Michel Houellebecq, Frankreichs weltweit meistgelesener Schriftsteller, präsentiert sich im Pariser Palais Tokyo als Fotograf, Filmemacher, Ton- und Installationskünstler. So persönlich hat man ihn selten erlebt.

Stuttgart - Er sieht schwarz für die Menschheit. Sie wird aussterben. Michel Houellebecq hat das in Wort und Schrift schon mehrfach prophezeit. Und nur, weil der Autor hier im Pariser Palais Tokyo zu anderen Ausdrucksmitteln greift, sich als Fotograf, Filmemacher, Ton- und Installationskünstler präsentiert, fällt die Prognose nicht erfreulicher aus.

 

Gleich im ersten der 18 Ausstellungssäle, die Frankreichs weltweit meistgelesener Schriftsteller der Gegenwart füllen durfte, umfängt den Besucher Finsternis. Die Wände sind schwarz. Von der Decke zucken Neonlichtblitze. Ein Abend-, wenn nicht Götterdämmerung zeigendes Foto stimmt auf Kommendes ein. „Il est temps de faire vos jeux“, steht darauf geschrieben, was so viel heißt wie: Es ist Zeit, dass Sie sich entscheiden, auf welche Spielfelder Sie setzen wollen. Ein anderes Bild weist den Besucher darauf hin, dass er „keine Chance hat“. Die Frage „Weitermachen?“ schließt sich an. Womit schon nach ein paar Schritten klar wird, dass man sich zum Ausstellungstitel „Rester vivant“, lebendig bleiben, getrost ein „noch“ oder ein „trotzdem“ hinzudenken darf.

Und doch lässt das Dunkel hoffen. Wenn man gekommen ist, dann doch um Dunkles zu erkunden, Einblicke in die Black Box zu gewinnen, aus welcher der Schriftsteller seine Inspirationen bezieht. Nicht, dass die Ausstellung diese Möglichkeit ausdrücklich eröffnen würde. Aber Houellebecq selbst hat klargestellt, Fotos seien ihm weniger Kunstwerke als Erinnerungsstützen, Reserven, aus denen er schöpfe, wenn er schreibe.

Liebeserklärung an einen Hund

Einmal den Schaffensquellen nahe, bekommt man womöglich auch noch den Menschen Houellebecq zu fassen, der in seinem literarischen Werk schwer zu greifen ist. Gewiss, man begegnet in seinen Romanen so manchem Alter Ego des Autors. Aber auf wundersame Weise gelingt es ihm gleichwohl, Distanz zu wahren, sich herauszuhalten. „Ich beziehe keine Stellung“, hat er einmal gesagt. „Das überlasse ich dem Leser.“

Und tatsächlich, im Palais Tokyo gilt das nicht mehr. Dort bringt der 58-Jährige sich selbst ein, wird persönlich, sehr sogar. In einem der letzten Säle erklärt Houellebecq dem 2011 verstorbenen Clément seine Liebe. Clément ist – oder vielmehr war – nicht ein Mensch, sondern ein Hund, ein Welsh Corgi Pembroke.

Teppichboden mit Schottenmuster dämpft den Schritt. Aquarelle von Houellebecqs früherer Lebensgefährtin Marie-Pierre Guathier zeigen Clément zu Wasser und zu Lande, zu Hause oder auch an fernen Gestaden. „Durch den Tod des Reinsten ist alle Freude verstümmelt“, bekennt der Künstler. Und Iggy Pop fügt per Video hinzu: „Der Hund ist eines Liebesmaschine, du trägst ihm auf, einen Menschen zu lieben, und so dumm dieser Mensch auch ist, der Hund liebt ihn.“

So sehr Houellebecq davon überzeugt ist, dass die Welt absurd und das Leben banal ist, er glaubt an Inseln inmitten des Aberwitzigen und Bedeutungslosen. „Die Möglichkeit einer Insel“, hat er einen seiner Romane überschrieben. Clément war ihm so eine Insel. Wo andere Angst hätten, sich mit der Liebe zu einem Schoßhund lächerlich zu machen: Houellebecq, der die menschliche Existenz ohnedies lächerlich findet, hat damit kein Problem. Und man begreift: Dieser Mann ist nicht zuletzt auch ein Romantiker, wenn auch ein vom Leben, von der Menschheit zutiefst enttäuschter.

Freude an der Dekadenz

Wo die Insel aufhört, beginnt dann freilich auch schon das Meer der Beliebigkeit, Belanglosigkeit, Leere. Houellebecqs Fotos zeigen kaum Menschen. Autobahnmautstellen, Industriegebiete, Supermärkte oder auch Wohnsilos wirken verwaist, verkommen, sind nur noch Boten des Niedergangs, ja Untergangs. Ob als Schriftsteller, Fotograf oder Filmemacher: Dekadenz schlägt Houellebecq in Bann. Er stöbert sie überall auf, auch in als „Urlaubsparadies“ ausgewiesenen Orten, wo er nichtssagende Ansichtskarten oder öde Feriensiedlungen abgelichtet hat.

Ein Raucherzimmer, wo tatsächlich geraucht werden darf, kündet vom Houellebecq, dem Kettenraucher. Aus einer Jukebox dringt die Stimme der Sängerin Carla Bruni, die ein Houellebecq-Gedicht interpretiert. Ein Altar aus Backsteinen und Cola-Dosen, die einen menschlichen Schädel umschließen, das Ganze versehen mit der Inschrift „Michel Houellebecq, 1958 bis 2037“, nehmen den Tod des Protagonisten vorweg. Ein anonymer Verehrer hat ihm die Grabstätte zukommen lassen.

Wabernde Tintenwolken

Auszüge aus Houellebecqs Film „La Rivière“ (Der Bach) zeigen leicht oder gar nicht bekleidete feenhafte Frauenwesen, wie sie David Hamilton in den siebziger Jahren erfolgreich fotografierte. Guest-Stars kommen zu Ehren. Renaud Marchand hat seine Installation „Chimica Matrix“ aufgebaut. In Glaszylindern wabern blassblaue Tintenwolken.

Ein großes Ganzes ergibt das alles nicht. Und das soll es auch nicht sein. Das würde zu Houellebecq nicht passen. Der Besucher ist hier befremdet, da beunruhigt, dort bedrückt – und wird bei all dem das Gefühl nicht los, dass Houellebecq ihm aus der Distanz spöttisch lächelnd zuschaut. Aber das ist ja nichts Neues. Bei der Lektüre eines Houellebecq-Romans ergeht es einem nicht anders.