Der Stuttgarter Musiker Sickless legt nach seinem Debütalbum 2014 eine neue EP vor. Dem Künstler und Labelinhaber geht es dabei um Moral, Vergänglichkeit und seine eigene Neuaufstellung in der Hip-Hop-Szene.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Stuttgart - Der Track „Memento“ ist die erste Veröffentlichung der neuen EP des Stuttgarter Rappers Sickless, der sich damit nach seinem Album „Horus“ aus dem Jahr 2014, wieder mit eigenen Stücken zurückmeldet. Seit Montag ist der Song auf dem digitalen Musik-Streaming-Portal Spotify zu hören, der Rest der EP namens „Beta“ soll am 28. September publiziert werden. Damit legt Sickless, der ursprünglich aus Aalen kommt und mit bürgerlichem Namen Alexander Föll heißt, eine Sammlung neuer Tracks vor, deren Gemeinsamkeit trotz der unterschiedlichen Stile in düsteren, kritischen bis harten Aussagen über das aktuelle Zeitgeschehen steckt. Sickless ist kein Unbekannter in der Stuttgarter Hip-Hop-Szene. 2011 gründete er sein eigenes Hip-Hop-Label wirscheissengold. Zu den Künstlern, die er vertritt, zählt etwa der Stuttgarter Rapper Marz.

 

Erste Live-Erfahrungen mit Cro im Jugendhaus

Bereits früh kam er zum Hip-Hop und hörte sich als Jugendlicher eigenen Worten zufolge im Deutschrap rauf und runter – von Blumentopf über Creutzfeld & Jakob bis zu Künstlern aus dem Aggro Berlin- Umfeld. Erste eigene Erfahrungen machte Föll als Teenager im MZEE-Forum, auf Videobattle-Turnieren und auf einer Bühne in Schwäbisch Gmünd nahe seiner Heimatstadt Aalen. „2011 hatte ich einen Auftritt im Jugendhaus, am selben Abend wie Carlo Waibel, also Cro. Bei mir waren nur ein paar Jungs. Als Cro dran war, standen auf einmal 200 Mädels vor der Bühne und ich wusste sofort, oh Mann, bei dem weht ein anderer Wind.“ Der weht sieben Jahre später auch bei Sickless. Unter anderem kann er heute Auftritte auf dem Splash!, einem der größten Hip-Hop-Festivals in Deutschland, und den Stuttgarter Hip-Hop-Open, die er auch moderierte, auflisten.

Zur Multimediareportage „Willkommen in der Mutterstadt“

2009 zog Föll von Aalen nach Stuttgart. Seit 2010 ist er Vater einer Tochter. 2013 machte er seinen Abschluss an der Hochschule der Medien in Sachen Medienwirtschaft. Beruflich ist er laut eigenen Aussagen immer auf mehreren Baustellen tätig. Neben der Arbeit für das eigene Label ist er auch freiberuflich in der Musikindustrie tätig und organisiert unter anderem Events.

Unabhängigkeit will sich der Labelchef bewahren

„Nach vier Jahren wurde es wieder Zeit für eigene Musik“, sagt der 28-Jährige beim Gespräch an seinem Stuttgarter Lieblingsort, dem Marienplatz. Bei allen Produktionsschritten seiner EP ist er selbst der Boss. „Auch wenn ich manchmal völlig abgebrannt bin, will ich an dieser Freiheit, die mir die Selbstständigkeit bietet, festhalten“. Das Stichwort ‚broke‘ (zu deutsch Pleite/abgebrannt) hat er sich auf den Unterarm tätowieren lassen.

Der erste Song „Memento“ auf der neuen EP ist ein klassischer Ich-bin-zurück-Track. Im Refrain fragt Sickless „Kennst du mich noch? Wie lange brennt der Docht noch? Wie weit reicht mein Kosmos?“. Und er wirft Fragen nach dem Sinn des Lebens auf, ruft sich scheinbar selbst die Vergänglichkeit und eigene Fehler ins Gedächtnis. „Mach mein Kopfkino zur Vernissage, mehr Moment, weniger qué será“ heißt es da.

„Die EP ist eine Abrechnung der letzten vier Jahre und gleichzeitig meine Neuaufstellung und Bewerbung für alles Weitere. Im Gegensatz zu ‚Horus‘, das für mich heutzutage richtig süß klingt, ist es härterer Tobak und soll auch so ankommen. Meine zentrale Aussage ist: Sei kein Arschloch“, sagt der 28-Jährige. Sickless greift etwa in dem Track „Himmel und Hölle“ das Flüchtlingsthema auf und orientiert sich häufig an Formulierungen, die aus der christlichen Religion stammen. Darin findet er offenbar im Rahmen seiner künstlerischen Freiheit ein geeignetes Mittel, um eine starke Durchschlagskraft der Texte zu erreichen. In „Himmel und Hölle“ zeichnet er eine Weltuntergangsstimmung: „Sie fliehen vor dem Tod aber wir sehen rot, wenn sie kommen fängt die Jagd mit der Mistgabel an. (…) Sie warnten vor Leid, Abel und Kain am Nabel der Zeit, früher wie heute ein Nagel im Kreuz, in der Sache getrennt doch im Schaden vereint. Kein Ziel vor den Augen – Aber eine scheußliche Welt. Ich verlier’ meinen Glauben, Denn wir verleugnen uns selbst (…) Zwischen Himmel und Hölle verläuft man sich schnell“.

Zukunft in Stuttgart?

Das Thema habe ihn sehr berührt, auch wenn er keinen direkten Kontakt mit Geflüchteten habe. „Wenn wir es nicht zusammen hinkriegen, was dann? Ich finde es furchtbar, wie Einwanderungsgegner über das Thema reden“, sagt der Künstler.

Etwas autobiografischer ist der Song „Wattebeton“. Sickless besingt die Sehnsucht an anderen Orten auf der Welt zu sein. Will er sich mit dem letzten Track der EP vielleicht aus Stuttgart verabschieden? „Ich will die Fahne hier weiterhin hochhalten. Auch wenn es nicht immer leicht ist. Ich finde es aber auch erschreckend, wie wenig Newcomer es in Sachen Hip-Hop derzeit in Stuttgart gibt. Da würde ich mir mehr wünschen.“

Multimedia-Reportage über Stuttgarter Hip-Hop

Stuttgarter Rapper damals und heute: Künstler wie Die Orsons, Cro, Rin sowie unabhängigeHip-Hopper wie Bobby Sayyar oder Sickless mit seinem Label wirscheissengold zeigen die Vielfalt des heutigen Stuttgarter Hip-Hops. DJs und Clubs halten die Kultur mit Partys und Konzerten hoch.

Die Reportage: Was macht Stuttgart zur Hip-Hop-Stadt? Wie hat sich die Kultur seit den 90er-Jahren weiterentwickelt? Wo findet Hip-Hop heute statt? In einer umfangreichen Reportage unserer Zeitung kommen zahlreiche Stuttgarter Künstler wie die Fantastischen Vier, Max Herre, Cro, Die Orsons, Marz und Sickless vor der Kamera zu Wort.Videos, Zeichnungen, Texte und Fotos erzählen die multimediale Geschichte. Hier geht’s zur Hip-Hop-Reportage.