Sie wissen, dass sie Indianer sind, keiner lässt sie das vergessen. Aber die Figuren des indianischen US-Autors Tommy Orange sind nicht in Kulturen und Traditionen ihrer Stämme verwurzelt. Im starken Debütroman „Dort dort“ kämpfen sie wie andere arme Amerikaner auch gegen den Absturz.

Oakland - Dass außer einigen Indianeraktivisten und Literaturnischenkundlern jemand sein Buch lesen würde, hat Tommy Orange beim Schreiben nicht geglaubt. Literatur von Native Americans gibt es mehr, als man im Buchladen um die Ecke je entdecken wird. Diese Bücher dringen auf dem Markt nur nicht durch, sie werden außerhalb kleiner Filterblasen nicht wahrgenommen. Orange, 1982 in Oakland geboren und eingetragenes Stammesmitglied der Cheyenne und Arapaho, schrieb sein Debüt für die Bewerbungsmappe. Nach dem Collegestudium hatte er sich mit allerlei Jobs einige Jahre lang über Wasser gehalten, liebäugelte aber nun damit, selbst an einem College zu unterrichten. Für so einen Job musste er eine Veröffentlichung vorweisen.

 

Sein Roman „Dort dort“ verschwand aber nicht wie erwartet umweglos im Geisterreich des Ungelesenen. Er wurde auf breiter Front als Ereignis wahrgenommen, fuhr hymnische Kritiken ein, gewann Preise und landete – das gibt in den sozialen Netzwerken einen Reichweitenschub – auf Barack Obamas Liste der besten Bücher des Jahres 2018.

Außen rot, innen weiß

Das ist schon daher erstaunlich, weil „Dort dort“ nicht im Ansatz liefert, was indianische Literatur sonst gern als Joker nutzt: Grusel- oder Esoterikfaszination des Lebens in der Reservation. Weder gibt es den üblichen Niedergang kaputter Säufertypen in der Isolation der Stammeswelt, noch tauchen edle Träger uralten Geheimwissens auf, die dem Wahnsinn der weißen Zivilisation Rezepte für ein Leben nahe an der Natur entgegenstellen können. „Dort dort“ ist auch eine Kampfansage an solche Bilder von den Native Americans.

Tommy Orange, Sohn einer weißen Mutter und eines Cheyenne, hat sein Leben in der Stadt zugebracht – wie die Figuren, von denen er erzählt. Es sind Native Americans, die sich nicht über ein Leben auf der Reservation definieren und die von Traditionalisten verachtungsvoll Äpfel genannt werden: Außen seien sie rot, innen aber weiß.

Unheil kündigt sich an

Distinktionslos aufgehen im weißen Amerika können und wollen Oranges prekär lebende Figuren aber nicht. Sie besuchen Powwows, um mit Tanz, Gesang und Gesprächen ihre indianische Identität zu pflegen, aber sie wollen und müssen auch in der multikulturellen Gesellschaft funktionieren. Und so erzählt „Dort dort“ von zwölf Menschen, deren Lebenslinien auf das nächste Powwow zulaufen. Dass einige von ihnen sich darauf vorbereiten, die Veranstalter zu überfallen und die Preisgelder für die Wettbewerbe zu rauben, sorgt von Anfang an für ein Bewusstsein von Unheil und Brüchigkeit.

Überhaupt geht es um ein Leben unter Druck. Oakland war einst der schmutzige Hinterhof San Franciscos, eine raue Industriestadt jenseits der Bucht. Nun sind Gentrifizierungsprozesse im Gang, die das Personal von „Dort dort“ zu spüren bekommt. Nur dass es nicht mit Opferklagen, sondern mit Versuchen der Selbstbehauptung reagiert.

Tommy Orange: „Dort dort“. Roman. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Verlag Hanser Berlin. 288 Seiten. 22 Euro.