Ihr Vater hat darauf bestanden, dass sie das Abitur macht, bevor sie einem Schwestern-Orden beitritt. Heute heißt die Inderin Schwester Daisy und lebt seit Kurzem mit ihren Mitschwestern im Kloster in Sillenbuch.

Sillenbuch - Es stimmt nicht, dass das Christentum nach Indien kam wie einst das Roast-Beef mit den englischen Kolonialherren. Schwester Daisy kann es deshalb gelassen sehen, wenn andere sie fragen, ob sie nicht als indische Christin nur eine Spätfolge des Britischen Empires sei. Nein, sie sei Thomas-Christin, sagt sie, und in ihre sehr bescheidene Art schleicht sich eine Spur Stolz. Denn das Christentum – gerade von heutigen Hindu-Fundamentalisten als mentale Unterwerfung Indiens gegenüber dem Westen gegeißelt – kam wohl früher nach Indien, als es nach Deutschland gekommen ist.

 

Christen sind in Indien oft Anfeindungen ausgesetzt

Der Apostel Thomas soll es wenige Jahrzehnte nach der Kreuzigung Christi im Süden Indiens verbreitet haben. Noch heute gibt es im südindischen Bundesstaat Kerala, in dem Schwester Daisy 1968 geboren wurde, eine große christliche Gemeinde. In ganz Indien sind die Christen dagegen eine verschwindend kleine Gruppe. Eine, die oft Anfeindungen ausgesetzt ist und im Moment bang in die Zukunft blickt, nachdem in Narendra Modi der Kandidat der Hindu-Nationalisten das Amt des Premierministers mit einem grandiosen Wahlsieg für sich erobert hat.

Schwester Daisy hat in ihrer Jugend ein anderes Indien erlebt. Eines, das den Idealen des Gründervaters Mahatma Gandhi und seinen Lehren der Toleranz und des Miteinanders der Religionen wohl noch mehr verbunden war. „Natürlich bin ich als Kind auch zu den Festen der Hindus gegangen, das waren so schöne Feiern“, erzählt sie. Eng befreundet sei sie mit einer Muslimin gewesen, die wie sie auch zu einer religiösen Minderheit in Indien gehört.

Erst Abitur, dann Orden

Ihre Familie, die über Generationen auf eine christliche Geschichte zurückblickt, habe sie religiös erzogen. Dennoch habe ihr Vater darauf bestanden, dass Schwester Daisy zunächst ihr Abitur macht, bevor sie dem Orden der Anbetungs-Schwestern beitritt.

Am Anfang habe sie vor allem die Lebensform der Ordensschwestern begeistert, sagt Schwester Daisy. In der Gemeinschaft setzten sich die Ordensschwestern für soziale Zwecke ein. Das gefiel Schwester Daisy, die selbst davon träumte, Sozialarbeiterin zu werden. Doch mit der Zeit änderte sich ihre Motivation für ein Leben im Orden. „Die Gemeinschaft allein kann mich nicht tragen, dazu brauche ich auch Spiritualität“, sagt Schwester Daisy.

Schwester Daisy glaubt an Fügung

Gebete und Meditation – das sei für sie noch längst nicht alles, was Spiritualität ausmache. Sie spricht von einer Lebenshaltung, die das Zwiegespräch mit Gott umfasst und das Erleben einer schöpferischen Kraft, die auch den persönlichen Weg bestimmt. „Ich glaube an göttliche Fügung“, sagt Schwester Daisy. Sie lächelt dabei, als wäre das eine erleichternde Erkenntnis. Der Sinn ihrer nicht alltäglichen Biografie erschließt sich Schwester Daisy als Gläubige offenbar schnell. Innerliche Zerrissenheit angesichts ihres Lebens so weit weg von ihrer Heimat, scheint sie nicht zu kennen.

Auch in Deutschland, wo sie seit 1990 lebt, erwartete sie ja die Gemeinschaft der Gläubigen. Vor allem aber ist das christliche Bekenntnis gleich, egal, ob Inder oder Deutsche sich ihm verpflichten. Dennoch, manches hat sie in Deutschland zunächst traurig gemacht. Schwester Daisy spricht von einer „immateriellen Not“, die der Existenznot vieler Inder entgegenstehe.

In Indien wären die älteren Menschen nicht so allein

In Deutschland hat Schwester Daisy zunächst in einem Krankenhaus gearbeitet. Dabei hat sie erstaunt, wie allein die älteren Patienten oft sind. Einmal habe ihr eine Frau aufgetragen, das Beerdigungsinstitut anzurufen, falls ihr Angehöriger demnächst versterben sollte, da sie erst einmal im Urlaub sei. „So etwas wäre in Indien undenkbar“, sagt Schwester Daisy.

Sie gehört aber dennoch nicht zu denjenigen, die kulturelle Andersartigkeit verurteilen. Sie versucht, sie stattdessen zu verstehen. Das deutsche Sozialsystem fange die Menschen auf, sagt sie, während es in Indien nur das Netz der Familie gebe. Das sagt sie nüchtern, als wolle sie keine Wertung formulieren. Dennoch, die etwas andere indische Lebensart fällt ihr an hohen Festtagen wie Weihnachten ein. Dann vermisst sie die indische Herzlichkeit.