Die Situation der Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze ist prekär. Der Kreis sieht sich gewappnet für den Fall, dass viele Menschen nach Deutschland kommen. Freiwillig mehr aufnehmen will er aber nicht.

Politik: Lisa Kutteruf (lis)

Ludwigsburg - Wegen der Corona-Pandemie hat die EU ihre Außengrenzen geschlossen, Deutschland hat die sogenannten Resettlement-Programme, die jährlich etwa 5000 Menschen aus Krisengebieten einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ermöglichen, vor wenigen Tagen gestoppt. Davon unabhängig werden Asylbewerber an den EU-Außengrenzen bislang aber nicht abgewiesen. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Gewiss ist hingegen die humanitäre Notlage an der türkisch-griechischen Grenze. Seit der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan Ende Februar die Grenzen der Türkei zur EU für geöffnet erklärt hat, harren dort Tausende Flüchtlinge aus – laut Medienberichten unter prekären Umständen. Die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam und der Griechische Flüchtlingsrat fordern die EU-Mitgliedsstaaten in einem Bericht über das Camp Moria auf der Insel Lesbos auf, Verantwortung für Asylsuchende in Griechenland zu übernehmen. Anlass für einen Überblick: Wäre der Kreis Ludwigsburg für eine große Anzahl fliehender Menschen gewappnet?

 

Kapazitäten im Landkreis

Im Vergleich zum Jahr 2016 hat der Landkreis die Kapazitäten bereits deutlich heruntergefahren. Derzeit (Stand 29. Februar 2020) verfügt er über 37 Gemeinschaftsunterkünfte in 20 Kreiskommunen. Das teilt Andreas Fritz, Pressesprecher des Landratsamtes, mit. In den Unterkünften gibt es demnach 1652 Plätze für die vorläufige Unterbringung von Asylbewerbern und Aussiedlern. „Diese Plätze sind mit insgesamt 1230 Personen belegt“, sagt Fritz. Demnach sind noch 422 Plätze frei. Im Sommer 2016 gab es mit 164 Objekten und 5500 Plätzen mehr als dreimal so viele Plätze, die damals mit rund 4100 Geflüchteten belegt waren.

Der Landkreis sieht sich vorbereitet für den Fall, dass die Zahl der Flüchtlinge stark steigt. So steht dem Kreis laut Fritz eine Gewerbehalle in Freiberg zur Verfügung, die wieder belegt werden kann. Des Weiteren verfügt er über zwei Grundstücke in Eberdingen und Erdmannhausen, die er auch kurzfristig bebauen oder mit mobilen Wohneinheiten belegen kann.

Auf Basis von Hochrechnungen sieht sich der Kreis in der Lage, zu den bereits monatlich vom Land zugewiesenen Asylbewerbern weitere 200 Flüchtlinge aufzunehmen. Mit einem Ansturm wie 2015 rechnet man aber nicht. „Aufgrund der im Vergleich zu 2015 anderen politischen ‚Großwetterlage’ und Rahmenbedingen – alle Länder auf der Balkanroute halten ihre Grenzen geschlossen - gehen wir derzeit nicht davon aus, dass wir nochmals eine Situation wie 2015 erleben“, heißt es.

Die Lage in Ludwigsburg

Menschen, die von der türkisch-syrischen Grenze nach Deutschland fliehen, kommen in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen (LEA), dann in den Einrichtungen der Vorläufigen Unterkünfte (VU) der Landkreise unter. Erst dann greift die Anschlussunterbringung der Kommunen. Zwischen LEA und der Ankunft in den Kommunen vergehen „nach den bisherigen Erfahrungen zwei bis zweieinhalb Jahre“, sagt Volker Henning, der den Fachbereich Bürgerschaftliches Engagement, Soziales und Wohnen der Stadt Ludwigsburg leitet. „Aktuell wären wir von einer neuen Flüchtlingswelle damit als Stadt nicht direkt betroffen.“

In Ludwigsburg gibt es derzeit rund 70 Unterkünfte für Geflüchtete. Darunter nur wenige große Gemeinschaftsunterkünfte mit mehr als 30 Bewohnern, wie Henning informiert. Diese seien derzeit „recht gut ausgelastet“, freie Kapazitäten gebe es aber noch.

Ludwigsburg hat Quote 2019 nicht erfüllt

Anfang Februar kündigte der Landkreis 164 Personen an, die die Stadt Ludwigsburg 2020 unterbringen soll. Dazu kommen 163 Personen, für die die Stadt im letzten Jahr keine Unterkunft gefunden hat. Insgesamt muss Ludwigsburg also für 327 Frauen und Männer einen Wohnplatz suchen. „Einige von ihnen werden voraussichtlich privaten Wohnraum finden“, sagt Henning. Für die verbleibenden Menschen gebe es in den Unterkünften Platz. 150 von den 327 Personen haben bereits in der Friedrich- und der Fröbelstraße und in kleineren Wohnungen ein Zuhause gefunden. Im Sommer wird in der Mörikestraße eine größere Unterkunft fertig, die Platz für 90 Menschen bietet.

Unterkünfte im Strohgäu

Auch Gerlingen macht sich keine Sorgen. In der Stadt gibt es eine Anschlussunterkunft in der Weilimdorfer Straße, die nicht voll ausgelastet ist. Für das laufende Jahr hat die Stadt zwölf Personen zugeteilt bekommen. Im Gegensatz zu anderen Kommunen muss sie keine Rückstände aufarbeiten. „Gerlingen hat in den vergangenen Jahren die Quoten übererfüllt“, so Neumann. Das Zusammenleben in der Unterkunft funktioniere wie in jedem anderen Mehrfamiliengebäude auch.

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In Ditzingen gibt es 35 Standorte mit 430 Wohnplätzen. Davon sind laut Stadtsprecher Jens Schmukal 385 Plätze belegt. Das Zusammenleben funktioniere gut. Die Stadt hat für das laufende Jahr 44 Menschen zugewiesen bekommen, im vergangenen Jahr konnte sie ihre Quote erfüllen. Und, sagt Schmukal. „Wir können weitere Flüchtlinge aufnehmen.“

Das sieht in Korntal-Münchingen anders aus. Die Unterkünfte sind fast voll, Platz für weitere Menschen gibt es nach Angaben der Stadt nicht. Geplant ist, dieses Jahr noch ein Gebäude im Stadtteil Kallenberg in Betrieb zu nehmen.

Abfuhr an Städtebündnis

Diverse Gruppen und Akteure setzen sich seit Juli 2018 unter dem Namen Seebrücke für Geflüchtete ein. Seitdem haben sich zahlreiche Städte und Gemeinden als sogenannte Sichere Häfen mit der Bewegung solidarisiert. Manche von ihnen sind bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als sie laut Quote müssten. Das Kinderhilfswerk Terre des Hommes ruft auch den Ludwigsburger OB Matthias Knecht auf, sich dem Städtebündnis anzuschließen – und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Ludwigsburg aufzunehmen.

Stadt und Kreis verweisen auf Verteilschlüssel

In seiner Antwort an Terre des Hommes bekundet Knecht zwar Sympathien für die Anliegen der Seebrücke, bleibt aber zurückhaltend. Ludwigsburg zu einem Sicheren Hafen machen will er nicht. Seine Begründung: Das Städtebündnis bleibe wirkungslos, solange es keine europäische Haltung oder staatliche Entscheidung gebe. Hintergrund ist, dass Bund und Länder zuständig für die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen sind – und nicht die Kommunen. Die Bundespolitik verweigert den aufnahmebereiten Kommunen jedoch, tätig zu werden – weil es noch keine europäische Linie gibt.

Dennoch appellierte jüngst auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Jürgen Walter an den Ludwigsburger Landrat Dietmar Allgaier (CDU), die Lage in Griechenland zu entschärfen und minderjährige Flüchtlinge aus den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen. In einem Brief an den Landrat verweist er auf eine Resolution der Grünen im Landtag, in der sie die Landesregierung zur Aufnahme eines Kontingents an besonders Hilfebedürftigen auffordern.

Der Landkreis erteilt derlei Vorstößen eine Abfuhr. „Wenn der Bund beschließt, ein Flüchtlingskontingent aus Griechenland aufzunehmen, werden wir unseren Anteil gemäß dem geltenden Verteilschlüssel aufnehmen“, sagt der Kreissprecher Andreas Fritz. „Für eine Aufnahme über den gesetzlichen Verteilschlüssel hinaus sind Beschlüsse der Kreisgremien erforderlich, da hierfür auch Kreismittel aufgewendet werden müssten.“ Dies sei derzeit aber nicht vorgesehen.

Wenn Deutschland aus humanitären Gründen ein Flüchtlingskontingent aufnehme, seien die Geflüchteten in Sicherheit. Hierfür bedürfe es keiner weiteren Sicheren Häfen im Landkreis.

Seebrücke und sichere Häfen

Seebrücke
Die Seebrücke ist eine internationale Bewegung verschiedener Gruppen und Akteure (u. a. Flüchtlingsrat Berlin, Campact, Sea-Eye), die sich mit Menschen auf der Flucht solidarisiert und sich für ein offenes Europa sowie Bewegungsfreiheit für alle Menschen einsetzt. Von der Politik erwartet sie sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Geflohenen.

Sichere Häfen
Bundesländer, Land- und Stadtkreise oder Kommunen, die den Forderungen der Seebrücke zustimmen, können sich zu sogenannten Sicheren Häfen erklären. Bundesweit gibt es davon 140, in Baden-Württemberg 21 – darunter Asperg und Marbach am Neckar.

Zusatz
Die Partner des Bündnisses engagieren sich unterschiedlich stark. Asperg und Marbach sind zwar solidarisch, wollen aber keine Menschen über die Verteilungsquote hinaus in Empfang nehmen. Städte wie Heidelberg, Ulm, Würzburg oder Weimar erklären sich bereit, aus Seenot gerettete Menschen zusätzlich zur Quote aufzunehmen.