Der Wille war nicht stark genug. Die Zigarette war schon wieder nicht die letzte. Kann vielleicht eine Hypnose beim Aufhören helfen? Ein skeptischer Selbstversuch zum Weltnichtrauchertag.

Stuttgart - Es gibt kein Pendel, keine Räucherstäbchen und nicht einmal eine Couch. Kein einziges Klischee lässt sich in den Behandlungsräumen von Dirk Revenstorf in der Tübinger Gartenstraße finden. Nur das eine: der 74-Jährige, der zu den renommiertesten Hypnotherapeuten Deutschlands zählt, wirkt tiefenentspannt. In sich ruhend und hellwach.

 

Wer auf dem Stuhl – Schafwollauflage, Rückenlehne, Armstützen aus glänzendem Metall – neben dem pensionierten Tübinger Psychologieprofessor Platz nimmt, tut das, weil er ein Problem hat. Adipositas, Angststörungen oder Raucherentwöhnung sind die häufigsten Felder, die Revenstorf mit einer Reise ins Unterbewusstsein seiner Klienten ansteuert.

Seine Methode habe nichts mit Jahrmarkts-Hokuspokus, Show-Hypnose inklusive Lächerlichkeitsgarantie oder mutwilliger Manipulation zu tun, sagt er. Der Psychologe will mit Hypnose heilen. Der Theorie nach gibt es nicht nur einen Wach- und Schlafzustand, sondern eine Reihe veränderter Bewusstseinszustände, die als Trance bezeichnet werden. Der Übergang geschieht nicht plötzlich wie beim Lichtschalter, sondern eher wie bei einem Dimmer. Werden Klienten in diesen Zustand gebracht, können Prozesse in Gang gesetzt werden, die aus ins Gehirn eingebrannten Verhaltensmustern heraushelfen.

Meine Bestellung ist schnell aufgegeben: Einmal Nichtraucher werden to go, aber keine Extras suggerieren, bitte schön! Wer will anschließend schon als geistfreie Barbie aufwachen? Oder plötzlich andere Verhaltensauffälligkeiten zeigen? „In der Hypnose wird der Psyche nichts übergestülpt, der freie Wille bleibt erhalten“, verspricht Revenstorf. „Es geht darum, unbewusste Prozesse nutzbar oder auch bewusst zu machen.“ Ich glaube nicht, dass das mit der Trance und mir funktioniert.

„Das ist Ihre letzte Zigarette“, sagt der Therapeut

Wie immer, wenn der Körper in den Entspannungsmodus gelangen soll, rückt das Atmen in den Mittelpunkt. Tief ein- und ausatmen, eine entspannte Haltung auf dem Stuhl einnehmen, souffliert Revenstorf. Seine samtig weiche, tiefe Stimme füllt den Raum und umschmeichelt den Körper wie ein wohltemperiertes Vollbad. Mein linker und rechter Ellbogen sind auf den Armlehnen aufgestützt, die Arme zeigen zur Decke, die Hände sind 90 Grad angewinkelt. Sollte eine Hand im Laufe der Sitzung nach unten sacken, ist das ein Zeichen für Revenstorf einzugreifen.

Eine bleierne Schwere überkommt mich. Gleichzeitig bin ich hellwach und konzentriert. Revenstorf nimmt die Zigarette, die er sich vorher von mir geben ließ, und markiert sie mit einem dicken, schwarzen Punkt. „Das ist Ihre letzte Zigarette“, sagt er. Nach der Stunde wird er sie mir wiedergeben mit den Worten: „Passen Sie gut darauf auf, und nehmen Sie feierlich Abschied. Das war ein treuer Begleiter und guter Freund.“

Zunächst steckt er sich die Zigarette hinter das rechte Ohr. Ich schließe die Augen. Atmen. Dann legt er mir die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand – an den angestammten Platz der Raucherhand. „Sie können sich bewusst entscheiden, ob Sie aufhören möchten – und Sie können es Ihrem Unterbewusstsein überlassen. Dann werden Ihre Finger ohne Ihr Zutun loslassen. Sie müssen auch nicht gleich loslassen. Sie können die Zigarette behalten.“ Das werde ich. Festhalten. Doch noch bevor mein Hypnotiseur zu Ende gesprochen hat, fällt die Zigarette zu Boden – die Finger lassen einfach los. Ich schmunzele. Das Unterbewusstsein hat also längst entschieden. Der Kopf noch nicht.

Revenstorfs Stimme navigiert mich einen langen, imaginären Pfad entlang. Nach einer Biegung ragt ein langes, weißes Haus in die Höhe. Ich betrete es – am Ende des Flurs gibt es einen Raum, darauf steht mein Name. Ich öffne die Tür. Und werde von hellem, warmem Licht umschlossen. Ein Raum, um Kraft zu tanken. Ob ich auf der weißen Wand gegenüber etwas erkennen kann? Ja. Dort steht: 1. Mai. In Trance kann ich daran nichts Sonderbares finden. Ich schwebe weiter durch das Licht.

Die Zeit vergeht wie im Flug

Nach einiger Zeit holt mich Revenstorf zurück. Unglaubliche 40 Minuten sind vergangen, die sich wie höchstens zehn anfühlen. Ob die Trance funktioniert hat, frage ich. „Das können Sie nur selbst beantworten“, meint der Psychologe. Alles spricht dafür. Ich verlasse die Praxis – benommen, aber lächelnd. Und nicht mit dem geringsten Verlangen nach Nikotin. Fünf Stunden später wird mir vom Zigarettenrauch meines Begleiters nach einem Konzert übel. Zwei weitere Tage werde ich keine Zigarette anrühren. „Normalerweise brauchen wir drei Sitzungen – dann ist die Quote, Nichtraucher zu sein, recht gut“, sagte Revenstorf zum Abschied.

Mein Unterbewusstsein war anscheinend clever genug, während der Trance auf der weißen Wand nur das Datum 1. Mai, aber keine Jahreszahl zu sehen. Werde ich an diesem 1. Mai Nichtraucher? Besagter Tag kommt und geht zwei Wochen später. Die Zigaretten sind vorerst noch geblieben.

„Hypnotherapie baut auf der Fähigkeit des Menschen auf, in Trance Erfahrungen zu aktivieren, die er vernachlässigt und ausgeblendet hat“, sagt Revenstorf. So weit kam es in meiner ersten Sitzung nicht. Einen Klienten mit Prüfungsangst führte er während der Trance beispielsweise in den kindlichen Zustand eines Elfjährigen zurück, einen Moment, als er im Fußballtor stand und einen Elfmeter halten konnte – was ihm keiner zugetraut hatte. Das Gefühl des Stolzes konnte er in der Trance konservieren und später abrufen. „Stolz ist ein viel stärkeres Gefühl als Angst. Es war in dem Fall auch älter. Das positive Gefühl konnte der Mann mit in die Prüfung nehmen. Das hat ihm geholfen, die Panik zu besiegen.“ Im kindlichen Zustand der Trance ist der Mensch Revenstorf zufolge aufnahmebereiter und fantasiebegabter. „Alles, was gängige Moral, Anstand und Vernunft betrifft, kann ein Kind in gewissem Maße hinter sich lassen. Menschen können in dieser Phase neu konditioniert werden, man kann als Therapeut bestimmte Dinge wachrufen, die positiv sind für die Bewältigung.“

Erklärungsversuche für die Wirkung der Hypnose

Auf der Suche nach einer Erklärung, was genau während der Hypnose passiert, tappen die Forscher noch im Dunkeln. Seit etwa zehn Jahren kann man aber mit Geräten wie dem Magnetresonanztomografen (MRT) beobachten, welche Teile im Gehirn in der Trance beteiligt sind: in Hypnose ist der vordere zinguläre Kortex aktiv, der für die Aufmerksamkeit zuständig ist. Eher heruntergedimmt geht es im vorderen Gehirnlappen, dem präfrontalen Kortex zu: hier spielen sich Denken und Planen ab, die im Zustand der Hypnose weniger kritisch und offener für Suggestionen sind. Zusätzlich schaltet sich der Hinterhauptslappen ein, der visuelle Kortex, da während der Suggestion in der Hypnose Bilder angesprochen werden. Und es reagiert der Teil des Gehirns verändert, der für das Ich-Gefühl zuständig ist: der Präkuneus auf der Mitte des Schädels.

Anstelle des Alltags-Ichs kann ein anderes Ich aus dem Unterbewussten mobilisiert werden, das das Problem löst, wozu sich das Alltags-Ich außerstande sah. Unter Hypnose reagiert das Gehirn nicht mehr auf tatsächliche Reize, sondern auf Suggestionen und Imagination des Patienten.

Nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung lassen sich sehr tief hypnotisieren. Besonders trancefähig sind all jene, die etwa beim Lesen alles um sich herum vergessen können. Etwa 60 bis 70 Prozent können in eine mitteltiefe Trance gehen, die für die Therapie ausreicht. Einige schaffen es erst nach einiger Übung, in Trance zu fallen. Und fünf Prozent gelten als gar nicht hypnosefähig. Die Prognosen für die Trancefähigen sind jedoch generell gut. 50 Prozent aller Patienten, die bei Revenstorf eine Raucherentwöhnung unter Hypnose gemacht haben, sind nach einem Jahr nicht rückfällig geworden. Nach einem Monat sind es fast 60 Prozent. „Das ist höher als bei den meisten anderen Methoden wie etwa der Akupunktur.“ Experten geben den Nadeln eine Erfolgsquote von 10 bis 15 Prozent.

Man kann auch an zwielichtige Trance-Therapeuten geraten

Wer in Trance ist, verlässt sein Alltagsbewusstsein, Suggestionen von außen werden leichter wahrgenommen. Im Körper entspannen sich die Muskeln, der Blutdruck und die Atemfrequenz sinken. Gegen Schmerzen hilft die Hypnose Revenstorf zufolge gut. Bei Alkoholikern ist die Therapie hingegen nicht angeraten. „Das ist zwar auch eine Sucht wie Nikotin, aber die Betroffenen sind meist nicht in einem stabilen sozialen Umfeld, sie können viele Dinge nicht mehr alleine meistern und haben ganz andere Baustellen“, sagt Revenstorf.

Bei der hypnotischen Trance wird die Ich-Struktur teilweise aufgelöst, sie wird durchlässiger für Erinnerungen aus der Vergangenheit. Gerät man in die falschen Hände, kann die Hypnose Schäden anrichten. „Menschen sind in diesem Zustand positiv zu beeinflussen, wenn es um die Heilung eines Traumas geht. Die Forschung aber zeigt, dass Erinnerungen manipulierbar sein können“, sagt Revenstorf.

Hypnose steigert daher keinesfalls die Verlässlichkeit von Erinnerungen, wohl aber die Illusion des Klienten, dass die Erinnerung korrekt ist – was bedenklich sein kann, wenn ein zwielichtiger Trance-Regisseur zugange ist. Hypnose kann also Zugang zu allem bieten, was wir im Gedächtnis gespeichert haben – auch zu traumatischen Erinnerungen. Das kann schwerwiegende Folgen haben. „Kurze Zeit nach einer Bühnenhypnose starb 2003 in England beispielsweise eine traumatisierte Frau, die als Kind einen schweren Stromschlag erlitten hatte, weil sie der Hypnotiseur mit den Worten retraumatisierte: ,Und nun fühlen Sie sich, als ob 12 000 Volt durch Ihren Körper jagen‘“, erzählt Revenstorf. Der Fall ging damals durch die bunten Blätter. Ein Gericht, das sich mit dem Fall beschäftigte, konnte den Zusammenhang zur Showhypnose jedoch nicht eindeutig nachweisen. „Dennoch sollte man sich nur von klinisch geschulten Therapeuten behandeln lassen, die eine diagnostische Einschätzung vornehmen können“, sagt Revenstorf. Jeder seiner Hypnosen geht zwingend eine ausführliche Anamnese voraus.

Seit den 50er Jahren gibt es Wirksamkeitsstudien zur Hypnose. Aber erst seit 2006 gilt die Methode für bestimmte Anwendungsgebiete als offiziell anerkannt. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und der Milton-Erickson-Gesellschaft für klinische Hypnose wurde 2003 beim wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie der Bundesregierung ein Antrag zur Anerkennung der Hypnotherapie eingereicht, der von der Arbeitsgruppe von Dirk Revenstorf an der Universität Tübingen erstellt wurde. Seitdem ist sie etabliert.

Hypnosekritiker gibt es dennoch. Dirk Revenstorf ist zu entspannt, um sich darüber zu ärgern, wenn er in die Esoteriker-Ecke gestellt wird. Sein Vater war Heilpraktiker, der Großvater Arzt. „Und ich war Chemiker, dann Statistiker und habe dann Psychologie studiert.“ Innerhalb der Psychologie sei Hypnose eine Art Naturheilverfahren. „Ich habe sozusagen eine Delegation meiner Vorfahren übernommen, und bin Psychotherapeut geworden“, sagt er. Dazu braucht er kein Pendel, kein Räucherstäbchen und kein Publikum.

Alternativen, um von der Sucht loszukommen

Wille
Die beste Variante kann nur helfen, wenn der Raucher aufhören will. Die britische „Million Women Study“, über die vor wenigen Jahren im Fachmagazin „Lancet“ berichtet wurde, zeigt: egal ob Mann oder Frau, wer vor der Lebensmitte mit dem Rauchen aufhört, gewinnt im Schnitt zehn Lebensjahre dazu. Laut der Eurobarometer-Umfrage 2012 versuchen 66 Prozent der Raucher, allein von der Zigarette wegzukommen. Das gelingt Experten zufolge selten beim ersten Versuch.

Methoden
Studien zufolge sind betreute Programme, von einem Therapeuten unterstützt, am zielführendsten. Meist müssen sie aber aus eigener Tasche bezahlt werden. Die Kurse, die von manchen Krankenkassen unterstützt werden, sind dazu gedacht, das Verhalten langfristig zu ändern. Ob Akupunktur hilft, konnte bisher in Studien nicht eindeutig belegt werden. Starken Rauchern können in der ersten Zeit der Abstinenz Nikotinpflaster helfen. Allerdings bergen Hilfsmittel dieser Art Experten zufolge die Gefahr, in eine neue Abhängigkeit zu führen.

Termin
Wer den Abstinenz-Entschluss fasst, sollte ein Startdatum festlegen, das nicht weiter als drei Wochen in der Zukunft liegt. Sinnvoll ist, Familie und Freunde davon zu unterrichten. Psychologen raten, die Abkehr vom Rauchen als Chance zu betrachten und nicht als Verzichtsprogramm. Wer rückfällig wird, bestraft sich nicht. Und versucht es einfach weiter.