Immer mehr Firmen setzen im Marketing auf Bekanntheiten im Internet – und zahlen dafür viel Geld. Taugt das für die Zukunft? Ein Überblick.

Digital Desk: Lotta Wellnitz (loz)

Früher kaufte man Haribo-Goldbären vielleicht nicht nur, weil sie Kinder und Erwachsene froh machten, sondern auch, weil Thomas Gottschalk in einem Fernsehspot dafür warb. Heute sieht das oft anders aus – vor allem bei jüngeren und internetaffinen Menschen. Die folgen nämlich lieber den Empfehlungen von Social-Media-Influencern wie Bianca Claßen, besser bekannt unter dem Namen „Bibisybeautypalace“, oder Fitnessstar Pamela Reif, deren Workout-Videos auf Youtube millionenfach geklickt werden. Der Werbemarkt mit Influencern ist riesig, das haben auch die meisten Unternehmen erkannt. Trotzdem ist vieles beim Thema Influencer-Marketing noch undurchsichtig – vor allem auch, was die Zukunft angeht. Werden Influencer klassische Prominente in puncto Werbung ablösen? Die Meinungen sind geteilt.

 

1. Was sind Influencer, und was machen sie?

Der Begriff Influencer ist weit gefasst, sagt Nils S. Borchers, Kommunikationswissenschaftler an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen und trifft es auf den Punkt. Der Begriff leitet sich aus dem englischen Wort „influence“, „beeinflussen“, ab. Deshalb wird diskutiert, ob nicht jeder, der einen anderen irgendwie beeinflusst, ein solcher ist. Wer aber von Influencern spricht, meint in der Regel Social-Media-Influencer, auch „Content Creator“ genannt. Laut Borchers – und der geläufigsten Definition – sind das Personen, die sich im Internet und in sozialen Medien eine Reichweite und so Einfluss aufbauen. Sie veröffentlichen dort regelmäßig Fotos, Videos oder Texte und interagieren mit ihren Abonnenten, den Followern. Dadurch bauen sie eine Art persönliche, vertraute Beziehung zu diesen auf und können so etwa deren Meinung und Kaufentscheidung beeinflussen. Das macht sie für Unternehmen als Werbepartner, sprich: Testimonial, interessant. Als solche bezeichnet man im Deutschen (berühmte) Personen, die sich für ein Produkt oder eine Dienstleistung aussprechen, also Werbung machen. Am häufigsten werden Influencer nach der Anzahl ihrer Follower eingeteilt.

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2. Wo ist der Unterschied zu klassischen Promis?

Klassische Prominente sind etwa Sportler, Musiker oder Schauspieler mit einem hohen sozialen Status in Bezug auf Einkommen, gesellschaftlichen Einfluss oder Prestige. Werbung mit ihnen nennt man Celebrity-Marketing oder Celebrity-Endorsement. Werbung mit Influencern bezeichnet man als Influencer-Marketing. Im Vergleich zu klassischen Promis bauen sich Social-Media-Influencer ihre Prominenz durch Reichweite in den sozialen Medien auf, sagt Kommunikationswissenschaftler Nils S. Borchers , der schon früh zu Influencer-Marketing geforscht hat. Sie teilen ihren Alltag, beantworten Nachrichten ihrer Abonnenten, wirken authentisch, nahbar, bauen eine gewisse Vertrauensbeziehung auf, sagt er. „Sie signalisieren den Followern: Ich bin ein Internetnutzer so wie ihr.“ Ihr Status beruhe auf Inklusivität. Wegen der Vertrauensbeziehung entstehe die Erwartung, dass Influencer aufrichtig und wahrheitsgemäß handeln, auch wenn sie Produkte oder Marken bewerben, sagt er. Klassische Prominente hingegen wirkten oft unnahbar, als wären sie etwas Besonderes. Ihr Status beruhe auf Exklusivität, sagt er, verweist aber darauf, dass es auch Zwischenformen gebe. So können Personen etwa durch eine Fernsehsendung Aufmerksamkeit erlangen und diese in den sozialen Medien ausbauen. Weiter sind dort auch klassische Promis wie etwa Fußballer Cristiano Ronaldo zu finden.

3. Wie sieht der Markt für Influencer-Werbung aus? Und wie hat er sich in den letzten Jahren entwickelt?

In den vergangenen Jahren haben Unternehmen erkannt, dass sich Influencer als Testimonials, also Werbepartner, eignen. Laut dem Medienunternehmen Influencer Marketing Hub gaben sie 2021 weltweit fast 14 Milliarden Dollar ( rund 13,3 Milliarden Euro) für Influencer-Werbung in den sozialen Medien aus – mehr als doppelt so viel wie zwei Jahre zuvor. Auch in Deutschland wächst der Markt. Lagen die Werbeausgaben für Influencer laut einer Schätzung der Statista Advertising & Media Outlook hierzulande 2019 noch bei 223 Millionen, waren es 2021 schon 389 Millionen Euro. Statista Advertising & Media Outlook liefern Marktforscher Prognosen und Marktinformationen.

Diese Entwicklung kann Ronny Kühnert, Manager für Social Media und Influencer Marketing bei der 0711 Digital GmbH in Stuttgart, bestätigen. Die Digitalagentur berät und betreut Firmen bei ihren Aktivitäten in den sozialen Medien oder plant für sie Online-Werbekampagnen. Dafür sucht sie für Unternehmen unter anderem Influencer für eine Zusammenarbeit und betreut diese auch. „In den Anfängen, 2015, war alles noch eine Art Tauschhandel: Werbung gegen Produkt“, sagt er. Mit der Zeit habe sich die Branche professionalisiert. Heute gebe es zig Agenturen wie die 0711 Digital GmbH und nahezu jeder größere Influencer habe ein eigenes Management. Zudem erhöhten viele Firmen jährlich ihr Budget für Influencer-Werbung, Content Creator wiederum verlangten höhere Honorare, sagt Kühnert. Um welche Beträge es geht, kann er nicht sagen. Jeder Influencer bestimme seinen Wert selbst, zudem komme es neben der Followerzahl etwa auch darauf an, ob Firmen beim Influencer Bilder oder Videos buchen, Bildrechte kaufen, dessen Management oder Team bezahlen müssen.

Eine Faustregel, an der man sich in der Branche aber orientieren kann: Pro 1 000 Followern werden acht bis zehn Euro für eine festgelegte Anzahl an Beiträgen gezahlt. Heißt: Bei 200 000 Abonnenten könnte ein Influencer etwa 2 000 Euro bekommen.

4. Was ist der Vorteil von Influencer-Werbung?

Eine Zusammenarbeit mit Influencern auf Instagram, Youtube & Co. ist oft billiger als eine Werbekampagne in den traditionellen Medien oder eine Zusammenarbeit mit klassischen Promis. Und das bei teils hohen Reichweiten, denn Influencer haben nicht selten Hunderttausende Follower. Daneben gibt es auch kleine Content Creator, die Experten in einer Nische sind und wegen ihrer Größe eine noch engere Bindung zu ihren Followern pflegen als solche mit sehr viel mehr Abonnenten. Eine Firma profitiert also, wenn sie zum Beispiel sehr spezielle Produkte an eine bestimmte Zielgruppe verkaufen möchte. Vorausgesetzt, der Nischen-Influencer passt zum Produkt und zur Marke.

Generell gilt: Durch Influencer-Marketing kann man eine jüngere Zielgruppe erreichen, da diese besonders empfänglich dafür ist, wie etwa der aktuelle Social-Media-Atlas der Kommunikationsberatung Faktenkontor und der Marktforschungsplattform Toluna zeigt. Laut diesem kauften innerhalb eines Jahres 21 Prozent der befragten Internetnutzer ab 16 Jahren etwas, weil es ein Youtuber, und 18 Prozent, weil es ein Instagrammer empfahl. Beides sind Influencer, die größtenteils auf den jeweiligen Plattformen arbeiten. Plus: Ist die Botschaft durch den Influencer platziert, kann die Firma direktes Feedback durch Kommentare oder Nachrichten bekommen.

5. Wo geht das alles in Zukunft hin, und wie wird sich der Werbemarkt mit Influencern entwickeln?

Glaubt man der Schätzung der Marktforscher von Statista Advertising & Media Outlook werden die Werbeausgaben für Influencer-Marketing 2024 hierzulande die Marke von 600 Millionen Euro überschreiten. Auch der Manager für Social Media und Influencer Marketing, Ronny Kühnert, glaubt, dass Firmen mehr Geld in die Hand nehmen werden. Allerdings werden sie sich noch genauer aussuchen, welcher Influencer zu ihrer Marke passt und mit wem sie vor allem auch langfristig zusammenarbeiten wollen – eben, weil es mittlerweile so viele gebe, sagt Kühnert.

Alexander Schimansky, Professor für Marken- und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim, hat eine andere Sicht auf das Thema Influencer-Marketing. Er sagt, es sei in Zukunft nicht wichtig, ob ein Unternehmen mit einem – per Definition – klassischen Prominenten oder Social-Media-Influencer zusammenarbeite. Entscheidend sei, ob die Firma es schaffe, Menschen dadurch zu begeistern, dass sie für Themen wie Frieden, Sicherheit, Glück – die im Leben der Menschen momentan relevant seien – einen Lösungsansatz bieten. Das gehe durch den Einsatz von Persönlichkeiten, die dafür stehen, unabhängig davon, wie man sie nenne, sagt er und gibt ein Beispiel: „Wenn eine Marke sagt: Trink mich, und du rettest die Wälder, dann würde man die eher kaufen, als eine die sagt: Trink mich , ich schmecke gut.“

6. Ist Werbung mit Promis Geschichte?

Die Einschätzungen der Experten gehen auseinander: Alexander Schimansky sagt, das Modell des klassischen Promis habe ausgedient, weil es die Unterscheidung zwischen Exklusivität und Inklusivität nicht mehr gebe. Heute werde von Persönlichkeiten – egal, ob Influencer oder Promi – erwartet, dass diese aus ihrem Leben erzählen, Dinge preisgeben und so eine gewisse Vertraulichkeit schaffen. Nur diese Art von Inhalten fasziniere die Menschen auf Dauer. Bewunderung alleine reiche nicht, sagt er. Deswegen würden all dies – im Vergleich zu früher – auch die klassischen Promis tun. „Die Privatperson und die öffentliche vermischen sich.“ Experte Nils S. Borchers glaubt, dass der Unterschied bestehen bleibt, weil klassische Prominenz weiter auf Exklusivität beruht, die von Influencern auf Inklusivität. Letztgenannte umfasse auch, dass man einen „Blick hinter die Kulissen“ ermögliche – was klassische Promis in den sozialen Medien auch machen – allerdings sei die Art und Weise, wie sich jemand darstelle, entscheidend. Und klassische Promis inszenieren sich eben meist als jemand besonderen, Influencer eher wie das Gegenteil, sagt er. „Deren Prominenz beruht darauf, dass sie mit ihren Followern interagieren, sich nahbar geben.“ Dadurch entstehe eine ganze andere Beziehung zu ihren Followern, als dies bei klassischen Promis der Fall sei.