In den Landratsämtern Baden-Württembergs steigt die Zahl der Türken, die sich einbürgern lassen. Einer von ihnen ist Yavuz Aslan. Aus Angst vor Repressalien hat sich der 40-jährige Reutlinger entschieden, den deutschen Pass zu beantragen.

Reutlingen - Die deutsche Zukunft landet regelmäßig im Altpapier. Alle paar Jahre hat sich Yavuz Aslan den Einbürgerungsantrag im Reutlinger Landratsamt abgeholt, um ihn dann wieder fachgerecht zu entsorgen. „Ich habe es nicht übers Herz gebracht“, sagt der 40-Jährige mit dem akkurat gestutzten Vollbart und der Designerbrille, „es fühlt sich an, als ob ich mein türkisches Leben aufgäbe.“ Yavuz Aslan, Sohn kurdischer Gastarbeiter, geboren in Tübingen, geht freitags zum Beten in die Moschee und samstags zum Grillen zu schwäbischen Freunden. Er arbeitet im familieneigenen Reisebüro am Stuttgarter Flughafen und ist der Typ Mensch, der sich traut, im Leben auch mal zu scheitern, um unterm Strich umso erfolgreicher zu sein.

 

Jahrelang wünschte er sich nichts sehnlicher, als einen Doppelpass in den Händen zu halten, doch seit einiger Zeit hat er nur noch einen Wunsch: endlich Deutscher werden. Oder besser gesagt – sich der Gefahr entledigen, die sein türkischer Pass mit sich bringt. Seit Staatspräsident Recep Erdogan die Demokratie demontiert, fühlt er sich in der Heimat seiner Vorfahren nicht mehr sicher.

Jahr für Jahr sind es die Türken, die in absoluten Zahlen am häufigsten die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. 2016 waren es 2948 Männer und Frauen, die sich dazu in Baden-Württemberg entschieden haben. Eine Zahl, die dieses Jahr wohl wieder ansteigen wird. Die Landratsämter verzeichnen ein größeres Interesse. Ob Mannheim, Biberach, Pforzheim oder Stuttgart, in den ersten Monaten 2017 gab es überdurchschnittlich viele Einbürgerungen. Andreas Deuschle, der Leiter der Stuttgarter Einbürgerungsbehörde sagt: „Es gibt in letzter Zeit einige, die Deutsche werden wollen wegen der schwierigen Situation in der Türkei.“

Aus Angst vor einer Verhaftung meidet Aslan die Türkei

Der Druck auf Yavuz Aslan wächst. Zu viele Geschichten hat er gehört: von Bekannten, die am Flughafen von Istanbul gleich wieder zurückgeschickt wurden, von Regimekritikern, die im Gefängnis sitzen. Ein Facebookpost, der den Staatspräsidenten attackiert, und wenig später steht der Geheimdienst vor der Tür. Aslan ist einer, der sich weder im Netz noch im Gespräch mit seiner Wut auf Erdogan zurückhält: „Die Türkei ist auf dem besten Weg in eine Diktatur“, sagt er, „das Land geht allmählich verloren.“

Aus Angst vor einer Verhaftung hat er seit Pfingsten letzten Jahres keinen Fuß mehr in die Türkei gesetzt. Für einen aus der Touristikbranche, der über viele Jahre seinen Hauptumsatz mit dem Mittelmeerland gemacht hat, ein Dilemma. Für einen Deutsch-Türken, der mindestens so viele Freunde und Verwandte am Bosporus hat wie unter der Achalm, eine Zumutung. „Ich passe leider perfekt in das Klischee eines Gülen-Anhängers“, sagt der Reutlinger Familienvater, „konservativ, liberal, geschäftstüchtig“, da werde man schnell als Staatsfeind abgeurteilt – egal, ob die Vorwürfe haltbar seien oder nicht.

Noch ein letztes Mal hat Yavuz Aslan als türkischer Staatsbürger beim Verfassungsreferendum seine Stimme abgegeben. Auch seine Mutter und seinen Bruder hat er mitgeschleppt zum Wahllokal des türkischen Generalkonsulats in Stuttgart-Zuffenhausen. „Es kommt auf jeden einzelnen an“, sagt Aslan und zählt sich zu den „Hayır“-Anhängern, was Nein auf Türkisch bedeutet. Er kann nicht verstehen, dass viele seiner Landsleute die Einführung eines Präsidialsystem in der Türkei gutheißen. Erdogan könne künftig das Land im Alleingang mit Dekreten regieren, die auch ohne Zustimmung des Parlaments Gesetzeskraft hätten.

Erdogan plane bereits bis 2029 im Amt zu bleiben, „das sind arabische Zustände“, ärgert sich Aslan und überlegt, bei welcher Partei er sich in Deutschland engagieren könnte. Die SPD ist ihm zu sprunghaft, mit der christlichen CDU kann er sich nicht wirklich anfreunden, auch wenn er Kanzlerin Merkel durchaus schätzt. „Vielleicht die Liberalen“, sagt Aslan, als Touristiker und lange Zeit selbstständiger Unternehmer hat er Sympathien für die FDP. Wie konservativ viele Auslandstürken sind, zeigten die Parlamentswahlen im Juni 2015. Hätten nur die in Deutschland lebenden Türken das Sagen gehabt, wäre der Partei Erdogans der Verlust der absoluten Mehrheit erspart geblieben. 54 Prozent stimmten damals mehrheitlich für die Regierungspartei. Bei den Neuwahlen im November, bei denen die AKP wieder die absolute Mehrheit erreichte, waren es in Deutschland beinahe 60 Prozent. In keinem anderen europäischen Land war die AKP so erfolgreich.

Die Unterlagen für seine Einbürgerung hat Aslan ordentlich in eine Klarsichthülle gesteckt, er hat alles zusammengetragen vom Rentenbescheid bis zur Geburtsurkunde. „Ich werde heute Deutscher“, sagte er seinem Sohn beim gemeinsamen Frühstück. In der Nacht hat er kaum geschlafen, sich unruhig hin- und hergewälzt. „Ich konnte es nicht verhindern, was in der Türkei passiert“, wirft sich Aslan vor und steigt aus seinem Auto. Die wenigen Schritte zur Reutlinger Ausländerbehörde, einem Zweckbau gleich hinter einer ziemlich tristen Asylunterkunft, fallen ihm schwer. „Es muss sein“, sagt er und stemmt sich erschöpft gegen die Glastür, „ich hätte es schon viel früher tun sollen.“