Wenn Kinder nach der Hotelkategorie fragen, dann hat Papa etwas falsch gemacht. Die Geschichte eines Missverständnisses.

Papa plant den Urlaub und fragt sich: Wer hat meine Kinder eigentlich zu derart oberflächlichen Menschen erzogen? Wer hat ihnen beigebracht, im Urlaub erst einmal nach den Sternen zu schauen? Huch, das war ja ich! Als die Kinder klein waren, denkt Papa, da konnten wir uns noch was leisten, da fuhren wir in richtig schöne Hotels. Außerhalb der Ferienzeiten sind viele Gastwirte ja ziemlich entgegenkommend, was den Preis angeht. Da zahlt man oft nur halb so viel wie in der Hauptsaison, und die Kinder gibt es bei entsprechendem Verhandlungsgeschick nicht selten gratis dazu. Papa musste das damals seinen Kindern natürlich erzählen. Schließlich ist er ein Medium, ein Mann der Kommunikation.

 

„Wir fahren in ein Vier-Sterne-Hotel!“, rief er stolz, als würde die Aussicht auf eine Minibar, die in dieser Kategorie zum Standard gehört, die Kleinen besoffen vor Freude machen. Tatsächlich hat Papa seine Kleinen mal wieder total unterschätzt. Schnell haben sie begriffen, dass es auch noch Fünf-Sterne-Hotels gibt. Man erzählt sich sogar von Häusern, die sechs oder sieben Sterne auf ihrem Schild haben. „Warum fahren wir nicht dahin?“, fragten sie. „Ruhe jetzt dahinten!“, schimpfte Papa dann am Steuer und verzichtete einzig und allein aus unerklärlicher Zuneigung und Liebe auf die Formulierung „undankbares Pack“. Im weiteren Reiseverlauf hat sich das mit den Sternen dann, wie fast alles gut Gemeinte, in die völlig falsche Richtung entwickelt. Die Kinder errechneten die zu erwartende Qualität eines Familienurlaubs fortan fast ausschließlich aus der Hotelkategorie - multipliziert allenfalls noch mit der Zahl anderer Kinder, die dort womöglich herumspringen. Dabei kam die Familie letztlich doch nie über vier Sterne hinaus. Man entwickelte sich eher rückwärts, auch weil irgendwann die Schulpflicht einsetzte und den preisgünstigen Aufenthalten in der Oberklasse ein Ende setzte. Papa bot daraufhin sein gesamtes argumentatives Können auf, um die Kinder davon zu überzeugen, dass auch in einem Zwei- oder Drei-Sterne-Haus ein menschenwürdiges Dasein möglich sei und sogar ein altes Bauernhaus seinen Charme habe.

Ein „Familienurlaub für höchste Ansprüche“ stand auf dem Programm

Er wies auch darauf hin, dass er selbst als Kind nie Hotelsterne gesehen habe, sondern immer nur Ferienwohnungen, aber wie fast alle Geschichten aus der guten, alten Zeit stießen sie bei den Kindern nur auf mäßiges Interesse. Aber Papa will nicht ungerecht sein: Vor Ort hat’s die Kinder dann doch nicht so interessiert, ob da ein Föhn im Bad hing, es einen Safe im Zimmer gab oder das Solarium funktionierte. Dafür verleiht er seinem Nachwuchs innerlich fünf Sterne. Bald werden die Kinder ohnehin nicht mehr mit in Urlaub gehen, denkt er, sondern in einfachen Hütten oder auf Campingplätzen mit Gleichaltrigen erste Sternstunden im Schlafsack erleben. Man will es gar nicht so genau wissen. Bevor aber die Matratzen immer weicher werden, hat Papa kürzlich noch einmal versucht, in Sachen Hotelkategorie den Gipfel zu erklimmen: Ein „Familienurlaub für höchste Ansprüche“ stand auf dem Programm, und zwar auf der Maierl Alm bei Kirchberg in Tirol. Dort haben sie vor ein paar Jahren auf halber Höhe fünf Luxus-Chalets an den Berg gebaut - mit angeschlossenem Gasthaus und Restaurant.

„ Absolute Privatsphäre mit allen Annehmlichkeiten eines Fünf-Sterne-Hotels“ war versprochen, und Papa konnte es mal wieder nicht lassen und hat mit den vielen Sternen geprahlt: „Kinder, so viel Komfort hatten wir noch nie!“ Es war dann auch sehr schön, die Aussicht bei gutem Wetter atemberaubend, das Trampolin im Freien nach Auskunft der jungen Hüpfer erste Klasse. Jedes Chalet bietet Platz für zehn Personen, offener Kamin, Whirlpool auf der Terrasse, großer Fernseher und ein Bad für jedes der vier Schlafzimmer. Sogar eine eigene Sauna gab’s im Kellergeschoss, da waren zwar die Kinder nie drin, aber es geht hier um Ausstattung, ums Prinzip - und natürlich um die Erwachsenen, für die die Sterne doch in allererster Linie da sind. Papa hatte sich vorher noch extra die Kriterien durchgelesen, die so ein Fünf-Sterne-Hotel erfüllen muss, und hakte innerlich ab, was abzuhaken war. Nur so ein edles Schild, auf dem die fünf Sternlein prangen, hat Papa nicht gefunden, und da wurde er ein bisschen unruhig, ob er seinen Kindern nicht womöglich Schmäh erzählt hat.

Der Mann, der die Maierl Alm führt, klärte Papa dann auf: Es gebe für Chalets keine Klassifizierung wie für Hotels, sagte er. Das angeschlossene Gasthaus hätte man zwar zertifizieren lassen können, aber da habe es hier und da nicht gepasst: Zum Beispiel bräuchte man für vier Sterne in jedem Zimmer eine Minibar, aber die seien alle hässlich und zu groß und hätten nicht zum Stil der Zimmer gepasst. In anderen Bereichen wiederum würde man die Kriterien übererfüllen. Papa nickte. Papa schwieg. Keine Sterne also. Keinen einzigen. Papa blickte aus dem Fenster und schaute seinen Kindern beim Trampolinspringen zu. Das satte Grün der Wiesen, der Blick ins Tal - wie will man das bewerten? In welches Schema presst man die frische Luft, das gute Bergwasser? Papa legte gedanklich seine Checkliste zu den Akten. Seine Kinder, fiel ihm ein, haben die ganze Zeit nicht nach den Sternen gefragt. Mehr, dachte er, kann man von einem Urlaub eigentlich nicht verlangen.