War ein 28-Jähriger auf der Flucht vor der Polizei mit viel zu hohem Tempo in der Gerlinger Innenstadt unterwegs – ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer? Bei einer Verhandlung am Amtsgericht ist es nicht nur um diese Frage gegangen.

Gerlingen - Als die Polizei am Abend des 25. August alarmiert wird, hat ein Polizeikommissar auf dem Revier in Ditzingen nur einen Gedanken: Es geht wieder los. Ein Auto, so hatte es ein Passant gemeldet, rase durch die Gerlinger Innenstadt und gefährde dabei Fußgänger, Fahrradfahrer und Autofahrer. Der Polizeibeamte dachte an die Gerlinger Raserszene, die „839er-Gang“, also an jene Gruppe Gerlinger, die in Anlehnung an die Postleitzahl des Ortes oft an den Ziffern 839 auf dem Kennzeichens erkennbar ist. Vor dem Ludwigsburger Amtsgericht musste sich am Dienstag nun ein 28-jähriger Leonberger wegen des illegalen Autorennens verantworten.

 

Der Streifenbeamte hatte mit seiner Kollegin die Verfolgung aufgenommen. von der Tiefgarage am Rathausplatz am Schulzentrum vorbei, durch ein Wohngebiet, zurück in die Innenstadt. Stellenweise waren die Beamten mit Tempo 116 unterwegs – dort, wo die Geschwindigkeit auf 30 oder auch nur 20 Stundenkilometer begrenzt ist. Letztlich führte die Verfolgung über die Panoramastraße und Wildparkstraße in Richtung Stuttgart.

Zeugen schildern die gefährlichen Situationen

Am Ende der mehrstündigen Verhandlung sah es das Gericht als erwiesen an, dass der Angeklagte am Steuer des 500 PS starken Mercedes AMG gesessenen hatte. „Dass Sie der Fahrer waren, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel“, sagte die Richterin.

Die Anklage hatte dem Mann vorgeworfen, auf seiner Flucht vor der ihn verfolgenden Polizei rücksichtslos durch die Gerlinger Innenstadt gerast zu sein – was strafbar ist als illegales Autorennen. Die Staatsanwältin sah den Vorwurf bestätigt und plädierte auf ein Jahr Haft auf Bewährung und eine Fahrsperre. Das Gericht schloss sich der Forderung an. Die Zugehörigkeit zur Gerlinger Raserszene bestätigte sich nicht, offen blieb, ob der Mann der Leonberger Szene angehört.

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Die Beamten hatten außerorts zwischenzeitlich rund 200 auf dem Tacho. Sie brachen ab, hatten sie doch inzwischen das Autokennzeichen notiert. So wie er um die Kurven gedriftet sei, habe es sich um einen erfahrenen Fahrer gehandelt, sagte der Beamte im Zeugenstand, der sich selbstkritisch gab. Er sei unerfahren gewesen, heute würde er die Verfolgung eher abbrechen.

„Es hätte weiß Gott was passieren können. So viele Personen hätten schwer verletzt werden können“, fasste die Richterin in ihrer Urteilsbegründung das Geschehen an jenem Abend zusammen.

Mehrere Zeugen, die zu Fuß, mit dem E-Bike oder mit dem Auto unterwegs waren, hatten sich nur durch ein souveränes Agieren in Sicherheit gebracht: Ein Autofahrer lenkte nach rechts, weil ihm das Fahrzeug frontal entgegenkam, eine Smartfahrerin drängte sich in eine Lücke; der entgegenkommende Wagen sei quasi „Türgriff an Türgriff“ auf ihrer Fahrspur vorbeigerast.

Fußgänger rief die Polizei

Die Polizei war von einem Fußgänger gerufen worden, der sich über die quietschenden Reifen, den aufheulenden Motor, den Kavaliersstart am Zebrastreifen geärgert hatte. Er hatte eine kurze Sequenz der Raserei mit der Handykamera gefilmt, eher aus einer Ahnung heraus, wie er im Zeugenstand deutlich machte. Letztlich spielte just diese im Verfahren aber eine entscheidende Rolle: Der Angeklagte schwieg zu den Vorwürfen.

Das Gericht stützte sich daher auf die Zeugenaussagen und die Ausführungen des Sachverständigen. Der Anthropologe hatte mit Verfahren zur Gesichtserkennung Fotos vom Angeklagten mit den Videoaufnahmen verglichen mit einer „Wahrscheinlichkeit von 95 bis 98 Prozent“ eine Übereinstimmung festgestellt. Dem Verteidiger reichte dies nicht. Er plädierte auf Freispruch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.