Im November ist Schluss: Uli Hoeneß verkündet seinen Rückzug als Präsident und Aufsichtsratschef, seine Stellung als Patriarch des Rekordmeisters aus München wird er aber wohl weiter innehaben – weil der Club sein Lebenswerk bleibt.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/München - Er hat es jetzt wirklich verkündet, er hat es gesagt, und wer diesen Uli Hoeneß nicht kennt oder einzuschätzen weiß, der glaubt wohl tatsächlich daran, dass der Regent den Weg frei macht. Dass von ihm künftig wenig bis nichts mehr zu hören sein wird. Dass er sich zurückzieht, wie das dann immer so schön heißt.

 

Dass die Abteilung Attacke Geschichte sein wird. Was für ein Schmarrn!

Uli Hoeneß (67) also wird von November an nicht mehr der Präsident des FC Bayern München sein, auch den Aufsichtsratsvorsitz wird er abgeben, seinen Platz im Kontrollgremium aber wird er dem Vernehmen nach behalten, seine Stellung als Patriarch wohl auch.

Hoeneß bleibt Hoeneß

Denn Hoeneß ist Hoeneß. Und er bleibt Hoeneß. Er wird über kurz oder lang weiter mitreden, und wer immer glaubt, dass mit dem offiziellen Amtsende eine Ära endet, der liegt zwar formal richtig – aber dennoch daneben. Denn die Abteilung Attacke wird weiterleben, nur anders. Wie könnte es auch anders sein bei diesem Getriebenen seiner selbst. Und bei diesem Getriebenen des FC Bayern, der ja nicht nur nach seiner eigenen Wahrnehmung sein FC Bayern ist. Es ist sein Lebenswerk. Und ein Lebenswerk lässt man nicht los, selbst wenn man es sich vornimmt.

Hier finden Sie alles zum VfB Stuttgart

Wer sich nach Spielen des Rekordmeisters in der Arena an der Autobahn im Münchner Norden vor dem Ausgang aufhält, in der mit Abstand größten Mixed Zone des deutschen Fußballs, dort also, wo die Spieler übers Spiel sprechen, der hörte bisher die Reporterfüße auf dem Linoleumboden trampeln, wenn Uli Hoeneß rauskam. Es ist schon mal vorgekommen, dass die Neuers, Müllers oder Lewandowskis dann plötzlich fast allein dastanden, weil alle zu Hoeneß rannten. Dem Mann, der stets die beste Schlagzeile versprach.

Hoeneß hat es in diesem aufgedrehten Geschäft sogar geschafft, dass es immer eine Nachricht war (oder es zumindest so verkauft wurde), wenn er nichts sagte. Er schritt dann mit zusammengepressten Lippen nach draußen, und man wusste dann meist, dass etwas nicht stimmte rund um seinen Club. Hoeneß’ Wort hatte sogar bei seinem Schweigen Gewicht. Auch deshalb wird künftig auf ihn gehört, wenn er etwas sagt.

Spezl Herbert Hainer übernimmt

Bald also gibt er den Staffelstab weiter an Herbert Hainer, den ehemaligen Adidas-Vorsitzenden. Sein Rennen ist zumindest offiziell zu Ende, nach 40 Jahren. Nach einem Marathon auf alle Gipfel und durch alle Täler, die das Leben an sich und das eines Funktionärs zu bieten haben.

Wer über Hoeneß schreibt, der könnte aus jeder einzelnen Anekdote eine Geschichte stricken. Die wichtigsten sind bekannt. Jüngster Manager der Ligageschichte, mit 27 Jahren der Start im Jahr 1979 beim FC Bayern. Steiler Aufstieg – und ein Absturz. Hoeneß überlebte 1982 als einziger Insasse einer Privatmaschine ein Flugzeugunglück.

Lesen Sie hier: Jan Kliment – der vergessene Hoffnungsträger beim VfB

Und sonst? War Hoeneß die Abteilung Attacke, der Provokateur, der Erfolgsmanager, klar. Und: Er war der Steuerhinterzieher. 28,5 Millionen Euro. Der Mann, der manchmal das Gewissen einer ganzen Gesellschaft geben wollte, war ein Gesetzesbrecher. Steiler Aufstieg. Tiefer Fall. Auch moralisch.

Ein Millionenunternehmen als Familie

Ausgerechnet Hoeneß saß nun auf der Anklagebank, der Mann, der im Jahr 2000 verhinderte, dass der koksende Christoph Daum Bundestrainer wurde. Und der seinen FC Bayern stets als seine Familie betrachtete – und die Angestellten, allen voran die Spieler, als seine Kinder. Denn wer im Leben fiel, den versuchte Hoeneß aufzufangen. Ob er noch bei den Bayern war oder nicht. Der alkoholkranke Gerd Müller, dem Hoeneß zurück ins Leben verhalf und als Co-Trainer der zweiten Mannschaft arbeiten ließ, ist ein Beispiel. Eins von Hunderten.

Rund um seine Haftstrafe brauchte er plötzlich selbst den Zuspruch beim FC Bayern – den er zunächst bekam. Mit überwältigenden 98,5 Prozent wählten ihn die Mitglieder Ende 2016 wieder ins Präsidentenamt nach der Rückkehr aus dem Gefängnis. Allein: Sein Denkmal begann zu bröckeln. Die legendäre Pressevernichtungskonferenz unter Hinweis auf Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar) etwa führte er selbst ad absurdum, als er dem ehemaligen Bayern-Profi Juan Bernat auf derselben Veranstaltung vorwarf, „einen Scheißdreck“ gespielt zu haben.

Etwas ging ihm verloren

Sein Instinkt für die richtigen Themen, fürs bewusst gesteuerte Attackieren zum Wohle des FC Bayern, er war nicht mehr der gleiche wie vorher. Dass er nun aber im Zuge dessen bei der vergangenen Jahreshauptversammlung von einigen Mitgliedern angegangen wurde, hat Hoeneß schwer getroffen. Vielleicht hatte er ein paarmal danebengelegen, inhaltlich und verbal. Aber das? Innerhalb seiner Bayern-Familie? Es gab plötzlich Pfiffe und Buhrufe. Für Hoeneß muss es sich ein bisschen so angefühlt haben, als würden seine Söhne den Kontakt zu ihm abbrechen wollen. Es soll der finale Auslöser für den Rückzug gewesen sein.

Mittlerweile haben sich die Wogen wieder etwas geglättet. Hoeneß selbst hat wie im Falle der Grundgesetz-Pressekonferenz Fehler eingeräumt, und in der öffentlichen Wahrnehmung steht vor dem offiziellen Ende beim FC Bayern seine Lebensleistung im Mittelpunkt.

Nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um künftig auch ohne Amt und Würden noch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.