Im Stadtteil Stuttgart-Rot haben Mitglieder der Identitären Bewegung Werbematerial in Briefkästen gesteckt. Im Stadtzentrum marschieren sie immer wieder auf. Die Verfassungsschützer sind besorgt wegen dieser Organisation.

Stuttgart - Sie mischen sich mitten in Stuttgart unters Volk und melden sich lautstark zu Wort, ihre wahre Identität aber erschließt sich den vorbeigehenden Passanten selten. Die Rede ist von Mitgliedern der sogenannten Identitären Bewegung Deutschland (IBD), die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft worden ist und seit Dezember 2015 beobachtet wird.

 

Zuletzt hat dieser Kreis in Stuttgart am vergangenen Wochenende Flagge gezeigt: die griechische. Die Rechtsextremen erklärten Solidarität für jene Griechen im EU-Mitgliedsstaat, die die Grenzen für Flüchtlinge dicht halten wollen. Das war als „Spontanversammlung“ in der Unteren Königstraße – und als solche zulässig, erklärte die Stadtverwaltung am Montag. Es reizte aber Gegendemonstranten aus dem Antifa-Bereich. Die Polizei musste die Ordnung wahren.

Schon am 25. Januar hatte die Bewegung auf der Königstraße beim Buchhaus Wittwer mit Banner und Megafon gegen die Rundfunkgebühren Front gemacht, weil ihr die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender nicht gefällt. Auf dem Miniflugblatt, das die Kundgebungsteilnehmer bereitstellten, trat die IBD nicht besonders in Erscheinung. Und wer dafür im Sinne des Pressegesetzes verantwortlich war, stand klein, fast unleserlich am Rand: „Daniel Fiß, Brockensklee 27, 33154 Salzkotten“. Das liegt im Raum Paderborn, wo sich im Mai 2014 die Gründung der IBD vollzog. In der genannten Straße in Salzkotten hat der IBD Vereinsräume. Fiß ist einer seiner Aktivisten. Er kommt aus Rostock und hat seine politischen Wurzeln in der Neonaziszene in Mecklenburg-Vorpommern und in der Jugendorganisation der NPD*. In den vergangenen Jahren gab es zwischen der IBD und verschiedenen Politikern, die auf dem AfD-Ticket Parlamentsmandate errangen, Kontakte und Arbeitsaufträge. Dabei steht die Bewegung bei der AfD auf einer Unvereinbarkeitsliste, was die Zusammenarbeit angeht. Noch – denn Ende 2019 regte sich dagegen Widerspruch.

2018 gab es mehrmals ähnliche Veranstaltungen

Auf den Bildern, die es von der Aktion beim Schlossplatz gibt, ist Fiß nicht auszumachen. Nach Polizeiangaben seien bei der Kundgebung aber insgesamt zwölf Teilnehmer aufgetreten, erklärte das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) unserer Zeitung.

Und weiter: „Die Veranstaltung knüpfte thematisch an verschiedene Aktionen im gesamten Bundesgebiet an, mit denen die IBD seit Beginn des Jahres gezielt gegen Rundfunkanstalten beziehungsweise den Rundfunkbeitrag agitiert.“ Nach Auskunft der Stadtverwaltung war schon für den 18. Januar eine derartige Versammlung zum Thema Rundfunkbeitrag angemeldet worden, und zwar auf dem Mailänder Platz, einem beliebten Treffpunkt von jungen Leuten und vielen Einkaufsbummlern. Die Anmeldung sei aber so kurzfristig gekommen, dass von der Stadt „kein Versammlungsbescheid erfolgen konnte“. Offenbar versucht die IBD, wenigstens alle paar Monate, Passanten anzusprechen. „Ähnliche Versammlungen fanden zuletzt am 17. Februar 2018, am 26. Mai 2018 sowie am 18. August 2018 in Stuttgart statt“, stellt die Stadtverwaltung jedenfalls fest.

Verfassungsschutz: Anschlussfähig in bürgerlichen Kreisen

Die Versammlungen sind möglich, weil die Bewegung nicht verboten ist, wenngleich die Verfassungsschützer sie beobachten. Die IBD betone zwar immer wieder den gewaltfreien Charakter ihrer Veranstaltungen und Aktionen, so das LfV, die Positionen der IBD zielten aber „unter anderem darauf ab, in der deutschen Bevölkerung islamfeindliche und völkische Positionen zu etablieren sowie das Vertrauen in das politische System der Bundesrepublik und dessen Vertreter zu erschüttern“.

Die Organisation pflege einen professionellen Umgang mit modernen Medien und benütze neue Schlagworte, die sich zum Teil nicht unmittelbar dem Rechtsextremismus zuordnen ließen. So spreche sie auch Personen an, die keine ideologische Nähe zu den bekannten rechtsextremistischen Parteien oder neonazistischen Organisationen hätten. Die Botschaften würden aufgenommen. So würden auch nicht extremistische Gruppierungen und Einzelpersonen in den sozialen Medien Beiträge der IBD verbreiten. Das LfV: „Dies spricht dafür, dass deren Inhalte auch in bürgerlichen Kreisen anschlussfähig sind. Diese Anschlussfähigkeit spricht vor allem Jugendliche an, da die IBD scheinbar deutlich ,harmloser‘ wirkt als andere rechtsextremistische Gruppierungen.“

Rund 100 Mitglieder in Baden-Württemberg

Wie viele Aktivisten diese Organisation in Stuttgart hat, ist nicht bekannt. Sie ist aber aktiv, nicht nur im Zentrum. Nach deren eigenen Angaben auf der Internetplattform Instagram habe die IBD-Ortsgruppe Stuttgart am 12. Februar 2020 Flugblätter und Plakate im Raum Stuttgart, namentlich im Bezirk Zuffenhausen und dort im Stadtteil Rot verteilt, so das LfV. Die Briefkastenaktion haben die Aktivisten selbst mit einem Bild dokumentiert.

In ganz Baden-Württemberg gibt es nach LfV-Einschätzung derzeit rund 100 Mitglieder der IBD, etwa 20 mehr als noch im Jahr 2017. Organisiert sind sie in den offenbar zum Teil grenzüberschreitenden vier Regionalgruppen Schwaben, Baden, Pfalz und Franken. Mit konkreten Aktivitäten fielen vor allem die Gruppen Schwaben und Baden auf. Erstere suchte besonders die Öffentlichkeit. „Schwerpunkte der IBD in Baden-Württemberg liegen im Großraum Stuttgart sowie in den Bereichen Bodensee, Ulm und im Rhein-Neckar-Raum“, erklärte das LfV.

Nicht zu vergessen der Raum Rottweil. Dort fand im Herbst 2019 das vorerst letzte der „Aktivenwochenenden“ statt, die die IB Schwaben in der Regel zweimal pro Jahr veranstaltet. Dabei standen Kampfsportelemente, Sport- und Selbstverteidigungstraining genannt, auf dem Programm, außerdem Volkstanz, Vorträge und ein Verhaltenstraining für „brenzlige Situationen im identitären Aktivistenalltag“. Auch Fackelwanderungen sind oftmals Teil der IB-Aktivitäten – wie bei einem Fest der IB Schwaben zur Jahreswende 2019/2020. In Rottweil hätten schon früher Veranstaltungen stattgefunden, erklärte das LfV.

* In einer früheren Fassung des Artikels war die Rede davon, die NPD sei inzwischen verboten. Das ist unzutreffend. Die NPD ist nicht verboten.