Uta Weyand, Alexandra Sostmann, Peter Orth und Boris Bloch haben sehr interessante CDs mit Klaviermusik herausgebracht. Jede der vier Produktionen setzt eigene Akzente – und doch gibt es eine große Gemeinsamkeit.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Die Hamburger Pianistin Alexandra Sostmann war sich ein bisschen unsicher: ob die Dramaturgie, die sie sich für ihre Einspielung überlegt habe, wohl auch aufgehe. Ob die Hörer es genauso erlebten, fragte sie sich kurz vor der Veröffentlichung von „Bach, Byrd, Gibbons + Contemporary Music“ . Nur wenige Wochen nach dem Erscheinungstag, begeisterten Rezensionen und einer Nominierung zum Preis der Deutschen Schallplattenkritik später steht fest: die Dramaturgie geht auf. Der Musikerin, die schon mit ihrem Bach-Chopin-Album aufhören ließ, ist es auch diesmal gelungen, einen Bogen über die Jahrhunderte spannen, ja diesmal einen über fast ein halbes Jahrtausend.

 

Empfindung und klare Struktur

Dreh- und Angelpunkt sind die beiden Ricercare aus Johann Sebastian Bachs Musikalischem Opfer, das dreistimmige zu Beginn, das sechsstimmige zum Schluss. „Danach“, sagt Alexandra Sostmann, „kann nach meinem Empfinden nichts mehr kommen“. Empfinden ist das eine, eine strukturierende, klar analysierende Interpretation das andere. Alexandra Sostmann hat und kann beides.

So ist es schon allein interessant zu hören, wie sie das in beiden Werken identische Thema vorstellt: mit sanftem, gleichwohl vorwärtstreibendem Druck am Anfang, verhalten, resümierend, in sich gekehrt am Ende (wie überhaupt alle vier CDs dieser Auflistung eine introvertierte Note haben).

Zwischen diesem kompositorischen A und O gibt es bei Sostmann eine Fülle musikalischer Verflechtungen und Beziehungen, die alten Engländer William Byrd (1543 – 1623) und Orlando Gibbons (1583 – 1625) zum einen, die Zeitgenossen Oliver Knussen (1952 – 2018), John Taverner (1944 – 2013), Markus Horn (Jahrgang 1972), John Adams (Jahrgang 1947) und Xiaoyong Chen (Jahrgang 1955) zum anderen. Alexandra Sostmann hat sich intensiv mit den Komponisten auseinandergesetzt, wie das Interview im Booklet zeigt. So bringt sie Frühbarockes und Modernes, Schlichtes und Jazziges scheinbar mühelos unter einen Hut. Aber das beste daran: „Bach, Byrd, Gibbons + Contemporary Music“ gibt es nicht bloß auf CD, sondern auch auf Vinyl als Langspielplatte.

Uta Weyand spielt ein Schmuckstück von Steinway

Eine Ehre, die durchaus auch die zweite Produktion unserer Reihe verdient hätte: Uta Weyands Album „1892 – Reflections“. Die aus Reutlingen stammende Pianistin geht darauf programmatisch einen komplett anderen Weg als Alexandra Sostmann: sämtliche Kompositionen stammen aus dem titelgebenden Jahr. Denn sie werden auf einem Steinway gespielt, den der Landgraf von Hessen 1892 kaufte. Dieser Flügel – für Kenner: es ist ein B, also der legendäre Salonflügel – ist ein wahres Schmuckstück. Rundherum vom Hersteller bestens aufbereitet, klingt er nach einem deutlichen größeren Modell und strahlt eine unglaubliche Wärme aus. Wärme, die natürlich aber auch von der Künstlerin ausgehen muss. So gestaltet sie Edvard Griegs etwas salonverhafteten lyrische Stücke so farbenreich wie Claude Debussys Nocturne 1892 und Johannes Brahms’ späte Fantasien op. 116. Isaac Albéniz altbekanntes Prélude aus den Cantos de España schließlich macht die jahrelange Wahlspanierin zum veritablen Feuerwerk. Olé!

Boris Bloch macht sich um Tchaikovsky verdient

Von Spanien nach Russland – und zu einem leider nicht ansatzweise so gut aufgelegten Bechstein-Flügel – führt die dritte CD: Boris Bloch hat dafür ein Programm aufgenommen, das er 2018 aus Anlass von Pjotr Tschaikowskys 125. Todestag gab. Als Klavierkomponist wird Tschaikowsky hierzulande ja auf sein erstes Klavierkonzert reduziert, umso verdienstvoller ist Blochs Projekt, das neben den Jahreszeiten op. 37 noch sieben weitere Klavierstücke umfasst. Auch hier ist zwar manches nah am Salon gebaut, aber von einer reichhaltigen Melodik geprägt, die eine Entdeckung lohnt. Und das Wiegenlied op. 16 wird unter Blochs Händen zu einem rührend schönen Abendgruß.

Peter Orth interpretiert Brahms, wie er sein muss

Sachlicher, herber sind da die Klavierstücke op. 76. die Rhapsodien op. 79 und die f-Moll-Sonate op. 5, die Peter Orth von Johannes Brahms eingespielt hat. Orth trifft in seiner zurückhaltenden Art genau den Ton: Struktur statt Schwulst, Polypfonie statt Fläche – das ist ein Brahms, wie er sein muss.