Verschleppt und ermordet: Bei einer virtuellen Gedenkstunde im Hospitalhof Stuttgart wird 400 Opfern der Deportation vor 79 Jahren und der verfemten jüdischen Komponisten und Lyrikerinnen gedacht.

Stuttgart - Am 26. April 1942 wurden mehr als 400 Jüdinnen und Juden, 143 davon aus Stuttgart, vom Nordbahnhof aus nach Izbica deportiert. Das dortige Transit-Ghetto war der Vorhof zur Hölle der Vernichtungslager Belzec und Sobibor, von denen niemand zurückkehrte. „Entrechtet, gedemütigt, verschleppt und ermordet“, benannte Landesbischof Frank Otfried July schonungslos das Schicksal dieser und aller Opfer der Shoah in einer Gedenkstunde im Hospitalhof, die per Livestream übertragen wurde.

 

Ein Bruch, der „niemals zu kitten ist“

Jüdisches Leben auf deutschen Boden ist urkundlich seit 1700 Jahren verbrieft. Diesem Jubiläum widmet das Evangelische Bildungszentrum im Hospitalhof eine Themenreihe. „Es ist eine Geschichte, die mit der Gemeinsamkeit von Christen und Juden begann, eine Geschichte von Zuversicht, aber auch Zerstörung, Vertreibung, Vernichtung und immer neuen hoffnungsvollen Anfängen“, umriss Barbara Traub vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde (IRGW) die wechselnden Geschicke. Bis vor 88 Jahren mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten der Bruch gekommen sei, „der niemals zu kitten ist“.

Er empfinde Erschrecken und tiefe Trauer über die Ungeheuerlichkeit des Holocaust, bekannte July. „Dieses Verbrechen entzieht sich jeglicher Relativierung, die Schuld bleibt uns.“ Umso bitterer sei es, dass es bis heute Antisemitismus in unserem Land gibt: „Ein Tag der Erinnerung wie heute erweist die Schamlosigkeit derer, die von ihrem Hass nicht ablassen.“ Dass Roland Müller, Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, der das Leid der Opfer schilderte, die Täter aufgrund ihrer christlichen Vornamen Christian und Gottlob einer christlichen Familienherkunft zuordnen kann, lässt July die Rolle der Kirche reflektieren: „Auch die Kirche hat Schuld auf sich geladen.“

Den Faden der 1700-jährigen Geschichte wieder aufnehmen

Barbara Traub betonte: „Erinnere Dich, heißt ein Gebot im Judentum. Erinnerung nicht für Rache und Vergeltung, sondern um den Opfern einen Platz in unserer Mitte einzuräumen und den Faden der 1700-jährigen Geschichte wieder aufzunehmen.“

„Ich habe Angst, es ist vorbei, die helle Zeit“, schrieb die Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger, die 17-jährig 1942 in einem Arbeitslager an Fleckfieber starb. Sie ist eine der verfemten Lyrikerinnen und Komponisten, die in dieser Gedenkstunde gewürdigt und ins Bewusstsein gebracht wurden. Grandios dargeboten vom Ludwigsburger Streichquartett und der Sopranistin Neli Heil mit Musik und Liedern unter anderem von Viktor Ullmann und Erwin Schulhoff. Und von Barbara Stoll, die Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger, Rose Ausländer, Nelly Sachs und Mascha Kaléko vortrug. „Wenn wir sie vergessen, lassen wir sie ein zweites Mal sterben“, sagte Barbara Traub, die mahnend einen weiteren Dichter zitierte: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“, habe Primo Levi, auch er ein Shoah-Überlebender, gewarnt.