Bei Dacharbeiten finden Zimmerleute in Leonberg riesige Hornissennester. Doch diese dürfen nicht einfach versetzt werden.

Das ist ja ein Ding!“ Nicht schlecht gestaunt haben die Dachdecker und die Hausherrin Gisela Schröder, als die Handwerker in der Leonberger Paracelsus-Straße die Holzverkleidung eines Vordaches abgebaut haben. An einem der Balken hingen zwei riesige Gebilde wie aus Pappmaché, mit runden Ausbuchtungen, das eine grau-braun, das andere mit hellen und dunkleren, ebenfalls braunen Querstreifen – beide unten geöffnet. „Das sind bestimmt zwei überaus große Wespennester“, so die ersten Vermutungen.

 

„Zum Glück sind die nicht bewohnt“, freuen sich die Handwerker von der Eltinger Zimmerei Ziegler, die den Auftrag haben, das Vordach neu zu gestalten. „Immer, wenn wir einen Dachstuhl freilegen, stoßen wir auf Wespennester“, sagt einer der Handwerker. „Und die freuen sich nicht unbedingt über unseren Besuch“, scherzt ein anderer. Er hat es neulich am eigenen Leib erfahren, als er einen Stich am Hals abbekommen hat. „Doch so etwas Großes habe ich bisher nur einmal gesehen“, sagt der Ältere von beiden.

Wespen- oder Hornissennest?

Nicht weniger beeindruckt ist die Hausherrin Gisela Schröder. Sie hat die Handwerker gebeten, die Gebilde, von denen keine Gefahr ausging, unangetastet zu lassen, bis die „Erbauer“ ausgekundschaftet sind.

Ein Kenner hat sie dann auch als Hornissen- und nicht Wespennester identifiziert. Während Wespennester eine graue Färbung haben, erscheint das Hornissennest bräunlich. Die Tiere verwenden verwittertes Holz als Baumaterial. Die Holzfasern werden zerkaut und eingespeichelt und umgeben die Waben – also nicht unähnlich wie die Zubereitung von Pappmaché. Die Nester sind nach unten offen, damit die Exkremente der Larven ausgeschieden werden können.

„Das erklärt auch, warum meinem Mann im Sommer vergangenen Jahres mehrmals sehr große – wie er dachte – Wespen aufgefallen sind“, erinnert sich Gisela Schröder. „Das waren wohl unsere Hornissen, aber gestört haben die uns nie“, sagt sie. Wespen seien da viel aufdringlicher, auch am Frühstückstisch. Eine habe das gekippte Schlafzimmerfenster genutzt, um im Raum ein Nest zu bauen.

„Alle haben eine Daseinsberechtigung“

Aber die kleinen Tiere zu töten kommt für Gisela Schröder nicht infrage. „Auch die – und alles, was kreucht und fleucht – haben eine Daseinsberechtigung“, sagt sie. „Ich stelle mir dann vor, wie es wäre, wenn ein Wesen, das zigmal so groß ist wie ich, mich angreifen würde“, argumentiert die Leonbergerin. Zudem gebe es nichts Faszinierenderes als die Natur und ihre Geschöpfe. Auch kann sie nicht verstehen, wie Kinder zur Panik gegenüber Insekten erzogen werden könne. „Lässt man die in Frieden, lassen die einen auch in Ruhe“, so ihre Erkenntnis.

In Mitteleuropa ist die Hornisse die größte lebende Wespenart. Sie gehört zur Familie der Faltenwespen. Hornissen sind wohl eine der meist gefürchteten Insektenarten und es herrschen viele Vorurteile gegen die großen Brummer. „Sieben Stiche töten ein Pferd, drei einen Menschen“, ist eines davon. Der große Stachel und das Gift der tag- und nachtaktiven Insekten sind alles andere als angenehm. Trotzdem herrschen zahlreiche Missverständnisse, denn die Insekten bleiben am liebsten unter sich und haben es auch nicht auf Eisbecher, Limonade und Schokokuchen abgesehen. Viel lieber vertilgen Hornissen Mücken, Motten und andere Insekten.

Auf der Suche nach Ersatzhöhlen

Da natürliche Baumhöhlen selten geworden sind, suchen sich die Tiere Ersatzhöhlen im menschlichen Siedlungsbereich, die sie dann als Nistplatz nutzen und um ihr Hornissennest zu bauen. Im Frühjahr macht sich eine einzelne Jungkönigin, die den Winter geschützt in einem morschen Baumstamm oder im Erdreich überstanden hat, auf die Suche nach einem geeigneten Platz. Dort beginnt sie dann, Eier zu legen und ein Hornissenvolk zu gründen.

Als „Ökopolizei“ sorgen sie für die natürliche Kontrolle der Insektenbestände. Die jungen Hornissen benötigen tierische Proteine. Leben etwa 500 Hornissen im Nest, werden bis zu 500 Gramm Insekten täglich benötigt. Diese Menge vertilgen im selben Zeitraum fünf Meisen-Familien. Werden die Insekten angegriffen, verteidigen sie sich und stechen zu. Das kann für die drei Prozent der Deutschen mit einer Insektenallergie, wie auch ein Bienen- oder Wespenstich, zur Gefahr werden. Im Herbst beim ersten Nachtfrost stirbt das Hornissenvolk ab.

Hornissen dürfen nicht gejagt, verletzt oder getötet werden. Sie und ihr Nest stehen unter Artenschutz. Darum ist es für Gisela Schröder und die Handwerker ein günstiger Umstand gewesen, dass die Nester nicht bewohnt waren. Wer nämlich Hornissen verjagt und deren Nester entfernt, macht sich strafbar. Das fachmännische Entfernen von Hornissennestern ist nur in Ausnahmefällen mit einer behördlichen Genehmigung gestattet. Die Umsiedlung dürfen Imker, Feuerwehr oder Kammerjäger vornehmen.

Strafe bis zu 50 000 Euro

Für uns Menschen bedeutet der Artenschutz, dass Nester, die auf dem eigenen Grundstück entdeckt werden, nicht entfernt werden dürfen. Die unerlaubte Entfernung von Hornissennestern kann bis zu 50 000 Euro Strafe kosten. Damit die Tiere nicht gefährdet werden, ist es am besten, die Stelle möglichst zu meiden und mit einer Absperrung zu markieren.

„Wie scheu und friedlich die Hornissen leben, zeigt schon die Tatsache, dass sie uns kaum aufgefallen sind, obwohl sie zwei so riesige Nester gebaut haben, wofür bestimmt viel Arbeit nötig war“, sagt Gisela Schröder.