herrschaft des Grafen Ulrich von Helfenstein im 16. Jahrhundert die erste große Hexenverfolgung Deutschlands nach der Reformation. Wiesensteig war damals zunächst protestantisch – und Martin Luther war durchaus kein Gegner der Hexenverfolgung, wie der Ortshistoriker Helmut Poloczek sagt. „Luther war ein Kind seiner Zeit.“ Wiesensteig sei außer Rottweil die einzige Stadt im süddeutschen Raum, die die Erinnerung an die Opfer der Hexenverbrennung wach hält.

 

111 Frauen und ein Mann sollen in Wiesensteig in den Jahren 1562 bis 1611 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sein. Ihre Namen verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Denn Namenstafeln, die noch in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg im Ratssaal hingen, existieren nicht mehr. Genauso verschwunden ist ein sogenannter Sankt-Hubertusschlüssel, der noch für das Jahr 1842 bezeugt ist und mit dem der Überlieferung zufolge Kindern und Tieren ein Mal eingebrannt wurde, um sie vor Hexerei zu schützen.

Unwetter löst Verfolgung aus

Auch sonst sind die Zeugnisse dieser Schreckenszeit in der kleinen Grafschaft Helfenstein spärlich. „Das einzige Dokument, das wir haben, ist ein Flugblatt des Grafen von Helfenstein, in dem er die „erschrecklichen Thatten unnd handlungen der Hexen und Vnholden“ schildert. Das historische Dokument wird in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart aufbewahrt“, sagt Poloczek. Das Fanal dieser ersten großen Hexenverfolgung nach der Reformation war ein Unwetter in Württemberg. Starker Hagel vernichtete 1562 die Ernte, in der Folge verhungerten viele Menschen oder litten große Not.

Doch auch die großen geistigen Umbrüche am Beginn der Neuzeit macht Poloczek als eine Ursache des Hexenwahns aus, der sich von Wiesensteig aus wie ein Flächenbrand ausdehnte. „Die Hexenverfolgung fand nicht im finsteren Mittelalter statt, sondern in der Frühen Neuzeit, einer Zeit der tiefen Verunsicherung“, resümiert er. Nicht außer Acht lässt er auch die Neigung des Menschen, andere um des eigenen Vorteils willen zu denunzieren.

Zunächst wurden im Jahr 1562 sechs Frauen hingerichtet, 61 weitere folgten noch im selben Jahr. „Die Grafschaft zählte damals 7000 Einwohner, der Anteil der Verurteilten ist also nicht unerheblich“, erläutert Poloczek. Den Frauen wirft Graf Ulrich XVII. (1524 bis 1570) in seinem Flugblatt vor, mit dem Satan im Bund zu stehen. Sie sollen Menschen und Tiere ermordet und sogar Kinder, die ungetauft gestorben waren, ausgegraben und in einem Kessel zu Hexensalbe verarbeitet haben. Poloczek bezeichnet Ulrich nicht zu Unrecht als Hexengraf, denn in seinem Furor mischte er sich auch in fremde Angelegenheiten ein und reagierte höchst erbost, als die Esslinger drei Frauen, die der Graf bezichtigt hatte, an einem Hexensabbat auf dem Sommerberg teilgenommen zu haben, nach einem Verhör wieder freiließen.

Stadt sieht sich ethisch in der Pflicht

Es sei auch ein Irrtum zu glauben, dass die Mehrzahl der Opfer der Hexenverfolgung aus der Unterschicht stammten, stellt Poloczek klar. „Man weiß, dass auch viele Frauen aus der Bürgerschaft darunter waren.“ Da die Verbrennung allen anderen als Warnung dienen sollte, wurde sie öffentlich wie ein Schauspiel inszeniert. Poloczek vermutet, dass der Scheiterhaufen im Gewann Galgen errichtet wurde und die Verurteilten in einer feierlichen Prozession dorthin geführt wurden.

Die Stadt Wiesensteig sehe sich gegenüber den Opfern und deren Familien ethisch in der Pflicht, sagt Poloczek. Dem verleihe die Resolution Ausdruck. „Sie gibt den Opfern ihre Würde zurück.“ Unterstützt werde die Resolution auch von den beiden Kirchen. Nach 1564 war Graf Ulrich zum alten Glauben zurückgekehrt. Im Jahr 2015 habe der damalige evangelische Pfarrer Jörg Schaber den Anstoß für die Resolution gegeben.

Auch in der Vergangenheit hat die Stadt dieses dunkle Kapitel nicht übergangen. Bei Führungen durch die Stadt wird regelmäßig ein Hexenprozess inszeniert. Welcher Willkür die Beschuldigten ausgesetzt waren, wird dabei schnell offenbar.

Die Resolution im Wortlaut

„Die Rehabilitation der unschuldig gequälten und hingerichteten Opfer der Hexen- und Zaubererverfolgung in Wiesensteig während des 16. und 17. Jahrhunderts ist ein Akt im Geiste der Erinnerung und Versöhnung. Der Gemeinderat der Stadt Wiesensteig verurteilt diese Gewalt, die an Frauen und Männern begangen wurde. Er gedenkt der Opfer, rehabilitiert sie öffentlich und gibt ihnen damit heute im Namen der Menschenrechte ihre Ehre zurück. Wenngleich die Stadt Wiesensteig nicht Rechtsnachfolgerin der damals politisch und kirchlich Verantwortlichen ist, so besteht dennoch eine ethische Verpflichtung gegenüber den Opfern und ihren Familien. Angesichts der lokalen Geschichte steht der Gemeinderat der Stadt Wiesensteig zu dieser Verpflichtung.“

Veranstaltungen zum Gedenken

Mit zwei Veranstaltungen erinnern die Stadt und die beiden Kirchengemeinden an die Hexenverbrennungen. Am Freitag, 10. März, wird ein Hexenprozess im Evangelischen Gemeindezentrum szenisch dargestellt. Anschließend hält Professor Andreas Holzem von der katholischen Fakultät der Universität Tübingen einen Vortrag mit dem Titel „Erschreckliche Thatten vnd handlungen der Hexen und Vnholden“. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. Am darauf folgenden Sonntag, 12. März, findet um 10 Uhr ein ökumenischer Bußgottesdienst in der St. Cyriakuskirche statt.

In Wiesensteig können Besucher immer wieder in die Geschichte eintauchen. An diesem Montag beginnt der Vorverkauf für zwei Stadtführungen mit dem Titel „Hexen – Grafen – Mönche – Bettler“, die am 21. und am 22. April stattfinden. Anmeldungen sind im Rathaus unter der Rufnummer 0 73 35/9 62 00 möglich.