Der Hemminger Obstkundler Matthias Braun setzt sich für die Erhaltung alter Obstsorten ein. Seit 20 Jahren hält er im Strohgäu Ausschau nach „Birnen- und Apfel-Dinosauriern“.

Hemmingen - Der Rheinische Bohnapfel war’s. Der Auslöser dafür, dass Matthias Brauns Leidenschaft wieder aufflammte: alte und historische Apfel- und Birnensorten. Oder auch „Apfel- und Birnen-Dinosaurier“, wie er dazu sagt.

 

Dass jede Sorte anders schmeckt, habe er schon als Kind festgestellt, sagt der 51-jährige Obstkundler aus Hemmingen. Seine Großeltern hatten im bayerischen Wald eine Streuobstwiese mit alten Sorten. Da begann die Liebe, die in der Jugend freilich wieder ins Hintertreffen geriet. Als Matthias Braun aber 1991 in die Strohgäu-Kommune zog, sagte er nicht Nein, als die Verwaltung von seinem Interesse erfuhr und ihm Bäume zum Ernten zuteilte. Das ist nun rund 20 Jahre her.

„Ich will die Hintergründe und Historie rauskriegen“, sagt Matthias Braun, den die Hemminger „unseren Ortspomologen“ nennen. Dazu schaut er sich Bäume samt Früchte an, dann bestimmt er sie. Er kümmert sich um Nachpflanzungen und initiiert „tolle Projekte“, indem er zum Beispiel das Obst verarbeitet.

Eine neue Sorte zu finden, beschere immer ein Glücksgefühl. So erlebt anno 2016: Zwischen Hemmingen und Ditzingen-Schöckingen, im sogenannten Krummen Land, entdeckte Matthias Braun erstmals die Birnensorte Große Rommelter. Die Früchte hängen am rund 130 Jahre alten „Birnbaum am Pfaffenkreuz“. Den Baum, ein Naturdenkmal, bezeichnet Braun als „Leuchtturm des Strohgäus“: Ganz allein auf weiter Flur steht er da. „Früher gab es hier flächendeckend Streuobstwiesen beziehungsweise Streuobstäcker“, sagt der 51-Jährige. Im Zuge der Flurbereinigung wurden sie vor Jahrzehnten gerodet. Ihm sei kreisweit nur dieses Exemplar bekannt, sagt Matthias Braun. „Eventuell gibt es am Eulenberg noch einen Baum mit der Sorte.“

Der Luikenapfel, ein Superstar seiner Zeit

Dort will der Pomologe in den nächsten Jahren ortstypische Sorten anpflanzen – auch die Große Rommelter, aus Baden, 1847 erstmals beschrieben. Weil sie anfällig für die durch Bakterien verursachte Krankheit Feuerbrand ist, wurde sie kaum nachgepflanzt. „Die Große Rommelter, aber auch die Knausbirne sind in den letzten noch verbliebenen Streuobstgürteln im Strohgäu eine Seltenheit geworden, die es zu erhalten und bewahren gilt“, begründet Braun sein Engagement. Die Sorten seien ein wesentlicher Teil unserer Kultur- und Regionalgeschichte, „zudem ein Bestandteil der schwäbischen Mostkulturgeschichte.

Das trifft auch auf den Luikenapfel zu. „Er war ein Superstar der damaligen Zeit“, sagt Matthias Braun: Vor 150 Jahren sei die Sorte in Württemberg weit verbreitet gewesen. Demnach waren rund ein Viertel aller Apfelsorten Luiken. In diese Sorte steckt Matthias Braun das meiste Herzblut: Sie sei ein gebürtiger Württemberger – so wie er selbst.

Am Hemminger Ortseingang entlang der Strohgäubahn wächst ein rund 100 Jahre alter Luikenbaum. Das Areal war laut Braun keine klassische Streuobstwiese. Daher vermutet er, dass der Ort den Baum einem Apfelbutzen verdankt, den ein Fahrgast aus der Bahn warf. Das „Relikt aus vergangener Epoche“ trägt alle zwei Jahre 100 bis 150 Kilo Früchte. Was Braun 2018 zum Anlass nahm, aus 120 Kilo das Hemminger-Gemeinschaft-Luiken-Wässerle zu produzieren, ein sortenreines Edeldestillat. Im selben Jahr wurden auf der Obstwiese des Naturschutzbundes (Nabu) vier junge Apfelbäume gepflanzt.

Mit der Heimerdinger Knausbirne ist Großes geplant

Laut Braun gibt es in Hemmingen noch drei alte Luikenbäume. Auf das Exemplar im Zeilwald Richtung Hochdorf ist der Hobby-Historiker voriges Jahr gestoßen. Weitere drei Luiken sind in Heimerdingen. In dem Ditzinger Ortsteil posiert, vor einem alten Bauernhof, auch eine circa 150 Jahre alte Knausbirne. „Sie war vor rund 200 Jahren das Pendant zur Luike“, sagt Braun, der ebenso mit der Knausbirne Großes plant: Aus ihr ein königliches Edeldestillat herzustellen. „Dieser weitere spektakuläre uralte ‚Birnen-Dinosaurier’ ist sehr wahrscheinlich aus der Zeit des württembergischen Königs Wilhelm.“

Matthias Braun schätzt, dass es in Hemmingen und Heimerdingen mehr als 100 alte Apfel- und Birnensorten gibt. Noch seien aber nicht alle bestimmt. Insgesamt gebe es bereits gut 1000 namentlich bestimmte alte Sorten.

Heimerdingen sei vor mehr als 150 Jahren – wie Nußdorf, heute ein Ortsteil der Gemeinde Eberdingen – im Landkreis in der Ausfuhr von Mostobst besonders bekannt gewesen. „Schon in der Oberamtsbeschreibung von 1852 wird dem dortigen Obstbau ein ganz besonderes Lob gezollt“, sagt Matthias Braun. Das Hemminger Obst sei ebenfalls sehr begehrt gewesen: Es habe damals sicheren Absatz auf den Wochenmärkten in Stuttgart und Ludwigsburg gefunden.

Streuobstwiesen sterben

Engagement
Matthias Braun ist Mitglied bei der Organisation Slow Food Deutschland. In der Arche-Gruppe setzt er sich federführend dafür ein, dass alte Obstsorten Arche-Passagiere werden. So werden sie vor dem Vergessen gerettet. Bisher gelang Braun dies für den Luikenapfel und die Palmischbirne.

Sterben Gab es im Kreis Ludwigsburg 2009 knapp 400.000 Streuobstbäume (auf 4000 Hektar, das sind knapp sechs Prozent der Kreisfläche), waren es 2018 mehr als 20 Prozent weniger (320.000 Bäume). Gründe für den Rückgang sind das natürliche Absterben, schlechte Pflege, Krankheiten und der Klimawandel. Die größten Streuobstflächen liegen laut dem Landratsamt in Vaihingen, Sachsenheim, Großbottwar und Oberstenfeld. In Gebieten mit hohem Anteil an Ackerbaukulturen wie im Strohgäu sei der Streuobstanteil naturgemäß geringer. „In diesen Gemeinden waren dafür zahlreiche landschaftsprägende Solitärbäume zu finden.“ Wegen der Bakterienkrankheit Feuerbrand und „Birnenverfalls“ seien in den vergangenen zwei Jahrzehnten viele landschaftsprägende Birnbäume abgestorben. Im Rahmen eines Sortenprojektes zwischen 2004 und 2009 wurden im Landkreis rund 50 Birnensorten ermittelt. Für die Erhaltung von Streuobstwiesen gibt es kreisweit viele Projekte. Bei jenem Sortenprojekt beispielsweise wurden im Kreis verschiedene Sortengärten angelegt. Gerade im waldärmsten Landkreis Ludwigsburg hätten Streuobstwiesen wichtige Ausgleichsfunktionen, neben Arten- und Biotopschutz auch für Boden, Wasser, Klima, Naherholung und Naturerlebnis, heißt es aus dem Landratsamt.