Die Museen haben wieder geöffnet. Wichtige Kunstwerke sind wohl nicht dem Hochwasser zum Opfer gefallen. Doch die längerfristigen Schäden, die die Fluten der vergangenen Tage in Venedig hinterlassen haben, kann noch niemand absehen.

Venedig - Das Mosaik aus Handtüchern kann von einer Empore aus bestaunt werden: Ferien am Strand, das Meer als Freund der Urlauber. Über allem eine Woge aus Gesängen: Die Strandbesucher singen über ihre Langeweile und ihre Alltagssorgen – aber auch über fehlende Korallen oder Plastikflaschen im Meer. Die Opern-Performance „Sun & Sea (Marina)“ der litauischen Künstlerinnen Rugile Barzdziukaite, Vaiva Grainyte und Lina Lapelyte thematisiert auf der aktuellen Venedig-Biennale die Auswirkungen von Konsum und Reisen auf das Klima und die Umwelt. Das Werk wurde mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

 

Das Fernsehen kann nicht alles vermitteln

Die internationale Kunstausstellung mit dem Titel „May you live in interesting Times“ (Mögest du in interessanten Zeiten leben) geht noch bis kommenden Sonntag. Trotz des Hochwassers der vergangenen Tage hat sich an diesem Ablaufplan nichts geändert, das Gelände war nur wenig betroffen. Dass das Thema der Schau, bei der viele Arbeiten zum Thema Klimawandel und Umweltschutz zu sehen sind, zu ihrem Ende hin noch derart aktuell werden würde, hat wohl bis vor Kurzem auch in Venedig noch niemand geahnt.

Der Schaden, den das Hochwasser in der Lagunenstadt hinterlässt, ist kein offensichtlicher. Er frisst sich erst langsam in ihre Seele hinein. Das Mosaik auf dem Boden des Markusdoms ist am vergangenen Montag nur noch verschwommen unter einer 1,10 Meter hohen Wasserdecke zu erkennen. „Die Katastrophe in Venedig ist viel größer, als es die Fernsehbilder vermitteln können“, sagt Kulturminister Dario Franceschini bei einer Visite in der Lagunenstadt.

Eine Milliarde Euro Folgekosten

Anfang letzter Woche war das Hochwasser mit 1,87 Metern über dem normalen Meeresspiegel fast über die Rekordmarke von 1966 gestiegen. Tagelanger Regen und weitere Flutwellen hielten die Venezianer bis zum Sonntag in Atem. An diesem Montag hatte sich die Situation wieder entschärft – zumindest das Wasser ist größtenteils wieder abgelaufen.

Die längerfristigen Schäden, die das Hochwasser der vergangenen Tage an den Kirchen und denkmalgeschützten Häusern der Unesco-Welterbestadt hinterlassen hat, kann aber noch niemand absehen. Von rund einer Milliarde Euro Folgekosten ist die Rede. Eine Spezialeinsatztruppe der Carabinieri-Einheit zum Schutz des Kulturguts, die sogenannten Kultur-Blauhelme, die unter der Aufsicht der Unesco arbeiten, sind seit mehreren Tagen in der Stadt und leisten Erste Hilfe.

Jedes Haus ist ein Kunstwerk

In Venedig stehen die Retter der Kulturgüter aber vor einem wohl einzigartigen Problem. Nicht nur wurden Bücher und wertvolle Pergamente im Hochwasser zu Brei, Instrumente, Karnevalsmasken oder historische Möbel weggeschwemmt und Marmorböden und Säulen von an ihnen nagenden Salzwasser über Stunden und Tage bedeckt – nein, ganz Venedig ist ein nun angeschlagenes Kunstwerk – ein Kulturerbe der Menschheit, zu dem es von der Unesco erklärt wurde. Alleine deshalb wird es wohl unmöglich sein, den kulturellen Schaden je zu beziffern. Jedes Haus in der historischen Altstadt ist ein Kunstschatz.

2000 Gebäude stünden hier unter Denkmalschutz, sagt Emanuela Carpani, die Beauftragte für das architektonische Erbe Venedigs. „Die 187 Zentimeter, die das Hochwasser letzte Woche erreicht hat, sind eine historische Marke, eine Flut, die fast die gesamte Altstadt unter Wasser gesetzt hat. Ein Großteil der Gebäude wird davon Schaden genommen haben“, so Carpani. Außer dem weltbekannten Markusdom standen etwa die Hälfte der 120 Kirchen Venedigs unter Wasser. Jede zweite Kirche ist also beschädigt. Die zahlreichen Museen, wie der Dogenpalast, die Ca’Pesaro oder die Peggy-Guggenheim-Collection, meldeten bislang keine Schäden an ihren Kunstwerken. In ihren Erdgeschossen befinden sich wegen der Hochwassergefahr oft nur der Ticketschalter, ein Café und der Souvenirladen.

Das Hochwasser kommt in immer kürzeren Abständen

Freiwillige Helfer machen sich in diesen Tagen daran, die unzähligen Mosaike und Marmorböden zu putzen. Denn das Wasser ist ein Gift mit langer Wirksamkeit. Salz und Dreck, Brennstoffe der alten Wasserbusse und Kreuzfahrtschiffe und Säuren der Fährbatterien: Das alles sind Wirkstoffe, die auf ihre Weise an dem Kalziumkarbonat nagen, aus dem der Marmor hauptsächlich besteht. In letzter Zeit kommt ein weiterer Faktor hinzu. Die extremen Hochwasser wiederholen sich in immer kürzeren Abständen, so dass sich die Böden und Säulen nicht mehr wirklich erholen können.

„Zeitgenössische Krisen entfalten sich leicht“, heißt es in der offiziellen Beschreibung zum Biennale-Beitrag Litauens, sie entfalten sich „sanft – wie ein Popsong am allerletzten Tag auf der Erde“. Bis zum Sonntag kann der Strand des Untergangs noch besichtigt werden. Wie lange die Schönheit Venedigs noch zu bewundern ist, wagt derzeit niemand vorherzusagen.