Ein Pflegekind in seine Familie aufzunehmen, ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Stuttgart fehlt es weiterhin an Familien, die Kinder zur Pflege in ihre Obhut nehmen. Für Interessierte findet am 6. Februar der nächste Infotag statt.

Stuttgart - Streit um das Sorgerecht, Vernachlässigung, Missbrauch – die Negativliste ist lang, wenn es um das Thema Pflegekinder und -familien geht. „Das ist so schade“, sagt die zuständige Bereichsleiterin beim Jugendamt, Helga Heugel. „Immer sind es diese Fälle, die im Gedächtnis bleiben.“ Das will sie aktiv ändern, um das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die positiven Aspekte der Pflegemodelle zu lenken. Denn in Stuttgart gibt es immer Kinder, die dringend ein Zuhause brauchen. „Es sind ständig zwischen fünf und zehn Kindern, für die wir passende Familien suchen“, schildert sie. „Die Erfolge kommen in der Berichterstattung leider zu manchmal zu kurz. Dabei gibt es so viele positive Rückmeldungen von erwachsenen Pflegekindern und ehemaligen Pflegeeltern!“

 

Bereitschaftspflege, Kurzzeitpflege, dauerhafte Obhut

Als Pflegeeltern in Frage kommen Ehepaare, Paare, Alleinstehende und gleichgeschlechtliche Paare. Bewusst legt Heugel hier den Fokus auf die Offenheit des Jugendamtes, was die Prüfung von Bewerbern angeht. „Die Prüfung ist ein gemeinsamer Prozess. Wir schließen niemanden aus“, sagt sie. 343 Pflegekinder sind derzeit in 250 Familien über das Jugendamt untergebracht – 80 davon bei direkten Verwandten. Aber Heugel gibt auch zu, dass die Prüfung ein anstrengender Prozess ist: Infogespräche, Kurse, Unterlagen, Interviews, Eignungsprüfung, weitere 6 Seminartage und die Eingewöhnung. „Dazu kommt, dass Familien zunehmend zeitlich durchgetaktet und unflexibel geworden sind. Und in Stuttgart ist auch der Wohnraum zunehmend knapp“, weiß die Bereichsleiterin.

Stuttgarter Familien können aber auch helfen, indem sie ein Kind nur für einen kurzen Zeitraum aufnehmen. „Das ist auch schon eine große Hilfe und viele wissen das nicht“, sagt Heugel. Wenn möglich bemühe sich das Amt direkt um eine langfristige Vermittlung, das sei aber nicht immer möglich. Die größte Flexibilität müssen allerdings die Pflegeeltern in der Bereitschaftspflege mit sich bringen. „Vor ihnen habe ich allergrößten Respekt“, so die Bereichsleiterin. Sie kümmern sich um Kinder in „akuten Notsituationen“. 26 Kinder werden in Stuttgart derzeit so betreut. Hier allerdings muss sich zumindest ein Elternteil komplett dem Kind verschreiben und auf einen anderen Job verzichten.

Pflegeeltern müssen sehr flexibel sein – das kostet Kraft!

Kommt ein Kind langfristig in eine Pflegefamilie, kann – je nach Alter des Kindes – nach einer Gewöhnungsphase ein normaler Alltag gelebt werden. Es spricht nichts dagegen, dass beide Eltern arbeiten. Allerdings gebe es natürlich nie eine Garantie, wie sich ein Kind in einer Kita oder im Kindergarten eingewöhne, sagt Heugel. „Manchmal treten Probleme auch erst später auf, viele Kinder haben schon Schlimmes hinter sich, bevor sie in einer Pflegefamilie ankommen.“ Die finanzielle Anerkennung beträgt pro Kind 900 Euro. „Das ist in der Tat wenig“, gibt Heugel zu. Aber im Austausch mit Familien ist dennoch festzustellen: Es kommt auch viel zurück von den Kindern, dafür lohnt es sich dann doch.

Im Idealfall wachsen Pflegeeltern und Kinder zu einer Einheit zusammen. Dennoch müssen die Pflegeeltern damit rechnen, dass ihre Kinder jederzeit zu ihren leiblichen Eltern zurückgeführt werden können. „Diese Vorstellung zu ertragen, fällt vielen schwer“, weiß Heugel. „Die meisten wünschen sich, dass die Kinder bei ihnen großwerden, oft ist das auch so.“ Im Streitfall, wenn sich beispielsweise eine leibliche Mutter von ihren Problemen erholt hat und ihr Kind zurückholen möchte, geht der Fall vor das Familiengericht. Ältere Kinder werden dann immerhin angehört. Über ihren Kopf hinweg werde nicht einfach entschieden, so Heugel. Oft komme das nicht vor, dass Familien vor Gericht stehen, schätzungsweise in zwei von 100 Fällen.

Mit dem Infotag am 6. Februar (19 bis 20.30 Uhr) will das Jugendamt alle Möglichkeiten der Pflege genau vorstellen und hofft großes Interesse. „Die Kinder brauchen unsere Hilfe“, so der Appell von Helga Heugel. Hier findet die Veranstaltung statt: Jugendamt Pflegekinderdienst, Hauptstätter Str. 53, 70178 Stuttgart 3.OG.