Aliens, Monster, Psychokiller, alle spielen sie wichtige Rollen im Kino des Amerikaners John Carpenter. Aber der Genre-Filmemacher, der am 16. Januar 70 Jahre alt wird, hat Größeres im Blick. Er erzählt von einer kaputten Gesellschaft.

Hollywood - Meister des Schreckens, Horror-Innovator, Schockspezialist – seine Fans haben dem Regisseur John Carpenter im Lauf der Jahrzehnte schon viele Titel gegeben. Und alle klingen sie so, als sei es diesem Filmemacher, der am 16. Januar 1948 in Carthagene, im US-Bundesstaat New York geboren wurde, stets und vor allem ums Zupfen an den Nervenenden der Zuschauer gegangen.

 

Gewiss wäre es Quatsch, Carpenters Werk aus der Geschichte des modernen Horrorfilms herauslösen zu wollen. Mit dem Schlitzerfilm „Halloween“ hat er 1978 ein enorm einflussreiches Genrestück vorgelegt. Das waren damals jene aufregenden Jahre, in denen Schlächter, Monster und Dämonen am Filmende nicht einfach wieder sauber hinausgefegt waren aus einer dann wieder heilen Welt. Nein, die Filme von Carpenter, Wes Craven, George A. Romero und anderen suggerierten, dass die heile Mittelstands- und Vorortwelt der Werbung und überhaupt die ganzen stolzen USA dauerhaft kaputt waren und ständig neue Schrecken aus sich selbst hervorbrachten.

Die USA von schräg unten

Beim mittlerweile 70-jährigen John Carpenter war diese Zerrüttung kein zusätzlicher Erschreckenseffekt, der die Gänsehaut länger wirken lassen sollte. Carpenter hat sich vielmehr das Horrorgenre ausgesucht, weil er mit dessen Bildern und Ideen gut vom Unheil in der Welt erzählen konnte. Wobei der Sohn eines Musikprofessors lustvoll die Methoden und die Ruppigkeit, die Effizienz und auch die Wurstigkeit der alten Pulpheft-Geschichten ins Kino übersetzte. Klassische Pulp-Autoren wie Dashiell Hammett („Der Malteser Falke“) und James M. Cain („Wenn der Postmann zweimal klingelt“) hatten Amerika mit einem schrägen Blick von unten gezeigt, hatten Kerle als Helden, die eigentlich nie eine Chance gegen das System besaßen.

„Sie leben“ von 1988 beginnt mit einem Arbeits- und Obdachlosen, der auf der Suche nach einem Job in eine neue Stadt kommt. Er hat Glück und wird auf einer Baustelle angenommen, weil er im Rucksack sein eigenes Werkzeug mitbringt. Trotzdem lernt er nicht die bürgerliche Seite seiner neuen Umgebung kennen. Er landet in einer improvisierten, allenfalls halblegalen Wellblech- und Pappkartonsiedlung der Obdachlosen. Habenichtse und Geringverdiener bekommen hier aus der Suppenküche der Kirche nebenan ihre Mahlzeiten. Noch bevor das erste Ungeheuer auftaucht, zeigt Carpenter diese Zustände als etwas Ungeheuerliches.

Dreck unter den Fingernägeln

Im Fortgang des Films lernt der Held dann, dass Außerirdische die Welt versklaven, dass die irdischen Elliten mit Luxus bestochen und die Armen durch allgegenwärtige Hypnosebotschaften dumm und passiv gehalten werden. „Sie leben“ war eine böse Parabel auf die konservative Gier-ist-gut-Revolution der Achtziger – und vielleicht auch Carpenters letzter wirklich wichtiger Film.

Je größer Apparat und Budget wurden, die ihm zur Verfügung standen, desto flauer gerieten die Ergebnisse, wie bei „Jagd auf einen Unsichtbaren“ (1992) und „Das Dorf der Verdammten“ (1995). Carpenters wichtigste Filme haben allesamt Dreck unter den Fingernägeln: Der mit Ravioli-Dosen-Budget gedrehte „Dark Star“ (1972), eine bestens durchgeknallte Science-Fiction-Satire, die zeigt, dass wir unsere irdischen Probleme auch im Weltall nicht loswerden könnten; „Assault – Anschlag bei Nacht“ (1976), die Geschichte der Belagerung eines Polizeireviers, die soziale Kluften als Kriegsgelände nachzeichnet; „Halloween“ (1978), der im Schlitzer die Gewalttätigkeit im bürgerlichen Alltag freilegt; die Dystopie „Die Klapperschlange“ (1981), in der aus urbanen Brennpunkten eingezäunte Todeszonen geworden sind. Carpenters frühe Filme wollen mehr und anderes zeigen, als sich finanzieren lässt, und müssen sich darum etwas einfallen lassen. Komplexes muss in verhältnismäßig unaufwendige Bilder kommen. Wobei Carpenter keine Rücksicht auf Happy-End-Bedürfnisse nimmt: Immer wieder geht es sogar seinen Hauptfiguren an den Kragen.

Grusel aus dem Synthesizer

Nicht nur aus Geldnot, auch aus Lust hat Carpenter die Musik zu seinen Filmen selbst komponiert. Dabei sind ihm einige schöne Sachen eingefallen. Aber seine bevorzugte preiswerte Instrumentierung – ein mal bombastisch aufgekratzt, mal weinerlich kleinmütig vor sich hinquietschender und wummernder Synthesizer – wird mit dem Verstreichen der Jahre immer gewöhnungsbedürftiger. Vielleicht wird dieser Sound in ein paar Jahren aber auch einen Retro-Kult auslösen. John Carpenter jedenfalls, der tief enttäuscht ist vom schlechten Abschneiden seiner späteren Filme wie „Ghosts of Mars“ (2001) und „The Ward“, zieht mittlerweile eher hobbymäßig als Musiker durch die Lande und führt seine eigenen Filmmusiken in wechselnder Besetzung auf.

Ziemlich unwiderstehlich gruselig (im guten Sinne) ist Carpenters Soundtrack zu „The Fog“ von 1980, dem Film über untote Piraten, die alle hundert Jahre einen amerikanischen Küstenort heimsuchen. Sehr viel ohrendurchdringender als bei ihrem Auftritt in „Halloween“ darf Jamie Lee Curtis darin ihren Anspruch auf die Krone der Scream Queen anmelden. Wenn man heute sieht, wie die blutdürstigen alten Seebären mit ihren Enterhaken aus dem Nebel getappt kommen, möchte man fast optimistisch werden: Es fällt einem dann ein, dass auch Carpenters alte, nie perfekte, aber oft faszinierende Filme die Menschen eines Tages wieder das Gruseln lehren könnten. Nicht mit ihren Monstern, sondern mit ihrer Mahnung, dass die Gesellschaft vor unseren Augen zerfällt.