Tarifstreit unter Corona-Bedingungen: Scheinbar unversöhnlich gehen Gewerkschaften und Arbeitgeber in die Einkommensrunde für den öffentlichen Dienst. Kommt eine Welle von Warnstreiks?

Berlin - Kita-Erzieherinnen, Müllwerker, Busfahrer und Flughafen-Mitarbeiter sollen nach dem Willen der Gewerkschaften 4,8 Prozent mehr Lohn bekommen. Kleine Einkommen sollen um mindestens 150 Euro steigen. Das fordern Verdi und der Beamtenbund dbb vor den Tarifverhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen, wie sie am Dienstag in Berlin mitteilten.

 

Bereits eine Woche vor dem Start der Tarifverhandlungen zeichnen sich damit schwierige Gespräche an. Die kommunalen Arbeitgeber hatten bereits im Vorfeld betont, es gebe keinerlei Verteilungsspielraum. Der Verhandlungsführer, der Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD), hatte gesagt, eigentlich müsste es Einschnitte geben. Die Kommunen sehen sich auch infolge der Corona-Pandemie in diesem Jahr besonders unter Druck. Die Umsetzung der Forderungen würde laut Verdi insgesamt rund sechs Milliarden Euro kosten.

Verdi-Chef Frank Werneke sagte: „Die Corona-Pandemie zeigt: Der öffentliche Dienst und seine Beschäftigten halten das Land zusammen.“ Auf völliges Unverständnis stoße die Kommunen-Forderung nach einer Nullrunde auch angesichts des lauten öffentlichen Applauses für Krankenschwestern, Rettungssanitäter und andere während des Corona-Lockdowns.

„Nach dem Klatschen der Öffentlichkeit kam die Klatsche durch die kommunalen Arbeitgeber“, sagte der Vorsitzende von dbb beamtenbund und tarifunion, Ulrich Silberbach. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe, sagte, beispielsweise Erzieherinnen hätten mit Notdiensten dafür gesorgt, dass viele Eltern ihren Beruf ausüben konnten.

Weitere Forderungen

Die Laufzeit soll zwölf Monate betragen. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 100 Euro monatlich steigen. Gefordert wird die Senkung der Arbeitszeit im Osten um eine Stunde auf 39 Stunden wie im Westen. Für das Gesundheitswesen und die Pflege sollen besondere Verbesserungen „an einem eigenen Verhandlungstisch“ erreicht werden.

Geltungsbereich

Die Forderungen betreffen 2,3 Millionen Tarifbeschäftigte. Auf die mehr als 200 000 Beamten soll das Ergebnis nach Ansicht der Gewerkschaften übertragen werden.

Ökonomische Argumente der Gewerkschaften

Zwar befinde sich das Veranstaltungswesen, der Tourismus oder der Luftverkehr weiter in einer schwierigen Situation, räumte Werneke ein. Doch in anderen Branchen zeigten Auftragseingänge und Umsätze, dass die Lage schon wieder deutlich besser sei. Insgesamt gebe es also durchaus etwas zu verteilen. „Wenn es einen Aufschwung in Deutschland geben soll, dann spielt der Binnenmarkt eine besondere Rolle“, so Werneke zudem.

Argumente für den öffentlichen Dienst

„Der öffentliche Dienst hat nach wie vor Nachwuchsprobleme“, sagte Werneke. Silberbach sagte unter Berufung auf Arbeitgeberangaben: „Mehr als 800 000 Stellen könnten auf absehbare Zeit unbesetzt sein.“ Die Kommunen seien finanziell unterm Strich gar nicht so schlecht aufgestellt.

Szenarien

Streiks sind nicht ausgeschlossen - Massen-Demonstrationen wegen des Infektionsschutzes gelten aber als schwierig. „Wenn die kommunalen Arbeitgeber glauben, dass die Beschäftigten sich in der Corona-Situation nicht wehren, dann haben sie sich getäuscht“, sagte Werneke. Bereits vor der jüngsten Tarifrunde für Bund und Kommunen 2018 hatten massive Warnstreiks von 220 000 Beschäftigten unter anderem Teile des Nahverkehrs lahmgelegt und den Flugverkehr gestört. Im April 2018 hatten Arbeitgeber und Gewerkschaften insgesamt 7,5 Prozent mehr Geld bis März 2020 vereinbart.