Lange hat es gedauert, doch nun stehen die Menschen Schlange, um eine Corona-Impfung zu ergattern. Das verlangt mitunter Geduld – wie der Erfahrungsbericht von einer Pop-Up-Impfung in der schwäbischen Provinz zeigt.

Kernen - Die steigenden Corona-Infektionszahlen und damit verbundenen erneuten Einschränkungen des öffentlichen Lebens vor allem für Ungeimpfte haben viele Menschen dazu veranlasst, sich nun doch noch impfen zu lassen. Die Nachfrage ist enorm gestiegen, was mitunter lange Schlangen zur Folge hat – wie ein Beispiel aus Kernen-Rommelshausen (Rems-Murr-Kreis) zeigt. Das Protokoll eines stundenlangen Wartens – mit Happy-End.

 

Lesen Sie aus unserem Angebot: Aktuelle Meldung zur Coronapandemie

13:40 Uhr: Schon von weitem sehe ich die Schlange. Etwa 200 Meter vor dem Bürgerhaus in Kernen-Rommelshausen stehe ich an – auf Höhe des Spielplatzes am Bürgergarten. So viele Menschen auf einem Fleck gibt’s hier sonst nur auf der Kirbe. Bald geht die Schlange hinter mir weiter. Konstant kommen weitere Menschen dazu. So auch eine junge Frau, die mit einer Freundin ansteht und am Bein verletzt zu sein scheint. Sie hat einen Campingstuhl dabei und sitzt bequem. Clevere Idee!

Schnell bekommt die Situation surreale Züge

14:07 Uhr: Wir in der Schlange kommen ins Gespräch – und diskutieren. Was genau ist mit 200 Dosen gemeint? Sind es nun 200 Impfungen oder 200 Dosen, aus denen mehr als 200 Impfungen herauskommen? Ich muss jetzt schon grinsen. Zu surreal ist diese Situation, gerade für einen kleinen Ort wie Rommelshausen. Die ersten lustigen Sprüche werden geklopft: „Noch fünf Meter weiter und ich könnte von zuhause aus anstehen.“

14:14 Uhr: In mehr als einer halben Stunde haben wir etwa fünf Meter zurückgelegt. Die ersten Ideen zur Impfstoff-Verteilung kommen auf: Lose ziehen – Impfung oder Niete. Weiter ist unklar, ob man unter die glücklichen 200 fallen wird. Freunde, denen man Bilder von vor Ort schickt, fallen aus allen Wolken. Es ist aber ein gutes Zeichen, dass die Impfbereitschaft so groß ist, denke ich.

Neue Bekanntschaften in der Warteschlange

14:44 Uhr: Ich mache neue Bekanntschaften. Gerade mit einer älteren Frau und einem älteren Mann hinter mir in der Reihe plaudere ich immer wieder. Dann werden Zettel verteilt – 200 an der Zahl.

14:47 Uhr: Nun ist klar, 200 Dosen bedeuten 200 Impfungen. Von vorne nach hinten werden die Zahlen verteilt. Man soll sich nicht mehr anstellen. Dazu wird auch am Ende der Schlange ein Zettel aufgehängt. Ich habe die Nummer 171 gezogen - bekomme also die 171. Impfung an diesem Tag.

Die Kälte kriecht allmählich in die Füße und Hände

14:58 Uhr: Es ist frische zwei Grad kalt. Ich spüre die Kälte in den Füßen und an den Händen. Der Bürgermeister von Kernen ist auch vor Ort und läuft mit einem Megafon die Schlange ab.

15:07 Uhr: Es wird auf die mindestens fünf Monate Abstand bei der Booster-Impfung bis zur bis dahin letzten Impfung hingewiesen. Der Grund: Jemand vorne in der Schlange ist deswegen nicht geimpft worden. Für mich mit Johnson&Johnson aus dem Juni ist das aber kein Problem.

Dutzende müssen ohne Impfung weggeschickt werden

15:12 Uhr: Etwa 60 Leute am Ende der Schlange werden nach Hause geschickt. Sie bekommen aufgrund der Begrenzung auf 200 heute keine Impfung. Mittlerweile frieren mir die Füße und Hände weg. Es ist kompliziert, die Hände in der Jacken- oder Hosentasche zu wärmen, weil ich die ausgedruckten Papiere und Impfpass immer in einer Hand habe. Meine Vorbereitung auf das Schlangestehen könnte man suboptimal nennen.

15:20 Uhr: Wir erfahren, wie schnell geimpft wird – 50 Impfungen jede Stunde an zwei Impfstationen im Bürgerhaus sind es aktuell, also fast jede Minute eine. Das ist ganz schön schnell, bedeutet aber bei 200 geplanten Impfungen immer noch stundenlanges Warten. Zwei Helferinnen laufen mit Teekannen und Bechern durch die Schlange, so auch der Bürgermeister selbst.

Fressgelüste neben dem Hühnerstall

15:25 Uhr: Eine Portion tiefgekühlter Galgenhumor macht sich in der Schlange breit. „Wir essen die Hühner. Genug Zeit, sie zu zuzubereiten, haben wir ja“, sagt einer mit Blick auf einen kleinen Hühnerstall am Straßenrand. Kurz darauf erfahren wir: Wir sind aktuell bei Impfung Nummer 60. Bei diesem Impftempo bedeutet das noch zwei Stunden Warten.

15:40 Uhr: Kurzer Small Talk mit dem Bürgermeister, der mich auf meinen VfB-Schal anspricht. Ein Mann von einem Lieferdienst in der Nähe verteilt Pizza-Stücke. Dazu wird Flyer-Werbung verteilt. Das Pizzastück wirkt wie ein kleiner Booster nach zwei Stunden Impfschlange. Nebenbei tritt leichter Nieselregen ein. Das hat ja noch gefehlt. Zum Glück hört er bald wieder auf. Der Tee wird nachgefüllt.

Die Familie bringt heißen Kakao vorbei

16:14 Uhr: Wir stehen nun auf der Höhe des Bürgerhauses. Man kann schon hineinschauen, wie Leute geimpft werden oder darauf warten. Doch der Schein trügt: Ich bin nah an der Impfstation, zeitlich aber noch weit entfernt von der Impfung. Mittlerweile sind über zweieinhalb Stunden vergangen, aber in der Schlange geben wir uns kämpferisch, getreu dem Motto: „Ein Impftermin beim Arzt ist ja langweilig“.

16:28 Uhr: Überraschend kommen mein Vater und meine Schwester vorbei. Direkt nebenan ist ein Café und bald darauf halte ich eine heiße Schokolade in der Hand. Ein Traum. Natürlich stehen in der Schlange auch mehrere ältere Menschen an. Einer geht an Krücken, aber das Angebot, nach vorne gehen zu dürfen, lehnt er ab.

Im warmen Bürgerhaus kommt die Wärme in die Füße zurück

16:35 Uhr: Nun dürfen Ältere ins Bürgerhaus, in einen Saal im zweiten Stock. Dort können sie in der Wärme warten, bis sie dran sind. Das war davor aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Dieses Angebot nehmen aber nur drei, vier Personen wahr. Draußen wird es früh dunkel, die Lampen gehen an, ebenso die Lichterketten draußen an den Weihnachtsbäumen.

17:23 Uhr: Ich bin im Bürgerhaus, leihe meinem Vordermann einen Stift zum Ausfüllen der Formulare. Die wurden an die Leute verteilt, die keine von zuhause mitgebracht haben. Auch im Bürgerhaus gibt es noch eine Schlange, ähnlich wie beim Einchecken auf dem Flughafen. Aber ich kann die wartenden Menschen nun richtig abzählen. Es wird wohl noch eine halbe bis ganze Stunde dauern. Die Wärme hilft. Ich spüre meine Füße wieder.

Nach fünf Stunden endlich geboostert

18:10 Uhr: Meine Papiere sind kontrolliert. Ich sitze das erste Mal wieder nach viereinhalb Stunden und warte, bis ich in den großen Saal zum Impfen gerufen werde.

18:22 Uhr: Ich bin geboostert! Die Biontech-Impfung ist drin. Nun noch 15 Minuten warten und schon einmal den QR-Code scannen.

18:40 Uhr: Ich bin raus aus dem Bürgerhaus. Fünf Stunden hat es gedauert. Ziel erreicht, ab nach Hause.