Aus Demokraten wurden brave Untertanen: Der Amateurhistoriker Wolfgang Hermann aus Sigmaringen erforschte die Lebensumstände der einfache Leute im preußischen Hohenzollern.

Haigerloch - Souverän ignoriert Wolfgang Hermann das Schild „Nur für Gäste“ und tritt in den Innenhof von Schloss Haigerloch. Von hier oben hat man einen guten Blick auf den Fluss Eyach, der eine Schleife in den Felsen gegraben hat. Der frühere Realschullehrer und Historiker zeigt hinunter auf das verschlafene Städtchen. Er lässt den August 1851 wiederaufleben, als in Haigerloch Friedrich Wilhelm IV. begrüßt wurde. Dann eilte der preußische König weiter nach Hechingen, wo er sich auf den Resten der Familienstammburg von seinen neuen schwäbischen Untertanen huldigen ließ. Als sei er dabei gewesen, erzählt Hermann von den Ehrenjungfrauen, der Preußenpropaganda des Pfarrers und dem rührenden Eifer der jüdischen Bürger. Beamtenkinder hielten ein Transparent hoch, auf dem stand: „Wir sind klein, wollen aber gute Preußen sein.“

 

Hermann ist mittendrin in seinem Thema – Hohenzollern. Schloss, Adelsgeschlecht und ein Landstrich versammeln sich unter diesem Begriff. Im Zusammenhang mit der Revolution waren 1849 preußische Truppen in Teilen Südwestdeutschlands einmarschiert, um die Demokratiebewegung zu unterdrücken, und hatten auch Hechingen und Sigmaringen besetzt. 1850 traten die letzten Hohenzollernfürsten ihr Ländchen den Preußen ab. Als Dank erhielten sie Geld und Privilegien. Als Exklave existierten die Hohenzollerschen Lande bis zur Auflösung des Staates Preußen nach 1945. Bei einer Rundfahrt durch Haigerloch, Trillfingen und Hechingen im Zollernalbkreis zeigt der 69-Jährige, was davon noch zu finden ist. Als Pädagoge hatte er nicht nur den Schüleraustausch organisiert. Wenn er von Exkursionen auf den Spuren der Römer und ins Landesmuseum erzählt, hat man den Eindruck, dass da einer mehr geleistet hat, als der Lehrplan vorschrieb.

Wolfgang Hermann interessiert die Geschichte von unten

Zehn Jahre lang hat der pensionierte Lehrer für Geschichte und Französisch, der 1943 in Sigmaringen geboren wurde und heute mit seiner Frau wieder dort lebt, die Archive durchforstet. Gefunden hat er eine Fülle von Details über Beamte, Bürger, und Ortsarme. Hermann ist alles andere als ein Fan des Adels. Ihn interessieren die Lebensumstände der einfachen Leute. Ihn treibt die Frage um, warum die Demokratie in Deutschland zwei Revolutionen und zwei Weltkriege brauchte. „Dieser Frage wollte ich vor Ort nachgehen, dort, wo ich herkomme und wohne.“

Die Ergebnisse seines Quellenstudiums hat Hermann jetzt in einem größtenteils selbst finanzierten Buch zusammengefasst. Sein Titel „Ich bin nun Preuße – mögt ihr meine Farben?“ ist die Variation eines Liedes, das in Preußen als eine Art Nationalhymne gesungen wurde. Der Untertitel fasst es zusammen: „Die Hohenzollern auf ihrem Weg von aufmüpfigen Untertanen zu preußischen Jubelpatrioten“. Im Vorwort ordnet Professor Paul Münch (Essen) Hermanns Ergebnisse ein: „Bis heute wissen wir außer den Rahmendaten und einigen lokalen Informationen wenig über die Preußenzeit, die das kleine Land in den Strudel der großen deutschen Politik gezogen hat und schließlich zum stolzen Kaiserstammland werden ließ.“ Münch würdigt das Buch als „Fundgrube für die Heimatgeschichte“ und lobt den Autor: „Es gelingt ihm sogar, den staubtrockenen kommunalen Rechnungsbüchern Informationen zur Alltagsgeschichte zu entlocken, von Reisewegen und Reisegeschwindigkeiten bis hin zu den Kosten für Bier und Zigarren.“

Nationalismus und Militarismus vernebelten die Hirne

Was Hermann herausfand, ist ernüchternd: Nationalismus und Militarismus vernebelten die Hirne. „Selbst der arme Bauer aus Glatt, der zur Düngung seines Feldes den Dreck aus dem Straßengraben schöpfte und als Einstreu für seine Kuh Laub im Wald sammelte, hat sich begeistert für das Hohenzollertum.“ Die Gründe waren vielschichtig. Die Verbindung zum mächtigen Preußen stärkte das Selbstbewusstsein: „Man glaubte, man ist jetzt wer.“ Dieses Empfinden schürten die Verwaltungsbeamten, Militärs, Lehrer und nicht zuletzt die evangelischen Pfarrer, die aus dem Stammland importiert wurden. Der Staat förderte Gewerbe und Industrie, Straßenbau und Schulbildung. „Preußen hat Hohenzollern wirtschaftlich schon auf die Beine gebracht.“ Dazu kam: „Hohenzollern hatte immer ein bisschen Angst, dass die Württemberger und die Badener ihm die Selbstständigkeit nehmen.“ Binnen 25 Jahren erinnerte sich die Bevölkerung nicht mehr an den revolutionären Aufbruch 1848/49, selbst 48er-Demokraten wandelten sich zu preußischen Patrioten.

Der Sonderstatus  Hohenzollern’scher Lande führte 1866 beim Krieg Preußens gegen Österreich zu einer bizarren Situation, weil Württemberg mit Österreich alliiert war. Hohenzollern war von Feinden umschlossen. Haigerlocher Rekruten wurden aufgefordert, sich in Zivilkleidung bis in die nächstgelegene preußische Kaserne in Koblenz durchzuschlagen. „Viele, denen das zu dumm war, ließen sich von den Württembergern gefangen nehmen.“

Die Juden versprachen sich von Preußen mehr Integration

Fünf Kilometer von Haigerloch entfernt liegt der Ortsteil Trillfingen. Vor der Kirche steht ein Obelisk. Ähnliche Kriegerdenkmale gibt es in etlichen Dörfern der Gegend. Unerwartet steht da auch die Jahreszahl 1848. Hermann erklärt: „In diesem Jahr wurden offenbar Trillfinger als Angehörige der hohenzollerisch-lichtensteinischen Infanterie gegen die badischen Revolutionäre eingesetzt.“

Der Obertorplatz in Hechingen war einmal ein architektonisches Ensemble aus einem Guss, wenn auch im Geiste des preußischen Militarismus. Wolfgang Hermann zeigt eine historische Fotografie. Sogar ein Denkmal mit Siegesgöttin wurde 1873 aufgestellt. Hermann erinnert an das überproportional starke Engagement der hohenzollerischen Juden für Preußen. Sie versprachen sich mehr Integration und Gleichberechtigung vom großen Staat. „Wir wissen heute, wie es geendet hat“, sagt der Historiker.

Wolfgang Hermann arbeitet derzeit an einem „längeren Aufsatz“ über die Schulverhältnisse in den Hohenzollern’schen Landen der Preußenzeit.

Wolfgang Hermann: „Ich bin nun Preuße – mögt Ihr meine Farben?“Die Hohenzollern auf ihrem Weg von aufmüpfigen Untertanen zu preußischen Jubelpatrioten. 284 Seiten, div. Abb., zwei Karten, 2012, Lit-Verlag, 29,90 Euro, www.at-edition.de