Erst freundlich, dann brutal, dann wieder nett: So beschreiben Ermittler das Vorgehen eines mutmaßlichen Serienvergewaltigers, der in Berlin und Brandenburg mit hoher Frequenz Frauen überwältigte. Jetzt wurde ein 29-Jähriger gefasst.

Berlin/Potsdam - Wirklich geplant scheint der Täter nicht vorgegangen zu sein: Bei seinen häufigen Vergewaltigungen in den zurückliegenden Wochen hinterließ er DNA-Spuren, einmal wurde er nach einem Übergriff von einer Überwachungskamera an einem nahe gelegenen Bahnhof gefilmt. Mehrere Opfer konnten sein Vorgehen und sein Aussehen detailliert beschreiben. Schon polizeibekannt wegen anderer Straftaten war er außerdem, seine Fingerabdrücke in der Kartei.

 

Nach einer Serie von mindestens acht Sexualdelikten seit dem 12. Juni in Berlin und Brandenburg verliert der Verdächtige auch noch sein entsperrtes Handy auf der Flucht. Am Dienstagabend ist er den Ermittlern nach aufwendiger Suche ins Netz gegangen.

Als die Behörden am Mittwoch in Berlin an die Öffentlichkeit gehen, hebt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, einen „unverhofften Ermittlungserfolg“ hervor. Durch akribische Ermittlungsarbeit sei die Tatserie erkannt und der Verdächtige relativ schnell identifiziert worden, sagt Oberstaatsanwalt Georg Bauer. Dem 29-Jährigen wurde inzwischen der Haftbefehl verkündet, er sitzt nun in Berlin in Untersuchungshaft. Nach seiner Festnahme an der Landesgrenze von Berlin und Brandenburg habe der mutmaßliche Vergewaltiger Widerstand geleistet und sich unkooperativ verhalten, schildert Oskar Vurgun von der Polizei Brandenburg.

Dem Zugriff am Dienstagabend ging eine mehrstündige Flucht des Gesuchten in einem weitläufigen Waldgebiet nach einer weiteren Vergewaltigung voraus. Das Opfer: eine junge Frau, die im Wald joggen war - wie auch schon in mindestens einem früheren Fall. Nachdem die Ermittler in der vergangenen Woche mit den Bildern vom Bahnsteig eine Öffentlichkeitsfahndung nach dem mutmaßlichen Serientäter einleiteten, schien es einige Tage ruhig geworden zu sein. Bei Beobachtern kam die Frage auf, ob sich der Mann nun wohl abgesetzt hat, nachdem er offenkundig im Fokus der Polizei stand.

Bis dahin waren dem mutmaßlichen Vergewaltiger sieben Taten zugerechnet worden, darunter fünf vollendete und eine versuchte Vergewaltigung. Was genau in einem Fall passierte, ist bis heute unklar: Ein Zeuge meldete eine Sexualstraftat nahe dem Berliner Teufelsberg - vom Opfer fehlt allerdings jede Spur, es hat sich trotz eines Aufrufs nicht bei der Polizei gemeldet. Die meisten Taten geschahen im Südwesten Berlins, im Bereich des Grunewalds. Es ist ein beliebtes Ausflugs- und Naherholungsziel der Hauptstädter. Zu einer weiteren Tat kam es im brandenburgischen Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark), kurz hinter der Berliner Stadtgrenze. Zudem gab es einen Übergriff auf eine junge Frau in Bernau nordöstlich von Berlin.

In drei Fällen ging der Täter besonders heftig vor

In drei Fällen ging der Täter besonders heftig vor: Er habe die Frauen dabei mit gefährlichen Werkzeugen eingeschüchtert, führt Staatsanwältin Katrin Frauenkron aus. Bei einer Verurteilung droht ihr zufolge eine Höchststrafe von fünf Jahren pro Tat allein für diese Vergehen. Zum Zustand der Opfer machten die Behörden keine genaueren Angaben - nur so viel: Im Krankenhaus sei niemand mehr. Klar ist aber, dass solche Taten auch tiefe seelische Wunden hinterlassen und die Frauen wohl ihr Leben lang beschäftigten dürften. Eines der Opfer ist laut Ermittlungsbehörde minderjährig. Alle Opfer haben laut Behörden die Möglichkeit, Begleitung zu bekommen.

Was genau den mutmaßlichen Täter zu so vielen Übergriffen innerhalb kurzer Zeit antrieb, blieb zunächst im Dunkeln. Er soll von einem psychiatrischen Experten begutachtet werden, kündigen die Ermittler an. Norma Schürmann vom Landeskriminalamt erklärt ein Muster, das ziemlich ungewöhnlich sei: Der Täter habe die Opfer zunächst ganz freundlich angesprochen, immer zu Tageszeiten, an denen es im Grünen belebt ist. Danach habe er sie mit Gewalt gepackt und gewürgt und schließlich vom Weg und in entlegenere Gebiete gezerrt. Nach der Vergewaltigung habe er eine andere Seite gezeigt und sich um sein Opfer kümmern wollen. So habe der Mann etwa versucht, sich mit ihnen für den nächsten Tag zu verabreden.

Zum persönlichen Hintergrund des Mannes ist bisher nicht viel bekannt. Es gebe keine Hinweise, dass er im Wald lebe oder obdachlos sei, er habe vielmehr in einer Hostel-ähnlichen Unterkunft gelebt, heißt es. Was er in Berlin machte, könne man nicht sagen - bekannt sei, dass seine Partnerin Deutschland verlassen habe. Der 29-Jährige habe auch versucht, Geld zu machen, etwa durch einen Auto-Verkauf.

Im Dezember 2019 und im März 2020 beging er Straftaten in Berlin, allerdings keine Sexualdelikte, so die Ermittler. Für einen Diebstahl bekam er eine Geldstrafe. Von einem Laubeneinbruch hatte die Polizei Fingerabdrücke des Mannes. Dadurch dürfte der Polizei am Dienstag nach der erneuten Tat und dem Handy-Fund relativ schnell klar gewesen sein, dass sie dem ohnehin gesuchten Mann auf der Spur ist.

Bei der Suche im Wald waren Beamte von Brandenburger und Berliner Polizei sowie der Bundespolizei dabei. Ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera brachte den entscheidenden Hinweis.

Wie der frühere Bremer Mordermittler und Bestsellerautor Axel Petermann der Deutschen Presse-Agentur sagte, sind Serienvergewaltigungen relativ selten. Die Motive dahinter könnten unterschiedlich sein: „Manchen geht es um Machtausübung. Diese Täter haben selbst wenig soziale Kompetenzen, zweifeln an sich und sind unsicher im Umgang mit Frauen.“ Genauso gebe es aber auch Täter mit machohaftem Auftreten, die keine Zweifel an der eigenen Dominanz hätten. Manche Serientäter hätten Aggressionen gegen Frauen, wollten sie erniedrigen und gingen mit extremer Brutalität vor, schilderte er. Manche Vergewaltiger wollten auch mit der Tat aus der Situation heraus Frust abbauen.