Lange Zeit war es verschollen. Jetzt schenkten die Sozialdemokraten im Stuttgarter Norden die historische Fahne des Reichsbanners dem Stadtmuseum.

S-Nord - Ein paar Flecken sind drauf, und der Stoff ist an manchen Stellen etwas dünn. Aber ansonsten ist die Fahne tipptopp. Die Senioren der SPD haben die Flagge des Verbands „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, die für Sozialisten im Stuttgarter Norden in den 1920er Jahren Symbol für ihre freiheitlich-demokratisches Denken war, jetzt dem Stadtmuseum geschenkt. „Die Flagge war lange Zeit weg und ist in Vergessenheit geraten. Erst als eine Genossin aus ihrer Wohnung ins Pflegeheim gezogen ist, kam sie wieder ans Licht“, sagt Peter Steinhilber vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Seniorinnen und Senioren Stuttgart und Bezirksbeirat im Stuttgarter Norden. Ihn empört, dass häufig von reaktionären Gruppen schwarz-rot-goldene Flaggen geschwenkt werden, „obwohl die Farben doch für die Demokratie- und Freiheitsbestrebungen der Revolution von 1848 stehen.“

 

die Waffen wurden im neckar versenkt

Deutschlandweit, und auch im Stuttgarter Norden, gehörte ein Großteil der Sozialisten, dem 1924 gegründeten überparteilichen Verband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ an. Vorsitzender des Reichsbanners der Stuttgarter Ortsgruppe war der spätere Generalstaatsanwalt und Nazi-Jäger Fritz Bauer. Ziel der Mitglieder war die Verteidigung der Weimarer Republik – zum Teil auch mit Waffen.

Axel Alt, ebenfalls SPD-Bezirksbeirat in Stuttgart-Nord, erinnert sich noch an Erzählungen seines Vaters, der als Kugelstoßer an olympischen Spielen teilgenommen hatte und zum militanten Flügel des Reichsbanners gehörte: „Als die SA in Heslach eine Kundgebung veranstaltete, hat die Arbeiter- und Sportgruppe im Reichsbanner sie aus dem Stadtteil geprügelt. Als nach der Machtergreifung durch Hitler der Reichsbanner-Verband verboten wurde, waren auch die Mitglieder der Ortsgruppe Stuttgart in Gefahr. „Mein Vater und die Väter vieler Mitglieder in der Seniorengruppe, haben ihre Waffen im Neckar versenkt. Und natürlich musste die Fahne verschwinden“, sagt Alt. Und SPD-Mann Fritz Krause bestätigt: „Jeder, dem die Mitgliedschaft nachzuweisen gewesen wäre, wäre sofort verhaftet worden.“

Die Fahne der Ortsgruppe Prag lagerte bei Straßenbahner Karl Fleisch, der in der Schönblicksiedlung im Stuttgarter Norden wohnte. Steinhilber: „Er hat sie unter der Matratze des Kinderbetts seiner Tochter Margarete versteckt und bei Hausdurchsuchungen das Kind ins Bett gelegt. Denn wäre die Fahne entdeckt worden, wäre Fleisch ins KZ gekommen.“ Irgendwann verschwand das gute Stück dann auf dem Dachboden. Wiederaufgetaucht ist die geschichtsträchtige Fahne beim Umzug Margarete Schlegels ins Seniorenzentrum Pfostenwäldle. „Da hat sie sie auf dem Dachboden entdeckt und mich angerufen“, erinnert sich Steinhilber.

Bis die Fahne dann aber zur Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Seniorinnen und Senioren gelangte, dauerte es nochmals einige Zeit: „Axel Alt, Fritz Krause und ich wollten Margarete immer mal im Seniorenzentrum besuchen und die Fahne abholen, aber irgendwie hat es uns damit nicht pressiert und es kam nicht dazu“, sagt Steinhilber. Dann, vor etwa vier Jahren ist Margarete Schlegel gestorben. Auf ihrer Beerdigung fiel Steinhilber wieder ein, dass im Besitz der Verstorbenen auch die Fahne des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Bezirk Prag Ortsgruppe Stuttgart war. Margaretes Neffe und Erbe ließ sich überzeugen, dass die Fahne irgendwann wieder auf einem Dachboden verschwinden würde und sie besser im neuen Stadtmuseum aufgehoben ist.

Dort ist man begeistert von dem neuen Ausstellungsstück: „Die Fahne ist ein wesentliches Zeugnis für die politische Vielfalt und die liberalen Ströungen in Stuttgarts“, stellt Edith Neumann, Sammlungsleiterin im Stadtmuseum fest. Vorerst wird die Fahne zwar nicht ausgestellt, da die Dauerausstellung steht. Aber eine Sonderausstellung zum Thema Fahnen sei denkbar und wünschenswert, sagt Neumann.