Mit der Einführung der Postkarte wurden vor rund 150 Jahren kurze Nachrichten populär. Sie geben kurze Einblicke in den Zeitgeist, in das, was den Menschen wichtig war und was sie bewegte.

Nicht erst seit Twitter schätzen die Menschen die Möglichkeit, sich schnell kurze Nachrichten zukommen zu lassen. So war die am 1. Oktober 1869 bei der österreichisch-ungarischen Post von Emanuel Herrmann entwickelte Correspondenzkarte mit eingedrucktem Postwertzeichen bald ein Welterfolg. Die Karte kostete weniger als ein Brief und verkaufte sich bereits im ersten Monat 1,4 Millionen Mal. Allerdings hatte sie in den Anfängen auch kaum mehr Platz für eine Nachricht, als heute eine Twitter-Botschaft.

 

Postkarten-Korrespondenz zwischen Leonberg und München

Im April 1870 wurde Heinrich Stephan Generalpostdirektor des Norddeutschen Bundes und führte dort die Postkarte ein. Am 6. Juni 1870 zeichnete der preußische Ministerpräsident und Kanzler des Norddeutschen Bundes Otto von Bismarck die „Verordnung betr: die Einführung der Correspondenzkarte“ ab, die ab 1. Juli 1870 in Kraft trat. Gleichzeitig führte Bayern die Postkarte ein, Württemberg ab 8. Juli, Baden folgte Anfang August – und viele Länder weltweit zogen in den nächsten Jahren nach.

Interessant an diesen alten Karten ist, dass sich aus ihnen kurz und prägnant der Zeitgeist herauslesen lässt, was seinerzeit in war, was die Menschen bewegte, aber auch, wie neue Begriffe entstanden und sich die Sprache veränderte und Wörter in einem neuen Kontext eine andere Bedeutung bekamen. Das lässt sich an zwei Beispielen herauslesen, deren Botschaft das gleiche Ereignis betrifft – die erste Landung eines Luftschiffes in München am 2. April 1909.

Da schreibt am 5. April 1909 ein gewisser „T“ aus Leonberg an seinen Freund Theodor Waigle in München: „Nun habt ihr ja auch den ‚Zeppelin’ gehabt! Wirst auch unter den Zurufenden gewesen sein beim Willkommen? S´war großartig! Fast hat man Euch in dieser hinteren Gasse in Leonberg hoch schreien hören! Für die schnelle Zusendung des Gewünschten besten Dank. Mit herzl. Grüßen d.L.“

Postkartenmotiv Leonberg Altstadt

Geschrieben ist das auf eine Postkarte mit einer Ansicht von inzwischen abgerissenen alten historischen Scheunen in der Leonberger Hinteren Gasse. Aufgenommen ist die von dem rührigen Hoffotografen, Journalisten und Gemeinderat Karl Stadelmann. Der hat mit seinem Einsatz nach dem Ersten Weltkrieg die Leonberger Hunderasse, den Leonberger Pferdemarkt und die Pferdezucht in der Region gerettet.

Ein Volk im Zeppelin-Fieber – und das grassiert auch in Leonberg. Foto: Michael Holzer

Damit spielt „T“ auch auf ein Ereignis aus der Region an, das 1908 die Zukunft des Zeppelins besiegelt hatte. Nach drei vorherigen Bruchlandungen der ersten Luftschiffe wollte die Armee LZ 4 übernehmen, verlangte aber eine Demonstration, dass der Zeppelin für eine 24-Stunden-Fahrt geeignet sei. Am 4. August 1908 flog er morgens von Friedrichshafen nach Mainz und nach einem reparierten Motorschaden ging es gegen 22 Uhr zurück. Auf der Rückfahrt musste das Luftschiff zwei Stunden später abermals wegen Motorproblemen auf den Feldern bei Echterdingen zwischenlanden. Hier riss ein Sturm das Schiff am 5. August aus seiner Verankerung. Es strandete an einem Obstbaum auf einem Feld in Bernhausen, fing Feuer, und nach kürzester Zeit blieben von der stolzen Konstruktion nur noch rauchende Trümmer übrig.

Vorfall in Bernhausen wird zum Wendepunkt für Zeppelin

Doch die Begeisterung der Menschen für das neue Gefährt war so groß, dass angesichts dieses Unfalls einer der zahlreichen Zuschauer spontan eine Spendenaktion startete, die eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft im ganzen Reich auslöste. So kamen aus der Zeppelinspende des deutschen Volkes mehr als sechs Millionen Mark (entspricht dem Gegenwert von 41 Millionen Euro) zusammen, die es dem Grafen Zeppelin ermöglichten, die Luftschiffbau Zeppelin zu gründen und eine Stiftung ins Leben zu rufen. Das Projekt stand damit endlich finanziell auf sicherem Boden. Und die Leonberger Karte zeigt auch, dass den Menschen das Wort Luftschiff zu steif war, man nannte es einfach liebevoll „Zeppelin“.

Im Jahr darauf war die S.M.Z.I. fertig und unternahm Langflüge. Unter großem Zuschauerandrang landete das Reichsluftschiff Z.I am 2. April zum ersten Mal auf dem Flugplatz Oberwiesenfeld in München, an der Stelle des heutigen Olympiageländes. Das würdigt der zweite Postkartenschreiber, dessen Karte den Zeppelin über München zeigt und das Konterfei von Ferdinand Adolf Heinrich August Graf von Zeppelin.

Auf das abgebildete Luftschiff hat „Heinrich“, wie er die Karte unterzeichnet „Sieg u. Heil! Schon fortgeflogen“, geschrieben – fast wie heute Emojis in digitalen Kurznachrichten. Und gerade diese Worte zeigen, wie Begriffe im Laufe der Zeit eine ganz andere Wahrnehmung erlangen. Bevor „Sieg Heil!“ zum mörderischen Schlachtruf der Nazis wurde und für uns heute unbrauchbar geworden ist, standen die Worte für etwas ganz anderes. Sie waren Akklamation und Ansporn für das Gelingen eines gewagten Unterfangens. Und „Heil“ war Jahrtausendelang ein Segenswunsch, wie schon das „Vaterunser“ zeigt. Es stand für die Würdigung von etwas Erhabenem, für Ehrfurcht, Verehrung und Achtung – und dieses schönen Wortes wurde die deutsche Sprache beraubt.