Die Staatsbank HRE hat sich in der Finanzkrise schuldig gemacht. Das Institut hat nun einen Musterprozess verloren. Für den Steuerzahler könnte das teuer werden.

München - Anlegeranwalt Andreas Tilp jubelt. „Wir haben einen rechtshistorischen Sieg errungen“, sagt der Jurist nach dem Musterentscheid durch Richter Guido Kotschy vom Oberlandesgericht München in Sachen Hypo Real Estate (HRE). Dessen Spruch hatte es in der Tat sich. Die HRE habe zum Schaden von Anlegern während der Finanzkrise 2007 ihre Bilanz manipuliert, eine falsche Pressemitteilung und einen in wesentlichen Punkten unrichtigen Börsenprospekt veröffentlicht sowie über Monate hinweg eine warnende Börsenpflichtmitteilung unterlassen. Das begründet Schadenersatzpflicht, die Tilp nach erster Einschätzung auf „deutlich über eine halbe Milliarde Euro“ beziffert. Auf eine ähnliche Summe kommt Aktionärsschützerin Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Vor allem die von Kotschy im Musterprozess festgestellte Haftung für einen falschen Börsenprospekt gebe eine ausgezeichnete Anspruchsgrundlage für nun folgende Schadenersatzprozesse. „Die Prospekthaftung ist das schärfste Schwert im Anlegerrecht“, stellte Tilp nach dem Ende des Musterprozesses klar.

 

Die unterlegenen HRE-Anwälte waren wortkarger. Sie kündigten noch im Gerichtssaal den Gang vor den Bundesgerichtshof (BGH) als nächste Instanz an. Sollte Kotschys Spruch dort Bestand haben, muss der Steuerzahler für den Schaden aufkommen. Die HRE musste zu ihrer Rettung zwangsverstaatlicht werden, so dass nun der Bund für Regressforderungen geradestehen muss. „Das ist der Preis für den Rechtsstaat“, meinte Bergdolt. Auch für sie ist der Entscheid von Richter Kotschy wegweisend und ein Fingerzeig für einen wohl 2015 in München startenden Strafprozess: Gegen den ehemaligen Vorstandschef Georg Funke und seine früheren Vorstandskollegen hat die Staatsanwaltschaft vor Kurzem Anklage erhoben. Der Prozess ist aber noch nicht zur Verhandlung zugelassen.

Gut 250 Prozesse sind vor Landgerichten anhängig

Das ist nun aber wahrscheinlich, vor allem wenn man im Detail einen Blick auf Kotschys Begründung wirft. Die HRE habe Belastungen durch toxische US-Wertpapiere im Sommer 2007 im Umfang von 131 Millionen Euro in ihrer Bilanz versteckt, wohl in der irrigen Annahme, es werde schon nicht mehr schlimmer kommen, stellte der Richter fest. Die Bank hätte die Summe aber nicht verschleiern dürfen, sondern hätte sie wertberichtigen müssen. Über fünf Monate hinweg habe die Bank zudem jede Belastung aus der US-Wertpapierkrise abgestritten und sich öffentlich sogar als deren Gewinner dargestellt. Das hat Anleger auf der Suche nach einem sicheren Hafen in die HRE-Aktie getrieben.

Gut 250 Prozesse, in denen Geschädigte Schadenersatz fordern, sind vor Landgerichten anhängig. Mit den Tatsachenfestellungen aus dem jetzt nach zehn Monaten zu Ende gegangenen Musterverfahren haben sie nun theoretisch leichtes Spiel. Sie müssen mit dem BGH aber noch eine weitere Instanz überstehen, bevor sie mit ihren Schadenersatzklagen beginnen können; diese könne sich über mehrere Instanzen erstrecken. Bis erstes Geld an Geschädigte fließt, vergehen im günstigsten Fall noch einmal sechs Jahre, schätzt Bergdolt. Das dauere viel zu lange, kritisierte die Aktionärsschützerin. Ein HRE-Geschädigter im Münchner Gerichtssaal quittierte den Spruch Kotschys mit einem süßsaueren Lächeln. „Ich werde das Ende aller Prozesse nicht mehr erleben“, meinte der 72-Jährige. So wie ihm gehe es vielen Klägern, die zur Altersvorsorge in die HRE-Aktie investiert hatten. In seinem Fall waren es rund 100 000 Euro, das Ersparte aus 48 Arbeitsjahren. Hoffnungen auf Schadenersatz machen können sich im Prinzip alle, die zwischen Anfang August 2007 und Mitte Januar 2008 HRE-Aktien gekauft haben. Wer nicht von Anfang an geklagt hat, geht allerdings in jedem Fall leer aus. Denn erst jetzt nachgereichte Ansprüche gelten juristisch als mittlerweile verjährt.