Die Politik setzt der Deutschen Bahn auch wegen des Klimapakets ehrgeizige Ziele. Nun braucht der Konzern schon 2022 mehr ICE für Tempo 300. Siemens und der französische Anbieter Alstom liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Es kann der größte Schub für den deutschen Bahnverkehr seit vielen Jahren werden. Mit der neuen Strategie „Starke Schiene“ wollen die Deutsche Bahn AG und die Bundesregierung die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr bis zum Jahr 2030 fast verdoppeln. Dann sollen 260 Millionen Reisende die ICE- und Intercity-Flotte nutzen.

 

Zum Vergleich: In diesem Jahr werden rund 150 Millionen Kunden einsteigen, und schon jetzt kann der Staatskonzern den Andrang in Spitzenzeiten kaum noch bewältigen. Zudem gibt es seit Jahren massive Pünktlichkeits-, Qualitäts- und Technikprobleme, die das DB-Image ramponiert haben. Doch nun soll alles besser werden, versprechen Konzernchef Richard Lutz und Verkehrsminister Andreas Scheuer. Mehr Kapazität, mehr Personal, neue Strecken, bessere Infrastruktur – Deutschland will mit der umweltschonenden Bahn mehr nachhaltige Mobilität erreichen und zum Klimaschutz beitragen. An Geld dafür soll es nicht fehlen. Laut DB-Vize Ronald Pofalla werden bis 2030 allein 156 Milliarden Euro in das überalterte und überlastete Netz fließen.

Doch ohne mehr, größere und zuverlässigere Züge wird das nicht klappen. Aktuell umfasst die DB-Flotte exakt 387 Fernzüge, darunter acht ICE-Baureihen und 109 zumeist veraltete Intercity-Züge. Bisher war bis Anfang 2025 ein Ausbau auf 484 Fahrzeuge geplant. Mit der „Starken Schiene“ sollen es nun bis 2030 bis zu 600 werden, „insbesondere durch Investitionen in Hochgeschwindigkeitszüge“, wie der Staatskonzern in seinem Strategiepapier betont.

Schon 2022 sollen neue ICE auf die Strecke

Die Pläne für den weiteren Flottenausbau werden aktuell intern beraten. Der wichtigste Punkt: Nach Informationen unserer Redaktion will die DB bis zu 90 neue Highspeed-Flitzer für Tempo 300 und mehr anschaffen. Das wird in einer europaweiten Bekanntmachung für die Industrie bestätigt, wonach der Rahmenauftrag „die Herstellung, Inbetriebsetzung und Lieferung“ von bis 90 serienreifen und komplett ausgestatten Hochgeschwindigkeitszügen umfassen wird. Demnach sollen die Züge maximal 200 Meter lang sein, auch in Frankreich, Benelux und anderen Ländern zugelassen sein und bereits ab Ende 2022 in den regulären Einsatz kommen – ein extrem ehrgeiziger Zeitplan.

Damit setzt die Bahn wieder auf mehr Tempo. Der aktuell gerade ausgelieferte ICE 4 ist nur für 250 Kilometer in der Stunde zugelassen. Von der Entwicklung bis zur ersten Auslieferung von Siemens, bisher größter Auftrag der Bahngeschichte, vergingen hier mehr als zehn Jahre. 137 Stück soll der Münchner Konzern bis Ende 2024 für mehr als sechs Milliarden Euro abliefern und dürfte damit noch genug zu tun haben, zumal es bereits eklatante Qualitätsprobleme und Verzögerungen gab. Deshalb wird spekuliert, dass zum ersten Mal ein ICE-Modell nicht mehr vom bisherigen DB-Hauslieferanten kommen könnte.

Hersteller im Ausland rechnen sich Chancen aus

Schon beim künftigen Nachfolger der Eurocity-Züge hat der deutsche Staatskonzern erstmals einen großen Fernzugauftrag ins Ausland vergeben, der spanische Hersteller Talgo wird zunächst 23 Fahrzeuge liefern. Beim neuen Highspeed-Train hat Alstom nun gute Chancen. Die Franzosen bauen in ihrem Heimatland seit vier Jahrzehnten die bewährten TGV der Staatsbahn SNCF und haben mit dem Modell AGV einen Zug im Angebot, der sich auch in Italien bestens bewährt hat.

Schon vor zehn Jahren liebäugelte die damalige DB-Spitze mit der AGV-Anschaffung, entschied sich aber dann doch für Siemens und deckelte den ICE 4 bei Höchsttempo 250. Damals hieß es unter Ex-DB-Chef Rüdiger Grube, dass aus Gründen des Umweltschutzes, der Wirtschaftlichkeit und der häufigen Halte im dichten deutschen ICE-Netz eine höhere Geschwindigkeit wenig sinnvoll sei.

Deutschland-Takt macht Tempo 300 notwendig

Nun aber will die DB für den künftigen Deutschland-Takt wieder schneller fahren, zumal viele extrem teure deutsche Schnellstrecken für bis zu Tempo 300 und mehr ausgelegt sind. Dazu zählen Frankfurt–Köln, die Neubauabschnitte zwischen Berlin und München sowie künftig Frankfurt–Mannheim. Bisher kann die DB nur mit ihren 79 ICE 3 bis zu Tempo 330 fahren, die neueste Baureihe 407 umfasst 17 Züge und ist seit 2013 in Betrieb.

Dieses flexible Modell der Hausmarke Velaro hat Siemens mit Erfolg auch nach Russland (Moskau–St. Petersburg) und in die Türkei verkauft. Gebaut werden die Züge in Krefeld, wo auch der ICE 4 entsteht. Mit Velaro gegen AGV zeichnet sich nun erneut ein spannendes Rennen ab um den wohl mindestens drei Milliarden Euro schweren Rahmenvertrag der DB AG. Wegen der extrem kurzen Lieferfrist kommt nur ein bewährter Zug infrage. Die Beteiligten geben sich während der Ausschreibung einsilbig. Für alle Anbieter würden die gleichen Kriterien gelten, sagt eine DB-Sprecherin: „Erst am Ende des Verfahrens wird klar sein, an wen der Auftrag geht und welche Züge es sein werden.“