Die deutschen Hockeymänner sind Weltmeister. Was zunächst einmal wie eine Überraschung anmutet, war von den langer Hand geplant – und vom Kapitän angekündigt.

Weltmeister! Zum dritten Mal in ihrer Geschichte sitzen die deutschen Männer auf dem Hockeythron – nach einer klaren Ansage. „Mit diesem Team kann es nur ein Ziel geben: den WM-Titel“, hatte sich Kapitän Mats Grambusch bereits vor dem Turnier in Indien festgelegt. Was angesichts von elf Jahren ohne großen Titel für manche noch wie eine (zu) forsche Ansage vom Kölner Mittelfeldmann klang, wurde Wirklichkeit. Und der Triumph ist kein Zufall, wie ein Blick auf das Erfolgsrezept von Bundestrainer André Henning und seinen Spielern zeigt.

 

Das Team „Comeback-Könige“, „Mentalitätsmonster“, „die Unbezwingbaren“ – die Charakterisierungen der deutschen Mannschaft stießen, nachdem sie in drei K.-o.-Spielen in Serie einen 0:2-Rückstand aufgeholt hatte, alle in dieselbe Richtung. Stürmer Niklas Wellen, nach dem Finale zum Spieler des WM-Turniers gekürt, wollte von Zufall nichts wissen: Das sei „auf eine Mischung aus Qualität und Mentalität“ zurückzuführen. Umgangssprachlich könnte man auch vom „Sieger-Gen“ sprechen, das der Deutsche Hockey-Bund (DHB) seinen Spielerinnen und Spielern schon in frühen Jahren zu implementieren versucht. Bei allen Wettbewerben im Nachwuchsbereich gilt es, sich im Turnierverlauf zu steigern, in den Entscheidungsspielen zu performen und eben: Titel zu gewinnen. Es ist auch kein Zufall, dass die Stützen des heutigen Teams um Kapitän Grambusch, MVP Wellen und Topstürmer Christopher Rühr 2013 U-21-Weltmeister wurden und auch 2016 beim olympischen Bronze-Erfolg von Rio dabei waren, als noch Hockeylegenden wie Moritz Fürste und Tobias Hauke die deutsche Mannschaft anführten und das Credo ausgaben: „Dieses Team ist erst geschlagen, wenn der Bus vom Stadion abfährt.“

Gelebter Teamgeist trotz individueller Weltklasse

„Zum Glück haben mich Mama und Papa zu einem Mannschaftssport gebracht“, sagte Rühr schmunzelnd nach dem Viertelfinalsieg gegen England. Deutschlands technisch versiertester Stürmer war das gesamte Turnier über nicht in Topform, ackerte und rackerte aber für das Team, und in Wellen war schnell der Mann gefunden, der die wichtigen Tore für das DHB-Team schießen sollte. Stammkeeper Alexander Stadler machte ohne zu murren in den Penalty-Shoot-outs Platz für den späteren Helden Jean Paul Danneberg und feierte jeden gehaltenen Penalty, als hätte er selbst im Tor gestanden. Wohl selten hat eine Mannschaft trotz derart hoher individueller Qualität das Motto „Einer für alle, alle für einen“ so gelebt.

Der Trainer Bernhard Peters und Markus Weise sind ehemalige Hockey-Bundestrainer, denen das Spielfeld irgendwann zu klein wurde. Sie wechselten zum Fußball. Jürgen Klinsmann wollte Peters, der später für den Hamburger SV und die TSG Hoffenheim tätig war, einst gar in den Betreuerstab der Fußball-Nationalmannschaft holen, Markus Weise wurde nach drei Hockey-Olympiasiegen vom Deutschen Fußball-Bund eingekauft, um das Ausbildungskonzept der neuen Akademie in Frankfurt voranzutreiben. Der heutige Bundestrainer André Henning pflegt zwar einen wesentlich moderneren Führungsstil als diese beiden Legenden, an der herausragenden fachlichen Ausbildung der deutschen Hockeytrainer hat sich aber bis heute nichts geändert. Dass in Jamilon Mülders sogar der Coach der Hockey-Weltmeisterinnen aus den Niederlanden ein Deutscher ist, darf da nicht verwundern.

Henning führte viele der Spieler schon zum Junioren-Titel

Dieser hatte sich in seiner Zeit als Frauen-Bundestrainer Henning als Co-Trainer an die Seite geholt und bezeichnete ihn schon damals als „absoluten Glücksfall“ für den Hockeysport. Gemeinsam gewannen sie 2016 in Rio die Bronzemedaille, und Henning war es auch, der Grambusch und Co. 2013 zum U-21-Titel coachte. Im Dezember 2021 übernahm der 39-jährige studierte Jurist die deutschen Männer, zuvor hatte er bei den Olympischen Spielen in Tokio das kanadische Team in die Weltspitze geführt. Und er trainierte bis vor rund einem Jahr den Bundesliga-Topclub Rot-Weiss Köln, mit dem er viermal die deutsche Meisterschaft und mehrere Europapokale gewinnen konnte und in dessen Reihen sich auch Nationalspieler wie Grambusch, Rühr, Timur Oruz oder Penalty-Killer Jean Paul Danneberg befinden. Manche bezeichnen Henning als den „Julian Nagelsmann des Hockeys“, dabei hat der ehemalige Mülheimer mit noch nicht einmal 40 Jahren mehr Titel und Medaillen gewonnen, als es den meisten Trainern in ihrer Karriere vergönnt sein dürfte.

Die Typen Taktik, Technik und Mentalität – die Ausbildung im Hockey ist vielschichtig. Auf einen weiteren Punkt legt der DHB großen Wert: Individualität. Die Spieler lernen zwar wie in anderen Sportarten auch, taktische Vorgaben bis ins kleinste Detail umzusetzen. Das „gewisse Etwas“, also etwaige Verrücktheiten oder besondere technische Finessen, wird aber nicht nur geduldet, sondern explizit gefördert. Und Offensivstars wie Rühr oder Wellen lernen früh, dass sie die Rückendeckung des Teams haben und stellen sich trotz aller Genialität auch in den Dienst der Mannschaft – ähnlich wie Lionel Messi bei der Fußball-WM in Katar. Zudem können „Mentalitätsspieler“ wie Kapitän Grambusch ein ganzes Stadion mitreißen, und der eingebürgerte Olympiasieger Gonzalo Peillat (Argentinien) ist nicht nur einer der besten Strafeckenschützen der Welt, sondern verleiht der überwiegend jungen deutschen Abwehr Halt und Stabilität.

Die Zukunft Während Finalgegner und Olympiasieger Belgien im Schnitt 30 Jahre alt ist, hat kaum einer der deutschen Spieler die magische 30er-Grenze erreicht. Nicht ohne Grund sagte DHB-Sportdirektor Martin Schultze nach dem gewonnenen WM-Finale: „Das lässt uns freudig in die Zukunft schauen. Ich bin begeistert von der Arbeit im Staff und was die Mannschaft hier geschafft hat, das ist unglaublich.“ Die Mannschaft ist vor der Zeit, schließlich war Paris 2024 das große Ziel der DHB-Männer. Aber wie sagte Grambusch schon vor der WM: „Mit diesem Team kann es immer nur ein Ziel geben . . .“