Im Hospiz in Stuttgart-Degerloch lernen Hinterbliebene, mit ihrem Schmerz umzugehen. Dabei helfen verschiedene Trauergruppen und eine jährliche Reise. Sie führt die Menschen zurück ins Leben.

Degerloch - Hinter dieser Tür beginnt eine andere Welt. Draußen: Bauarbeiten und hektischer Pendlerverkehr, drinnen: eine ganz besondere Ruhe. Im katholischen Hospiz an der Jahnstraße in Degerloch gehen die Uhren anders. Es ist ein Ort, an dem Todkranke vom Leben Abschied nehmen. Es ist aber auch ein Ort, an dem die Hinterbliebenen lernen können, mit ihrer Trauer zu leben. Im Hospiz Sankt Martin gibt es mittlerweile 16 Gruppen für Hinterbliebene. Zum Beispiel für Kinder und Jugendliche, für Jungverwitwete oder für verwaiste Eltern.

 

Ein besonderes Angebot sind zudem gemeinsame Reisen für Trauernde. Einmal im Jahr fahren zwölf Teilnehmer für eine Woche in ein Biohotel im Pitztal, Tirol. Für den diesjährigen Termin Ende Juni gibt es noch freie Plätze. Das Hotel liegt im Grünen, abseits vom touristischen Trubel, umgeben von einem Wasserfall, einem Bach und einem kleinen See. Es gibt Rückzugsmöglichkeiten und ebene Wanderwege. Die Reisegruppe aus Degerloch hat dort einen eigenen Gruppen- und einen separaten Speiseraum sowie den Schlüssel zu einer kleinen Kapelle nebenan.

Es wird zusammen geweint und zusammen gelacht

Den Tag beginnen sie mit einem Tai-Chi-Morgengruß und beschäftigen sich dann mit einem Thema wie zum Beispiel Wasser. „Die Teilnehmer sollen in dieser Zeit in sich hinein spüren und viel über sich selbst erfahren“, erklärt Sabine Novak, die seit neun Jahren als ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin im Hospiz in Degerloch arbeitet. Die Teilnehmer der Trauerreise basteln beispielsweise Papierschiffchen, auf die sie notieren, was sie loslassen möchten. „Später gehen wir zur Bachquelle und lassen sie gemeinsam los“, erzählt die hauptamtliche Trauerbegleiterin Sybille Bossert. Alles ist freiwillig, nichts muss. „Wir sind aber überrascht, dass alle den Morgengruß mitmachen“, sagt Novak. Es sei schön, zu beobachten, wie sich die Trauernden auf diese Reise einlassen – während der übrigens nicht nur zusammen geweint, sondern auch sehr viel gelacht werde. „Beides hat Raum, wie eine Pendelbewegung, wie im Leben.“ Die Überschrift der Reise lautet „Aufbrüche ins Leben“. Denn die Teilnehmer bekommen neue Impulse, neue Zuversicht, neuen Mut. Sie tanken trotz ihres Kummers Kraft und Energie. Sie machen sich auf den Weg zurück ins Leben.

Allerdings: Trauer lässt sich nicht abschütteln, sie wird für immer da bleiben, erklären die beiden Hospiz-Mitarbeiterinnen. „Aber sie verändert sich, und irgendwann kann man sie in sein Leben integrieren“, sagt Bossert. Die Trauer sei der Preis der Liebe: „Während man die Liebe genießt, ist man sich der Vergänglichkeit oft nicht bewusst.“

Den Hinterbliebenen helfe es, den Verstorbenen noch einmal zu berühren

Der Tod ist ein Tabuthema. Das macht es schwer für diejenigen, die mit ihm konfrontiert werden. Sie fänden oft nicht ausreichend Raum für ihre Trauer und Rituale, die beim Abschiednehmen helfen. „Viele wissen gar nicht, dass ein Verstorbener 36 Stunden lang zu Hause bleiben darf“, sagt Bossert. Dabei seien dies sehr kostbare Stunden. Den Trauernden helfe es, den Verstorbenen noch einmal zu berühren, die Veränderung seiner Haut zu spüren. „Schön ist auch, zu sehen, wenn die Entspannung im Gesicht eintritt, und zu spüren, dass der Körper entseelt ist“, sagt Bossert. Manche Hinterbliebenen möchten die Verstorbenen vor dem Begräbnis selbst einkleiden. „Auch dieses Ritual ist sehr heilsam“, sagt sie.

Ob und wann ein Hinterbliebener Hilfe in seiner Trauer sucht, sei sehr individuell. „Je mehr Selbstfürsorge man aufbringen kann, desto weniger Begleitung braucht man, auch das soziale Umfeld ist wichtig“, sagt Bossert. Wenn jemand zu ihnen kommt, gilt: „Wir geben keine Ratschläge oder Empfehlungen, wir begleiten die Menschen behutsam auf ihrem Weg“, sagt Novak. Dieser Weg ähnele einer Bergwanderung. „Wir schieben nicht, und wir ziehen nicht, wir gehen einfach mit“, sagt Bossert. Wenn jemand an der Abbruchkante steht, geben sie Sicherheit. „Wir sind wie Geländer zum Festhalten“, sagt Novak.

Das Besondere: Die Trauernden schenken sich gegenseitig Zuversicht, da sie in verschiedenen Phasen stecken. „Wenn mir jemand, der das gerade selbst erlebt hat, sagt, dass sich die Trauer verändern wird, ist es leichter, das anzunehmen, als wenn wir das sagen“, sagt Bossert. Wenn man höre, wie andere Hinterbliebene Meilensteine wie den ersten Todestag des Verstorbenen meistern, spende das Hoffnung.

Anmelden zur Trauerreise im Juni

Die diesjährige Reise ins Pitztal richtet sich an Witwen und Witwer vom 40. Lebensjahr an. Sie ist auf zwölf Teilnehmer begrenzt. Der Termin ist vom 22. bis zum 29. Juni. Die Kosten inklusive Busfahrt, Übernachtung, Programm und Vollpension liegen bei 990 Euro. Die Plätze werden nach Eingang der Anmeldung vergeben. Weitere Informationen bekommt man unter Telefon 0711/652 90 70 oder im Internet unter www.hospiz-st-martin.de