Der private Wohnungsbau stockt, Kaufinteressenten bleiben in Miete. Die Stadt müsse deshalb viel mehr tun als bisher, meint Redakteur Jörg Nauke.

Die hohe Inflation, gestiegene Kapitalkosten und anziehende Baupreise machen der Immobilienwirtschaft das Leben schwer. Um das Ausmaß der Krise zu beschreiben, dient der Hinweis aus der Branche, dass Verkäufer nun sogar wieder am Wochenende Besichtigungstermine anbieten müssten. Das Ifo-Institut vermeldet eine Stornierungswelle im Wohnungsbau, weil sich Projekte für Baufirmen und Entwickler nicht mehr rechnen.

 

Experten sehen die Lage kritisch

Und nichts deutet darauf hin, dass in diesem Jahr das Ziel der Bundesregierung, 400 000 Wohnungen zu bauen, erfüllt werden könnte. Zwar wird auf Basis volkswirtschaftlicher Prognosen eine Stabilisierung der Zinsen im zweiten Quartal erwartet. 17 Verbände und Kammern der Planungs-, Bau-, Immobilien- und Wohnungswirtschaft sehen die Lage aber kritisch, weil es nicht am Willen zu investieren fehle, sondern an den nötigen Rahmenbedingungen wie einer höheren Förderung, weniger Steuern und einem Abbau bürokratischer Hürden. Der Bund soll das entstandene Finanzierungsdelta ausgleichen und Innovationen wie modulares, serielles und typisiertes Bauen fördern, um schnell den Wohnungsbestand zu erhöhen.

Zweifel an einer raschen Umsetzung sind erlaubt, weil es nicht einmal dort vorangeht, wo Not herrscht und Geld vorhanden wäre. In Stuttgart hat man vor eineinhalb Jahren erstmals Vorschläge für Modulbauten diskutiert. Es reicht aber nicht, eine gute Idee zu haben; es bedarf auch einer Rathausspitze mit dem Willen zur Umsetzung. Dabei ist der Mangel eklatant und wächst durch den Zuzug von Flüchtlingen aus der Ukraine.

Weil sich viele Menschen den Wohnungs- und Hauskauf nicht mehr leisten können, weichen sie auf den angespannten Mietmarkt aus. In der Landeshauptstadt wäre ein Kraftakt wie beim Klimaschutz nötig, also höhere Investitionen in den geförderten Wohnungsbau und eine stärkere Kontrolle gegen Zweckentfremdung und Leerstand – doch davon merkt man nichts.

Die Verwaltung findet keine Mitarbeiter

Für den sozialen Frieden sind steigende Mieten und Betriebskosten eine große Belastung. Bei einem wachsenden Teil der Bevölkerung zehren die Wohnkosten bereits mehr als 30 Prozent des verfügbaren Einkommens auf. Das hohe Mietniveau in Stuttgart zieht weitere Probleme nach sich: Weil sich viele Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen keine Wohnung in der Stadt leisten können, sind in der Verwaltung mehr als 1000 Stellen unbesetzt – unter anderem viele in der Wohngeldstelle, die aber nach der Reform besonders strapaziert ist, weil sich der Anteil der Bezieher dieses wichtigen Zuschusses verdreifacht hat.

Für viele Familien, auf die Stuttgart aber nicht verzichten kann, bleibt also nur die Umorientierung ins Umland, die durch verstärktes Homeoffice und dank des günstiger werdenden öffentlichen Nahverkehrs stark zunehmen dürfte. Wer nur ein- oder zweimal pro Woche an seinen Arbeitsplatz in die Metropole muss, nimmt eher eine einstündige Bahnfahrt ins Büro in Kauf. Jenseits der Stadt-, aber auch der Regionsgrenzen warten mitunter Grundstücke, Häuser und Wohnungen zu Preisen, für die es in Stuttgart nur Eigentum im Bonsai-Format gibt.