Uli Hoeneß ringt um Fassung vor dem Münchner Landgericht, er wirkt gebrochen. Trotz Selbstanzeige soll der Fußballmanager ins Gefängnis. Vorerst aber bleibt er noch auf freiem Fuß.

München - Die Stunde der Wahrheit schlägt für Uli Hoeneß um 14 Uhr. Nach drei Stunden des Wartens, die für den FC-Bayern-Präsidenten zu den wohl quälendsten seines Lebens gehört haben mögen, betreten alle wieder den Saal 134 des Landgerichts München II. Jeden Moment wird das Urteil verkündet. Hoeneß steht zwischen seinen Verteidigern. Sein Gesicht ist gerötet. Um 14.06 Uhr betritt die Kammer unter Vorsitz von Richter Rupert Heindl den Saal. Alle erheben sich.

 

Hoeneß blickt erst an die Decke, dann auf den Tisch vor sich. Er kaut auf seiner Unterlippe. „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil“, sagt der Richter. Das Gericht verurteilt Hoeneß wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Das Wort Bewährung muss Heindl gar nicht erwähnen. Dreieinhalb Jahre bedeuten Gefängnis. Eine Freiheitsstrafe ist nur bis zu einer Höhe von zwei Jahren zur Bewährung aussetzbar.

Hoeneß’ Gesicht hat sich noch ein wenig mehr gerötet. Der Richter bittet alle, Platz zu nehmen. Dann verschafft er dem 62-Jährigen einen Moment des Durchatmens. Denn zunächst folgt eine Medienschelte. Um 14.13 Uhr kommt er zum Eigentlichen. Das Gericht sieht die Selbstanzeige von Uli Hoeneß vom 17. Januar 2013 nicht als wirksam an. Eigentlich soll eine Selbstanzeige den Ermittlern ziemlich viel Arbeit ersparen. Sie soll für sich sprechen, alle Zahlen und wichtigen Papiere offenlegen.

Viel Arbeit für die Steuerfahnder

Im Fall Hoeneß fing die Arbeit für die Steuerfahnder mit der Anzeige aber erst an. Immer wieder mahnten sie weitere Unterlagen an, Fristen verstrichen. Erst kurz vor dem Prozess am Landgericht wurden sie geliefert. Zehntausende Seiten an Bankunterlagen haben die Beamten sichten müssen. Eine Selbstanzeige ist unwirksam, wenn die eingestandene Tat bereits entdeckt war und die Angaben unvollständig sind. Die Zahlen, die mit der Anzeige über säumige Steuern vorgelegt wurden, haben nach Ansicht des Gerichts keine Grundlage dafür geliefert, eine fundierte Schätzung über die Steuerschuld abzugeben. Sie waren bei Weitem nicht vollständig.

Hoeneß beißt sich weiter auf die Lippe. Ob die Tat zuvor von einem Journalisten, der Hoeneß auf den Fersen war, bereits entdeckt worden war oder nicht, spiele keine Rolle. Nach Überzeugung der Kammer sei die Selbstanzeige an sich schon unwirksam gewesen. Nebenbei korrigiert Richter Heindl die Höhe der Steuerschuld noch einmal weiter nach oben. Es kommt noch der Solidaritätszuschlag hinzu. Nun sind es 28,5 Millionen Euro, die Hoeneß dem Staat schuldet. Der Fußballmanager wird sie samt Zinsen nachzahlen müssen. Zehn Millionen Euro hat er bereits überwiesen.

Dann wendet sich der Richter direkt an Hoeneß. „Steuerhinterziehung ist ein Vorsatzdelikt“, sagt er. „Herr Hoeneß, ein bloßes Berufen darauf, die Bank habe quasi alles alleine gemacht, nehmen wir Ihnen nicht ab.“ Hoeneß ringt deutlich um Fassung. Er wischt sich über die Augen.

Getrieben von der Angst vor Entdeckung

Hoeneß hatte am ersten Prozesstag angegeben, er habe gar nicht genau gewusst, welche Devisentermingeschäfte über seine Bank in der Schweiz liefen. „Ihre Selbstanzeige erfolgte keineswegs aus freien Stücken“, sagt der Richter. „Sie waren getrieben von der Angst vor Entdeckung.“ Dass die Unterlagen zum Zeitpunkt der Erstattung der Selbstanzeige nicht ausreichten, hätte allein in Hoeneß’ Verantwortung gelegen. „Sie haben viele Jahre Zeit gehabt, Ihre eigenen Dinge in Ordnung zu bringen. Sie haben es nicht getan.“

Zu Gunsten des Angeklagten wertet die Kammer sein Geständnis. Die Staatsanwaltschaft hatte schon am 25. Februar 2013 vermerkt: „Zu Gunsten des Steuerpflichtigen ist zu berücksichtigen, dass ohne die Selbstanzeige aller Wahrscheinlichkeit nach die Ermittlungen der Behörden ergebnislos verlaufen wären.“ So sieht es auch das Gericht. Auch Hoeneß’ „Lebensleistung“ wird erwähnt, ohne sie näher auszuführen. Die Kammer geht aufgrund geänderter Rechtsprechung nicht bei allen sieben Fällen von einem besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung aus. Die Einzelstrafen für die einzelnen Jahren liegen zwischen sechs Monaten und zweieinhalb Jahren. Die Kammer kommt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Der Haftbefehl bleibt bis zur Rechtskraft des Urteils außer Vollzug gesetzt.

Noch einige Monate bleibt Hoeneß ein freier Mann.

Uli Hoeneß kämpft mit den Tränen. Er blickt nicht zu seiner Frau. Auch sie guckt nur zum Richter. Die Verteidigung kündigt umgehend an, das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft hat eine Woche Zeit zu überlegen, ob auch sie Revision einlegen wird. Bis zu einer endgültigen Entscheidung werden noch Monate vergehen. So lange bleibt Hoeneß ein freier Mann. Noch während der Urteilsverkündung lärmt es vor dem Gebäude. Dutzende Menschen haben sich vor dem Justizpalast versammelt. Später herrscht betroffene Stille, „Free Uli“, steht auf einem der Plakate.

Am Vormittag hatte Staatsanwalt Achim von Engel in seinem Plädoyer eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren gefordert. Auch er hält die Selbstanzeige für unwirksam. Hoeneß wirkt geschockt, als er das hört. Er blickt kurz zu seiner Frau und, als sie seinen Blick erwidert, sofort wieder weg. Hoeneß’ Verteidiger Hanns Feigen will den Worten des Staatsanwalts am Vormittag so schnell wie möglich die Wirkung nehmen. Die Frage des Richters nach einer Unterbrechung verneint Feigen. Er plädiert sofort selbst.

Das Rot weicht aus Hoeneß’ Gesicht

Je länger sein Anwalt von der Rückkehr seines Mandanten zur Steuerehrlichkeit spricht, umso mehr weicht das Rot aus Hoeneß’ Gesicht. Hoeneß fasst sich wieder. „,Hoeneß in den Knast‘ wird in Fußballstadien außerhalb von München seit Langem gesungen“, sagt Feigen: „Wir teilen die Auffassung nicht.“ Feigen sagt: Die Selbstanzeige hätte ihre Wirksamkeit allenfalls nur knapp verfehlt. Sie lasse „vor allem keinen Zweifel daran, dass Herr Hoeneß damit zur Steuerehrlichkeit ohne jede Einschränkung zurückkehren wollte und zurückgekehrt ist“. Die Tat sei zum Zeitpunkt der Selbstanzeige nicht entdeckt gewesen. Feigen bleibt auch dabei, dass auch die Zahlen, die für die Berechnung der Steuerschuld nötig sind, in der Anzeige bereits enthalten gewesen seien. Dass die Berater, die die Anzeige verfasst haben, es versäumt hätten, darauf hinzuweisen, dass auch jeweils im Laufe der Jahre, die unterm Strich mit Verlusten endeten, Gewinne erzielt worden waren, sei nicht Hoeneß anzulasten. Feigen: „Nicht Herr Hoeneß hat die Selbstanzeige verfasst, sondern er hat sich dabei beraten lassen.“ Demzufolge wäre das Verfahren gegen seinen Mandanten einzustellen.

Doch so ganz scheint selbst Feigen nicht daran zu glauben, dass das Gericht ihm folgen wird. Feigen bietet daher noch einen zweiten Weg an. Die Verteidigung fordert eine Bewährungsstrafe für Hoeneß für den Fall, dass das Gericht die Selbstanzeige für unwirksam hält. Eine solche sei „Tat und Schuld angemessen“. Dass die Selbstanzeige möglicherweise fehlschlug, sei nicht ihm anzulasten. Feigen: „Es lag nicht an ihm.“ Hoeneß ist nicht vorbestraft, verhalte sich „mustergültig in seinem Leben“. Er habe dem FC Bayern München viel Gutes getan. Und weiter: „Herr Hoeneß hat stets ein Herz für andere gezeigt“, „stets dort geholfen, wo Not am Mann war“.

Sein Schicksal liegt nicht mehr in seiner Hand

Hoeneß blickt zum Richter, dann wieder hinüber zu seinem Anwalt. Der FC-Bayern-Präsident wirkt ergeben. Sein Schicksal liegt an diesem Tag nicht mehr in seiner Hand. „Ist ja kein Pappenstiel“, sagt Feigen noch. „27,2 Millionen Euro aus Geldern zu zahlen, die man nicht mehr hat, ist nicht einfach.“ Dass das Gericht die 27,2 Millionen noch einmal um rund 1,3 Millionen Euro Solidaritätszuschlag erhöhen wird, weiß Feigen da noch nicht. Der Anwalt sagt über Hoeneß: „Er wollte zocken, er wollte nicht Geld anhäufen.“

Der Richter erteilt Uli Hoeneß schließlich das letzte Wort. Er will es nicht. Er habe dem Vortrag seines Anwalts „nichts hinzuzufügen“, sagt er. Dann muss er warten. Drei Stunden später wird er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.