Der hochdotierte Aurora-Preis hat zwei Ziele: unvorstellbare Not soll gelindert werden und gleichzeitig wird an den Genozid an den Armeniern erinnert. Der Aufwand ist enorm, weshalb ein Beigeschmack bleibt.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Jerewan - Gutes zu tun ist bisweilen eine schwierige Angelegenheit. Der Zeitpunkt muss gut gewählt, das richtige Maß getroffen sein. Die noble Geste sollte großherzig, aber nicht arrogant wirken. Wirklich kompliziert wird die Angelegenheit, wenn nicht nur Gutes getan wird, sondern die Welt grundlegend verändert werden soll. Vartan Gregorian ist so ein Mensch, der es sich zur Aufgabe gemacht hat. Da kommen kritische Fragen nicht gut an. Doch der Mann armenisch-iranischer Abstammung kennt die Fallstricke, die ein Wirken als Philanthrop mit sich bringt. „Wir können die Dinge doch nicht unendlich infrage stellen“, sagt der Präsident der Carnegie Corporation in New York. „Hier wird Gutes getan, und das sollte nicht ständig kleingeredet werden.“

 

Mit dem Aurora-Preis wird Gutes getan

Neben Gregorian, dem Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative, sitzt Tom Catena, den alle nur Doktor Tom nennen. Dem Arzt wurde zuvor in der armenischen Hauptstadt Jerewan mit großem Pomp der Aurora-Preis für Menschlichkeit verliehen. Die hollywoodreife Zeremonie in der Konzerthalle des Karen-Demirchyan-Komplexes scheint nicht nur den Preisträger irritiert zu haben, sondern hat auch bei einigen Beobachtern Fragen aufgeworfen. Kein Zweifel, jeder gönnt dem drahtigen Mann mit der Nickelbrille die Auszeichnung. Eine Million Dollar bekommen Doktor Tom und die ihn unterstützenden Organisationen. Seit rund einem Jahrzehnt kümmert er sich im Mother of Mercy Catholic Hospital in den kriegsgebeutelten Nubabergen des Sudan um die Ärmsten der Armen. Keiner kann mehr zählen, wie viele Leben Catena in dieser Zeit gerettet hat, wie viel Hoffnung er den Menschen allein durch seine Anwesenheit gibt.

Doktor Tom ist ein würdiger Preisträger

Als der Chirurg in dem voll besetzten Festsaal von seiner Arbeit erzählt, stockt dem Publikum in feiner Abendrobe der Atem. Er beschreibt die Bombenangriffe, den Schmutz, das unfassbare Leid. „Manchmal bin ich der Verzweiflung nahe, wenn ich sterbenden Menschen nicht helfen kann“, sagt Tom Catena. „Aber dann mache ich weiter, weil die Menschen mich brauchen.“ Tosender Applaus, Ovationen im Stehen. Die Preisverleihung, die 2017 zum zweiten Mal in Jerewan stattfand, ist eine seltsame Verbindung zwischen riesigem Elend und luxuriösem Glamour. Die Prominenz wohnt in Luxushotels und wird in dunklen Limousinen durch Jerewan kutschiert.

In seiner Dankesrede erklärt Tom Catena, dass ihm das Preiskomitee vor seinem Auftritt einen Anzug kaufen musste. „Ich besitze seit Jahrzehnten keinen mehr.“ Das Publikum lacht amüsiert. Für die armenischen Verantwortlichen der Aurora Humanitarian Initiative gehört diese Spannung der beiden Welten zum Konzept. Viele sind erfolgreiche Geschäftsleute. Sie tun Gutes und reden darüber, sie wollen Aufmerksamkeit für ihre Sache. Allein die Besetzung des Preiskomitees liest sich wie ein Who’s who. Unter anderem sind die beiden Friedensnobelpreisträgerinnen Shirin Ebadi und Leyman Gbowee, der Friedensaktivist John Prendergast oder Bernhard Kouchner dabei, Gründer von Ärzte ohne Grenzen. Als Co-Vorsitzender firmiert Hollywoods Superstar George Clooney. Zur Preisverleihung in Jerewan trat der 93-jährige Chansonnier Charles Aznavour auf, dessen Vorfahren aus Armenien stammen und der in dem Land wie ein Heiliger verehrt wird.

Trommeln gehört zum Geschäft

Auf das Leid der Armenier aufmerksam machen

Das Ziel der Macher ist nicht nur das Lindern der Not. Die Aurora-Initiative wurde „im Namen der Überlebenden des Völkermords an den Armeniern“ ins Leben gerufen. Mit der spektakulären Preisverleihung soll der Genozid ins Gedächtnis gerufen werden. Anfang des vergangenen Jahrhunderts kamen bei Massakern im Osmanischen Reich zwischen 300 000 und 1,5 Millionen Menschen um. Die Türkei leugnet bis heute, dass es sich um Völkermord gehandelt habe. Der Preis ist ein Vehikel, um die Erinnerung wachzuhalten.

Der Erfolg heiligt die Mittel

In diesen Tagen wurden in Berlin die Nominierungen für den Aurora-Preis 2018 festgelegt. Der Ex-Bundespräsident Norbert Lammert hielt eine Rede, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson und die Nobelpreisträgerin Laymah Gbowee waren Ideengeber. Wieder konnten die Organisatoren mit großem Aufwand die Aufmerksamkeit auf Armenien richten. Vartan Gregorian sieht das mit Genugtuung. In seinen Augen heiligt der Erfolg die Mittel.