Das alte Stuttgart lebt in historischen Silvesterkarten auf. Mit Sehenswürdigkeiten der Stadt haben sich die Menschen einst zum neuen Jahr gratuliert. Unser Stuttgart-Album zeigt faszinierende Grußkarten, die Geschichten erzählen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der Schneemann mit dem Zigarillo im Mundwinkel ist gut drauf. Er grüßt aus einem Winter, in dem es in Stuttgart noch geschneit hat. Sein Leben war noch nicht vom Klimawandel bedroht. Um seinem Hals hängt eine Tafel, die zeigt, worauf die Stadt schon vor über hundert Jahren stolz gewesen ist. Der Schlossplatz ist mit kraftvollen Bäumen reich bestückt. Die Hügel dahinter sind kaum bebaut.

 

„Prosit Neujahr“ hat der Absender oder die Absenderin mit dieser schönen Karte gewünscht. Beschrieben ist sie auf der Vorderseite, wie’s zu jener Zeit üblich war. Die historischen Karten mit Stuttgart-Motiven zum Jahreswechsel, die das Stuttgart-Album aus den Sammlungen von Wolfgang Müller und Wibke Wieczorek erhalten hat, zeigen, worauf die Menschen damals stolz waren.

Zu den Sehenswürdigkeiten von 1903 zählte das Interimstheater

Auf einer weiteren Karte stehen vier große Ziffern: 1903. Die Rundungen der Jahreszahl sind mit den den Fotos von Stuttgarter Sehenswürdigkeiten gefüllt. „Herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahr sendet Karl Zing“, steht auf der Vorderseite der Karte in akkurater Schrift. Etliche Generationen vor E-Mails und WhatsApp schickte man mit Hand geschriebene Postkarten, was wahrscheinlich oftmals persönlicher war. Alte Grußkarten erzählen Geschichten. Wer die Fotos in den verzierten Zahlen der 1903er-Karte des Herrn Zing genau betrachtet, kann folgende Orte erkennen: Eugensbrunnen, Nachtwächterbrunnen, die Johanneskirche im Stuttgarter Westen (noch mit vollständiger Turmspitze), Schlossplatz und das Interimstheater.

Ende des Jahres ist Spielwaren Kurtz nur noch Geschichte

Es gab eine Zeit zum Jahreswechsel, da war der Neckar zugefroren. Auf einer anderen Karte sind Schlittschuhläufer zu sehen, die sich bei der König-Karls-Brücke vergnügen. Die ging auf dem Postweg mit Glückwünschen zum neuen Jahr weit über die Stadt hinaus. „Gruß aus Stuttgart“ steht auf der Vorderseite. Damit steht fest, von wann sie stammt. Muss nach 1905 gewesen sein, denn da erfolgte der Zusammenschluss von Bad Cannstatt und Stuttgart. Sonst wäre dort gesehen: „Gruß aus Bad Cannstatt“. Auf der Grußkarte mit dem winterlichen Neckar-Treiben ist der König-Olga-Bau in einem Kreis zu sehen, der befindet sich unweit des Schlossplatzes – also gewiss nicht in Bad Cannstatt.

Außerdem gibt’s eine Karte, die Schnee auf dem Marktplatz zeigt. Auf dem zweiten Geschäftshaus von rechts steht „CW Kurtz“. Die Nachricht vom Ende von Spielwaren Kurtz nach 188 Jahren bewegt die Stadt. Im Internetportal des Geschichtsprojekts Stuttgart-Album erinnern sich sehr viele an das Paradies ihrer Kindheit. Unter anderem ist zu lesen: „Wieder verlieren wir ein Stück Stuttgart!“ Ende des Jahres ist Kurtz nur noch Geschichte.

Das neue Jahr hat eine Chance verdient, besser zu werden

Ein Jahr geht – und wir wünschen uns gegenseitig Glück. Denn das neue Jahr hat eine Chance verdient, besser zu werden. Als Karl Zing zum Ende von 1902 seine Glückwünsche verschickte, ahnte er nicht, dass 1903 der Traum vom Fliegen wahr werden sollte. Den Brüdern Wright gelang im Dezember 1903 der erste motorgetriebene Flug. Jetzt geht 2021, ein sehr schwieriges Jahr. Wird uns 2022 mehr Glück bringen? Können wir dank möglichst vieler Impfungen endlich die Pandemie überwinden?

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