Küssen ist gesund und erhöht die Lebenserwartung. Bei einer deutsch- italienischen Hochzeit ist unserem Kolumnisten klar geworden, warum dies so ist. Die Gäste lassen nicht locker, bis das Brautpaar alle „Bacio, bacio“-Rekorde bricht.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Gratulazione! Italiener leben länger als wir Deutsche. Die Europäische Union hat die Sterbetafeln ihrer Mitgliedsstaaten ausgewertet und die italienischen Männer bei einer Lebenserwartung von 81 Jahren als Sieger gekürt. Italienische Frauen landen mit 85,6 Jahren knapp hinter Spanien auf Platz zwei. Deutschland ist nur Mittelfeld, was das Alt- und Uraltwerden betrifft. Woran das liegt?

 

Bei einer deutsch-italienischen Hochzeit ist mir klar geworden, warum den Südländern mehr Zeit als uns bis zum Ableben verbleibt. Italiener wissen, was gesund ist. Küssen ist gesund! Dare un bacio!

Beim oralen Körperkontakt niemals nachlassen!

Küssen ist gut fürs Immunsystem, kurbelt den Stoffwechsel und die Blutzirkulation an. Obendrein erfreut Küssen alle, die immer und immer wieder „bacio, bacio“ rufen. Bei einer italienischen Hochzeit ist dies ein guter Brauch. Den Gästen macht es Spaß, die Braut und den Bräutigam unentwegt mit der Aufforderung zu beschäftigen, beim oralen Körperkontakt nicht nachzulassen. Vor lauter „Bacio, bacio“-Rufen kommt das Paar kaum zum Essen und Trinken. Sabrina und Niklas machen ihre Sache super! Unter den deutschen Gästen kennen nicht alle das italienische Hochzeitsritual. „Warum rufen die immer Macho, Macho?“, fragt jemand.

Im Laufe einer langen Nacht mit unzähligen „Bacio, bacio“-Appellen entsteht an einem deutschen Tisch der Wunsch, es den fröhlich feiernden Italienern gleichzutun. Man einigt sich auf eine Übersetzung und ruft mit einem Mal vereint: „Knutschen, knutschen!“

In Italien ist die Scheidungsrate nur halb so hoch

So rund und rhythmisch wie „bacio“ klingt „knutschen“ nicht. Die Deutschen und die Italiener – ihre Liaison ist seit jeher mit Klischees belastet, die Leidenschaft auf der einen und Humorlosigkeit auf der anderen Seite einordnen. Was als typisch italienisch oder deutsch gilt, sitzt in den Köpfen fest. Aus der oft überheblichen Einschätzung vieler Deutscher heraus sind Italiener zu laut, zu gestenreich, nicht ganz für voll zu nehmen. Wenn sich die Familien bei einer Hochzeitsfeier nahekommen, wird rasch klar, dass sich Vorurteile wegtanzen lassen.

Die Unterschiede freilich bleiben. In Deutschland kommen 2,32 Ehen auf eine Scheidung. In Italien, im Heimatland des Katholizismus, ist die Scheidungsrate nur halb so hoch, was über das Glück dieser langen Ehen freilich nichts verrät.

Bei einer Hochzeit denkt – im Glanz des strahlenden und sich immer wieder küssenden Paares – keiner an Scheidung. Angeblich handelt es sich um den schönsten Tag im Leben – der soll perfekt sein. Der evangelische Pfarrer hat das heimtückische Wesen der Perfektion erwähnt. In der Kirche gestaltet er den Traugottesdienst mit seinem katholischen Kollegen.

Die „Tränerfänger“, die ausgelegten Taschentücher, sind für alle da. Der Pfarrer erzählt vom Sommerurlaub mit seinen Kindern in Marokko. Natürlich wurden Selfies gemacht. Auf einem, dachte er, ist er gut getroffen. Daheim meinte ein Kollege, dieses Foto könne besser sein. Er jagte die Aufnahme durch die Beauty-App, durchs Korrekturprogramm, wie dies auf Smartphones üblich ist. Falten, Hautfarbe, Doppelkinn und Zähne werden blitzschnell korrigiert. Der Pfarrer blickte in ein wunderbar perfektes Antlitz und wusste doch: Das bin ich nicht!

Dare un bacio!

Perfekt aussehen muss nur jemand, der etwas zu verbergen hat. Eine perfekte Ehe kann es nicht geben. Für Menschen ist es ratsam, wenn sie zu ihrer Unvollkommenheit stehen – es schadet nicht, wenn ein Paar über die Fehler des anderen auch mal gemeinsam lachen kann. Kein Fehler ist „bacio, bacio“. Küssen ist der beste Beweis, dass zwei Köpfe besser sind als einer. Dare un bacio!